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DG: DG: Politik

Irgendwann ist jede Zitrone ausgepresst

Das Hauptproblem der vom Stadtrat beklagen Zentrumslasten ist nicht die mangelnde Zahlungsbereitschaft der Agglomerationsgemeinden, sondern die fehlende Kostenwahrheit bei der staatlichen Leistungserbringung.

Kurt Weigelt am 10. Juni 2023

Dies gelesen: «Der St.Galler Stadtrat hat die Zentrumslasten der Stadt neu erheben lassen. Die Studie zeigt: Die Stadt erbringt jedes Jahr Leistungen von 12 Millionen Franken, für die sie nicht entschädigt wird.» (Quelle: www.tagblatt.ch, 23.5.2023)

Das gedacht: Mit einer kürzlich publizierten Studie versucht der St.Galler Stadtrat aufzuzeigen, dass jede Einwohnerin und jeder Einwohner der Stadt die Kultur- und Freizeitaktivitäten der Besucher von ausserhalb jährlich mit 160 Franken finanziert.

Dies, weil beispielsweise im Naturmuseum drei Viertel der Besucherinnen und Besucher in den Agglomerationsgemeinden, den benachbarten Kantonen und der übrigen Schweiz wohnen. Betriebsbeiträge bekommt das Naturmuseum jedoch, abgesehen von einem Zustupf aus dem kantonalen Lotteriefonds, ausschliesslich von der Stadt.

Für den Stadtrat steht deshalb fest, dass die Stadt St.Gallen über den Finanzausgleich mehr Geld vom Kanton erhalten sollte. In dieser Betrachtungsweise geht allerdings eine andere, nicht weniger entscheidende Asymmetrie bei der Subventionierung staatlicher Institutionen vergessen.

Die Finanzierung von Kultur- und Freizeitaktivitäten über Steuergelder hat zur Folge, dass indirekt auch all diejenigen zur Kasse gebeten werden, die am entsprechenden Angebot gar nicht interessiert sind. Nichtschwimmer finanzieren das Hallenbad Blumenwies mit. Junge Menschen, die einen Kinobesuch einer Gemäldeausstellung vorziehen, beteiligen sich über ihre Steuern am Museumsbesuch von Kunstbegeisterten. Vergleichbares gilt für alle Personen, die lieber ans Open Air statt ins Theater, in die Grabenhallte oder ins Palace gehen. Und so weiter.

Das Hauptproblem der vom Stadtrat beklagen Zentrumslasten ist nicht die mangelnde Zahlungsbereitschaft der Agglomerationsgemeinden und der benachbarten Kantone, sondern die fehlende Kostenwahrheit bei der staatlichen Leistungserbringung.

Dies zeigt stellvertretend für alle mit Steuergeldern finanzierten Kultur- und Freizeiteinrichtungen das bereits angesprochene, publikumsmässig sehr erfolgreiche Naturmuseum: Die Besucherinnen und Besucher bezahlen mit ihren Eintritten lediglich 20 Prozent der effektiven Betriebskosten. Die restlichen 80 Prozent finanzieren die Stadtsanktgallerinnen und Stadtsanktgaller mit ihren Steuergeldern.

Um die vom Stadtrat beklagten Probleme bei der Finanzierung angeblicher Zentrumslasten zu lösen, braucht es nicht zusätzliche kantonale und ausserkantonale Subventionen, sondern eine ehrliche Preisgestaltung mit kostendeckenden Eintrittspreisen. Wer profitiert, bezahlt. Unabhängig vom Wohnort.

Nun wird man dieser Argumentation entgegenhalten, dass sich unter diesen Umständen nur noch wenige Personen einen Theaterbesuch oder den Eintritt ins Hallenbad leisten können. Auch für diese Herausforderung gibt es jedoch Lösungen, die seit Jahrzehnten auf dem Tisch liegen.

Dazu gehören Gutscheinsysteme. In einer zeitgemässen Variante erhält jede Einwohnerin und jeder Einwohner der Stadt von den Behörden eine digitale Bonuskarte mit einem festen Guthaben. Dieses kann bei den von der Politik legitimierten Anbietern eingelöst werden. Wer das Schauspiel oder die Oper liebt, finanziert sich damit Theatereintritte. Andere werden das Guthaben für den Besuch von Handballspielen einsetzen. Wieder andere bezahlen damit den Eintritt für das Konzert von «Marius und die Jagdkapelle» im Palace.

Dabei kann davon ausgegangen werden, dass auch die Agglomerationsgemeinden ihre Einwohnerinnen und Einwohner mit Bonusguthaben für die kulturellen und freizeitorientierten Angebote der Stadt bedienen werden. Die Erwartungshaltung der eigenen Bevölkerung wird dafür sorgen, dass das Trittbrettfahren nicht mehr im gleichen Umfang wie bisher möglich sein wird.

Darüber hinaus werden sich Institutionen, die nicht mehr auf die Nähe zur Politik, sondern auf den Erfolg beim Publikum angewiesen sind, in besonderem Masse um die Bedürfnisse ihrer Kundinnen und Kunden kümmern. Ein Mehrwert für alle Beteiligten und eine Chance für neue und alternative Angebote.

Jeder Systemwechsel ist alles andere als einfach. Aber machen wir uns nichts vor. Wer glaubt, mit immer weiteren Subventionen und immer mehr Umverteilung die finanziellen Herausforderungen unseres Staatshaushalts bewältigen zu können, wird Schiffbruch erleiden. Irgendwann ist jede Zitrone ausgepresst.

Wir tun deshalb gut daran, bereits heute über alternative Finanzierungsmodelle nachzudenken. Im Interesse einer vielfältigen Kultur und im Interesse von grossartigen Freizeitangeboten. Und nicht zuletzt im Interesse einer innovativen, zukunftsorientierten Stadt St.Gallen.

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Autor/in
Kurt Weigelt

Kurt Weigelt, geboren 1955 in St. Gallen, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Seine Dissertation verfasste er zu den Möglichkeiten einer staatlichen Parteienfinanzierung. Einzelhandels-Unternehmer und von 2007 bis 2018 Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell. Für Kurt Weigelt ist die Forderung nach Entstaatlichung die Antwort auf die politischen Herausforderungen der digitalen Gesellschaft.

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