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Im Diskriminierungsmodus

Immer neue Bevölkerungsgruppen werden angeblich «diskriminiert». Nun sind «arme» Stadtbewohner an der Reihe

Die Theorie, dass Frauen in Sachen Gesundheit - trotz deutlich höherer Lebenserwartung - diskriminiert würden, hat sich unter dem Begriff «Gendermedizin» mittlerweile fest im politischen Diskurs etabliert. Nun wurden neue Opfer angeblicher gesundheitlicher Benachteiligung gefunden: Städter.

Thomas Baumann am 22. Juli 2023

Jedenfalls sofern man dem Fernsehen SRF Glauben schenken darf. So titelte es unlängst: "Ungleichheit in den Städten: Hitzeinseln treffen Arme stärker". Offenbar lebt es sich in gewissen städtischen Quartieren ungesund - zumindest während der heissesten Zeit des Jahres.

Gemäss einer Auswertung von SRF Data betrug der Temperaturunterschied am heissesten Tag des Jahres 2022 zwischen den reichsten und den ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung in den meisten grossen Städten rund zwei Grad. Oder in Zahlen: Die ärmsten Bewohner waren einer Temperatur von 39 Grad ausgesetzt, die reichsten "bloss" 37 Grad. Diese auf den ersten Blick bescheiden anmutenden zwei Grad - am heissesten Tag des Jahres - haben offenbar gravierende gesundheitliche Auswirkungen. So zumindest der Ton des SRF-Artikels: Bereits das dritte Wort lautet dort "Kreislaufkollaps".

Komplett verschieden der Ton ausserhalb der heissesten Zeit des Jahres. Dann dominiert jeweils ein ganz anderes Thema: "Wohnungsnot". Lautstark wird beklagt, dass sich Personen mit geringem Einkommen das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten können. Eine Stadt, deren "Hitzeinseln" genau diese Bewohner offenbar töten.

Ja, was nun? Ist die Stadt nun Paradies oder Hölle? Warum all die Anstrengungen, dass Arme in der Stadt leben dürfen - wenn sie dort doch bloss von der Hitze gemeuchelt werden?

Tatsächlich wird mit viel Geld - und mit noch mehr medialem Support - versucht zu erreichen, dass sich auch ärmere Bevölkerungsschichten das Leben in der Stadt leisten können. So stimmten zum Beispiel vor bloss einem Monat zwei Drittel der Abstimmenden in der Stadt Zürich für die Einrichtung eines mit 300 Millionen dotierten Wohnraumfonds, mit dem günstige Wohnungen geschaffen werden sollen. Zudem streben die meisten grossen Städte in der Deutschschweiz - Zürich, Bern, Basel - eine Erhöhung des Anteils gemeinnütziger Wohnungen am gesamten Wohnungsbestand an.

Tatkräftig wurde diese Schaffung von günstigem Wohnraum für privilegierte Kreise - für den die Interessenten, wie üblich in einem nach sozialistischen Gesichtspunkten organisierten Wirtschaftssystem, in langen Reihen anstehen - auch medial unterstützt. So titelte der Tages-Anzeiger in einem Leitartikel mit drastischen Worten: "Die Alternative lautet Reichenghetto".

Warum ausgerechnet ein "Ghetto" sein soll, wo Reiche in Komfort leben, soll hier nicht diskutiert werden. Historisch war das Leben in einem wirklichen Ghetto jedenfalls so ziemlich das pure Gegenteil von einem "Reichenghetto". Zudem ist der Begriff "Ghetto" historisch vorbelastet.

Also schrieb der TA-Journalist in seinem Artikel: "Ausserdem stellen zentral gelegene Wohnungen ein knappes, fast konkurrenzloses Gut dar. Wenn in Glattbrugg oder Regensdorf riesige Siedlungen hochgezogen werden, drückt dies die Mieten im Seefeld oder im Kreis 3 kaum." Gemeint sind hier - wohlgemerkt - Innenstadtquartiere. (Die im Artikel erwähnte Gemeinde Glattbrugg ist fest mit der Stadt Zürich verwachsen und de facto zu einer Art Ausserquartier geworden.)

Weiter im Ton: "Gemeinnützige Wohnungen bieten einen weiteren Vorteil: Sie sparen Platz. Zürichs Wohnmisere ist auch ein Flächenproblem. [...] Die gemeinnützigen Anbieter bauen relativ bescheiden. Darum beanspruchen ihre Mietenden deutlich weniger Fläche."

Oder mit anderen Worten: Das städtische Arbeiterparadies sind dicht bebaute Quartiere an Innenstadtlagen. Genau dort, wo es im Sommer besonders heiss wird.

Nur einen Monat später tönt es bei SRF - wie gesehen - gänzlich anders: "Je wohlhabender eine Nachbarschaft, desto kühler ist sie in der Regel. Im Bezug auf Hitzewellen bedeutet das: Gut situierte Gegenden sind besser geschützt vor Hitze. Reiche sind weniger betroffen von den Folgen des Klimawandels". Vorbei mit dem innerstädtischen Arbeiterparadies!

Der Ökonom und Nobelpreisträger Ronald Coase analysierte in einem berühmtem Aufsatz das Problem einer Rinderherde, die aus ihrem Gehege ausbricht und in einem benachbarten Getreidefeld Schäden anrichtet. Lapidar meint er: "Es ist wahr, dass es ohne Vieh keine Schäden am Getreide gäbe. Es ist gleichfalls wahr, dass es ohne Getreide keine Getreideschäden gäbe." (It is true that there would be no crop damage without the cattle. It is equally true that there would be no crop damage without the crops.)

Auf dieses Beispiel angewandt: Erst greift man mit riesigen finanziellen und ordnungspolitischen Kosten in den freien Markt ein, damit auch Arme in der Stadt wohnen können - nota bene in den begehrten Innenstadtlagen. Dies nach der Devise: Je mehr, desto besser. Und wohnen dort, wo es sowieso schon heiss ist, noch umso mehr Leute, dann geht das Wehklagen los, dass es dort zu heiss sei...

Fakt ist: Ohne die Eingriffe in den freien Markt würden dort viel weniger Arme wohnen - und damit auch viel weniger Arme "diskriminiert" werden.

Hat man sie aber erst einmal quasi in die Stadt "gekarrt", muss man ihnen natürlich auch "Gleichberechtigung" verschaffen. Es reicht nicht mehr, überhaupt in der Stadt wohnen können (wo sie sich mit ihren beschränkten finanziellen Mitteln gerade noch knapp über Wasser halten können) - nein, dass Arme an heissen Innenstadtlagen ausharren müssen und Reiche in kühleren "Villenquartieren" wohnen dürfen, gilt als die neuste Form der Ungerechtigkeit.

Oder anders gesagt: Mit dem Essen kommt der Appetit. War man einst schon zufrieden, überhaupt in der Stadt wohnen zu können, erhebt man nun - erst noch verklausuliert - den Anspruch, auch in den Villenquartieren zu hausen. Der Mensch, man weiss es zur Genüge, ist eben ein nimmersattes Tier.

Doch vielleicht ist die Logik ja genau umgekehrt: Es ist ungerecht, dass Reiche in kühleren Villenquartieren wohnen dürfen, gleichzeitig sollen die Städte wachsen - also weg mit den Villen! (Und auch dort verdichtet bauen.) Dann haben zwar am Schluss alle heiss - aber das ist wenigstens "gerecht". Getreu dem sozialistischen Motto, dass besser alle gleich arm, als einige arm und andere reich sind.

Bloss einfach auf's Land zu ziehen, wem es in der Stadt im Sommer zu heiss wird - eine so schlichte Lösung kommt, da es hier um das überaus schwerwiegende Thema "Gerechtigkeit" geht, natürlich nie und nimmer in Betracht!

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Autor/in
Thomas Baumann

Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.

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