Das Appenzellerland war bisher im Bundesrat übervertreten. St.Gallen und der Thurgau haben Nachholbedarf. Das zeigt die Analyse eines Politikwissenschaftlers. Die Frage ist nur, was das für die gesamte Ostschweiz heisst. Denn in anderen Regionen ist das Bild identisch.
Der Politikwissenschaftler Sandro Lüscher hat eine Fleissarbeit hinter sich. Er hat berechnet, wie unter- beziehungsweise überrepräsentiert die Kantone bezogen auf ihre Bevölkerungszahl beim Thema «Vertretung im Bundesrat» in der Geschichte waren.
Die Übersicht ist damit aussagekräftiger als die bisherigen Zahlen. Die Milchbuchrechnung «wie viele Bundesräte stammten aus welchem Kanton» steht nicht im Zusammenhang mit der Grösse der Bevölkerung. Das Ergebnis ist ein Zerrbild, das die eigentlichen Kräfteverhältnisse nicht berücksichtigt.
Lüscher hat als Massstab den landesweiten Durchschnitt der durch einen Bundesrat vertretenen Bevölkerung genommen; Grundlage war die Bevölkerungszahl 2016, die Zahlen stammten vom Bundesamt für Statistik. Daraus leitet der Politikwissenschaftler nun ab, welche Kantone über diesem Schweizer Durchschnitt liegen - und welche darüber.
Die Grafik zeigt das auf einen Blick: Rot bedeutet unterrepräsentiert, blau überrepräsentiert. Je stärker der Farbton, desto stärker das «zu viel» beziehungsweise «zu wenig».
Die Resultate aus Ostschweizer Optik: Appenzell Innerrhoden als bevölkerungsmässig kleinster Kanton der Schweiz war bisher stark übervertreten im Bundesrat, Ausserhoden etwas weniger stark, aber immer noch sehr gut bedient.
Der Thurgau war bisher leicht unterrepräsentiert im Bundesrat, für St.Gallen trifft das stärker zu. Von hier kamen klar weniger Bundesräte als im schweizweiten Schnitt.
Die Frage, ob die Ostschweiz wieder einen Bundesrat «verdient» hat, ist damit etwas zu relativieren: Mit Blick auf zwei Kantone ganz klar, mit Blick auf die anderen beiden eher Nein. Versteht man Schaffhausen als Teil der Ostschweiz, ist das Bedürfnis wieder ausgewiesener, auch dort liegt der Wert unter dem Schnitt.
Dieser «Mix» trifft auf die meisten Regionen zu. Die Nordwestschweiz hat auch einen gewissen Nachholbedarf: Aargau und Basel-Baselland waren bisher klar unterrepräsentiert. Würde man aber Solothurn als Referenz nehmen, sieht das anders aus.
Ähnlich in der Zentralschweiz. Schwyz und Nidwalden haben allen Grund, sich zu beklagen, Obwalden hingegen nicht. Das alles macht die Frage «welche Region hat einen Bundesrat verdient» nicht einfacher.
Bei einer anstehenden Bundesratswahl hilft die Karte des Politikwissenschaftlers allerdings nur bedingt. Dort können «Lücken» nicht einfach nach Statistiken gefüllt werden, entscheidend ist auch, aus welchen Regionen die gerade amtierenden Bundesräte stammen. Die historische Aufarbeitung hat im aktuellen Fall nicht viel zu sagen.
Die Übervertretung in kleinen Kantonen wie Innerrhoden und Ausserrhoden ist schnell erklärt: Wenn ein Kanton wie Innerrhoden innerhalb weniger Jahre zwei Bundesräte stellt, wie das der Fall war, katapultiert das den Wert aufgrund der tiefen Bevölkerungszahl sofort in die Höhe. St.Gallen aber als Zentrum einer Grossregion ist bisher bescheiden berücksichtigt worden - in einer Dimension wie sonst nur noch das Wallis und der Aargau.
Insofern müsste man die Schlussfolgerung ziehen: Die Ostschweiz hat einen Bundesratssitz verdient, aber man muss diskutieren, aus welchem Kanton. Käme wieder ein Innerrhoder, wäre ein tiefblauer Fleck das Ergebnis...
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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