Es ist Sonntag. Das bedeutet: Es kann angebliche Neuigkeit über Pierin Vincenz geben. Diesmal sogar im Chor von verschiedenen Medien. Dabei ist nach wie vor unklar, ob überhaupt tatsächlich irgendwann Klage erhoben wird.
«Die Untersuchungen gegen Pierin Vincenz laufen weiterhin auf Hochtouren», konstatiert die «SonntagsZeitung». «Hinter verschlossenen Türen laufen die Untersuchungen auf Hochtouren», echot die «NZZamSonntag».
So verschlossen scheinen die Türen bei der Staatsanwaltschaft aber nicht zu sein. Denn beide Blätter berichten im Duett von einer «Ausweitung des Falls Raiffeisen». Zur Erinnerung: Nach einer im November 2017 abgeschlossenen Untersuchung der Bankenaufsicht Finma wurden Ende Jahr Strafanzeigen gegen den ehemaligen Raiffeisen-Boss Vincenz, seinen Kompagnon Beat Stocker und eine Anzahl weiterer Personen eingereicht.
Der Verdacht: ungetreue Geschäftsbesorgung. Also die Vermutung, Vincenz habe bei der Übernahme von Firmen durch Raiffeisen ohne das Wissen seines Arbeitgebers in den eigenen Sack gewirtschaftet. Ende Februar 2018 erfolgte dann der Donnerschlag: Vincenz und Stocker wurden frühmorgens von der Polizei aus dem Bett geholt, nach Zürich spediert und anschliessend für mehrere Monate in Untersuchungshaft gehalten.
Gleichzeitig wurden ihre Wohnungen und Büros durchsucht, Unmengen an Daten sichergestellt. Es war das erste Mal in der jüngeren Bankengeschichte der Schweiz, dass ein ehemaliger Bankenlenker, der zudem im Gegensatz zu seinen Kollegen bei den beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse, sehr erfolgreich war, in den Knast musste. Natürlich galt und gilt die Unschuldsvermutung. Theoretisch.
In Wirklichkeit ist Ruf und Karriere bei beiden zerstört, unwiederbringlich. Und durch die Anordnung von U-Haft setzte sich der ermittelnde Staatsanwalt selbst unter Druck, endlich einmal ein Verfahren im Finanzbereich zur Anklage und zu einer Verurteilung zu bringen. Bereits zwei Mal war er in der Vergangenheit daran gescheitert; einmal musste er sich sogar vom Gericht sagen lassen, dass die von ihm vertretene Anklage gar nicht erst zu einem Prozess hätte führen sollen, so inhaltsleer war sie.
Um die Öffentlichkeit bei Laune zu halten, liess die Staatsanwaltschaft auch in der Vergangenheit immer wieder Informationen durchsickern, meistens an die «SonntagsZeitung». So zitierte die schon genüsslich aus einer angeblichen Spesenabrechnung von Vincenz, die nur aus einer Zahl und seiner Unterschrift bestanden habe. Natürlich streitet die Staatsanwaltschaft ab, aber woher soll die Kenntnis solcher Unterlagen sonst kommen?
Verbunden mit dem möglichen Schwenk auf Spesenbetrug, was viel einfacher nachzuweisen wäre als ungetreue Geschäftsbesorgung, leiert die Staatsanwaltschaft immer wieder den gleichen Spruch; es werde intensiv untersucht, der Fall sei bereits sehr weit fortgeschritten, es sei demnächst mit einer Anklage zu rechnen. Im Frühherbst 2018, spätestens vor Ablauf 2018, ganz sicher im Frühjahr 2019, bestimmt vor der Sommerpause, höchstwahrscheinlich im Herbst, vielleicht auch erst im Frühling 2020, unter Umständen auch später.
Für den Nachweis einer ungetreuen Geschäftsbesorgung reicht eben nicht, dass Vincenz sein Gehalt möglicherweise über den Strohmann Stocker aufbesserte. Es muss ihm bewiesen werden, dass er auch seinen Arbeitgeber geschädigt hat. Machten aber bei diesen Ankäufen beide Gewinn, war das zwar moralisch mehr als fragwürdig, aber nicht strafbar. Das ist das eine Problem der Staatsanwaltschaft.
Das andere: Die Beschuldigten wagen es doch tatsächlich, sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu wehren. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber im Tonfall des leisen Vorwurfs wird immer wieder erwähnt, dass beide die Versiegelung der bei ihnen beschlagnahmten Daten verlangt und erhalten haben. Daher muss sich die Staatsanwaltschaft den Zugang erst vor Gericht erkämpfen.
Da trifft es sich gut, wenn die Eröffnung eines Strafverfahrens in Liechtenstein, die Berichterstattung über eine «bisher unbekannte Strafanzeige gegen Vincenz» zum Anlass genommen werden kann, den Fall am Köcheln zu halten. Vincenz hat bislang eisern geschwiegen, abgesehen von einer kurzen Erklärung nach seiner Entlassung aus der U-Haft, dass er diese Erfahrung niemandem wünsche.
Die Staatsanwaltschaft will aber offensichtlich mit diesen Informationsbrocken und mit der ewigen Ankündigung, dass es nun aber demnächst zur Anklage komme, wobei unter Hochdruck gearbeitet werde, davon ablenken, dass sich hier die nächste Klatsche gegen den ermittelnden Staatsanwalt abzeichnet.
Man darf auch nicht vergessen: Selbst wenn tatsächlich einmal Anklage erhoben werden sollte, diese auch zugelassen wird, dann gibt es ein Gerichtsverfahren, das aus heutiger Sicht frühestens im Sommer 2020 beginnen kann. Und bis zu einem rechtsgültigen Urteil, falls eine der Parteien oder beide den Instanzenzug benützen, dauert es dann nochmal ein paar Jährchen.
Ohne Vincenz und seinen Kompagnon in irgendeiner Form salvieren zu wollen, und unter klarer Verurteilung einiger seiner Geschäftspraktiken: Das hat wirklich niemand verdient.
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