Die Mietzinsen steigen stetig, die Nebenkosten auch. Zudem ist mancherorts der Wohnraum knapp. Wie sieht die Situation in der Ostschweiz aus? Wir haben mit Thomas Schwager gesprochen. Er ist Geschäftsleiter der Sektion Ostschweiz des Mieterverbands.
Herr Schwager, die Schweiz klagt über knappen Wohnraum. Wie sieht die Lage in der Ostschweiz aus?
Die Ostschweiz steht natürlich nicht ganz so stark unter Druck wie die grossen Zentren Zürich, Basel, Bern oder gar Genf. Das lässt sich auch am Organisationsgrad der Mieterinnen und Mieter ablesen: So ist jeder fünfte Haushalt in Genf Mitglied unseres Verbands. In der Ostschweiz liegt dieser Wert deutlich tiefer.
Gibt es bestimmte Konstellationen, zum Beispiel eine Familie mit zwei Kindern oder Singles, für die es zu wenig Wohnungen auf dem Markt gibt?
Unsere Hauptaufgabe liegt in der Beratung aller Mietenden, unabhängig von Einkommen oder der Grösse des Haushalts. Die Beratungsthemen drehen sich dabei nicht nur um die Höhe der Mieten, sondern auch um die Zulässigkeit verrechneter Nebenkosten, bestehenden Mängeln an der Mietsache oder auch Auseinandersetzungen mit den lieben Nachbarn.
Es gibt nicht per se zu wenig Wohnungen. Knapp ist aber das Angebot für Mietende mit unterdurchschnittlichen Einkommen. Von den aktuell stark steigenden Mieten besonders betroffen sind Haushalte mit kleinen Einkommen, insbesondere Familien mit Kindern, Alleinerziehende sowie Rentnerinnen und Rentner ohne oder mit nur kleinen Pensionskassenleistungen.
Laut Informationen von Homegate sollen die Mieten seit letztem Dezember um durchschnittlich 1.8 Prozent gestiegen sein. Erlebten die Ostschweizer Regionen eine ähnliche Preisentwicklung?
Dieser Wert betrifft einzig Angebotsmieten. Das Problem ist aber grundsätzlicher und betrifft die ganze Schweiz: Es fehlen wirksame Mietpreiskontrollen! Der Referenzzinssatz lag bei seiner Einführung im Jahr 2008 bei 3.5 Prozent und sank seither kontinuierlich auf 1.25 Prozent. Die Mieten müssten darum heute um über 30 Prozent tiefer liegen als vor rund 15 Jahren. Das Gegenteil ist aber der Fall: Während der Landesindex der Konsumentenpreise (ohne Wohnungsmiete) zwischen 2005 und 2021 praktisch stabil blieb (plus 0.35 Prozent), stieg der Mietpreisindex um über 22 Prozent. Die Vermieterschaft profitierte damit von missbräuchlichen Renditen auf dem Wohnungsmarkt. Und wird das weiterhin tun, wenn sich die Mieterinnen und Mieter nicht wehren.
Was ist Ihr Tipp, wenn meine Vermieterin die Miete erhöht und mir das ungerechtfertigt vorkommt?
Nach Erhalt einer Mietzinserhöhung haben Mietende 30 Tage Zeit, sich gegen eine allenfalls missbräuchliche Berechnung zu wehren. Danach gilt die höhere Miete als akzeptiert, ob zu Recht oder nicht. Der Mieterverband bietet auf seiner Website www.mieterverband.ch einen Mietzinsrechner an, mit dem sich in wenigen Minuten eine Mietzinserhöhung überprüfen lässt.
Sind Wohnungsmieten grundsätzlich zu teuer?
Eindeutig ja: Vielen Mieterinnen und Mietern wurde in den letzten Jahren trotz sinkendem Referenzzinssatz keine Reduktion des Mietzinses gewährt. Pro Jahr wechseln ungefähr 10 Prozent aller Mietenden ihre Wohnung. Beim Mieterwechsel basiert der neue Vertrag auf dem aktuell gültigen und damit tieferen Referenzzins. Im besten Fall blieb die Nettomiete dabei unverändert. Meist wurde aber die genau gleiche Wohnung zu einem höheren Mietpreis vergeben (Stichwort Angebotsmiete). Darum kostet heute jede Mietwohnung im Schnitt monatlich 370 Franken mehr als noch im Jahr 2005.
Inwiefern belasten ansteigende Nebenkosten das Budget der Ostschweizer Mieterschaft? Werden Sie deswegen häufiger kontaktiert?
In schlecht isolierten Altbauten wird deutlich mehr Energie verbraucht. Genau dort wohnen aber grösstenteils Menschen mit knappen Budgets. Die gestiegenen Energiepreise treffen darum die sozial Schwachen weit überproportional. Vermieterinnen und Vermieter von Altbauten verrechnen Nebenkosten häufig über Pauschalen. Diese sind in der Regel so angesetzt, dass eher mehr als weniger der tatsächlich anfallenden Kosten gedeckt sind. Im Gegenzug konnte die Mieterschaft mit fix vereinbarten Nebenkosten rechnen. Vor allem im letzten Herbst versuchten viele Vermieterinnen und Vermieter darum, eine höhere Pauschale geltend zu machen. Andere Vermieter wollten von der pauschalen auf eine verbrauchsbasierte, individuelle Abrechnung umstellen. In beiden Fällen empfiehlt es sich, diese einseitige Vertragsänderung mietrechtlich zu überprüfen.
Aufgrund der vielen Beratungsanfragen rund um Nebenkosten haben wir für unsere Mitglieder in verschiedenen Zentren der Ostschweiz sieben Infoabende mit jeweils bis zu 50 Personen durchgeführt.
Grundsätzlich: wo ist Wohnraum in der Ostschweiz am günstigsten?
In Altbauten auf dem Land ohne gute ÖV-Erschliessung oder in den Städten an stark befahrenen Strassen.
Und wo findet man genügend freie Wohnflächen?
Wer es sich leisten kann, findet in der Ostschweiz ohne grosse Probleme eine Wohnung.
** Wie setzt sich der Verband für seine Mitglieder ein? Wie viele Mitglieder haben sich der Sektion Ostschweiz angeschlossen?**
Unser Sektionsgebiet umfasst die Kantone St.Gallen, Thurgau, die beiden Appenzell und Glarus mit aktuell gegen 9000 Mitgliedern, Tendenz steigend: Allein dieses Jahr konnten wir bisher 700 neue Mitglieder begrüssen. Grundsätzlich bieten wir mit unserer Rechtsberatung Hilfe zur Selbsthilfe, und wenn es notwendig wird, anwaltschaftliche Unterstützung vor Gericht.
Was bringt einer Mieterin die Mitgliedschaft beim Mieterverband und was kostet sie?
Auf unserer Website www.mieterverband.ch stehen viele Informationen auch Nicht-Mitgliedern kostenlos zur Verfügung. Mitglieder erhalten kostenlose Rechtsberatung, sei es telefonisch, per E-Mail oder auch persönlich. Bei schwierigen Mietverhältnissen begleiten unsere Wohnfachpersonen Mietende bei der Wohnungsabgabe. Unsere Verbandszeitschrift beschäftigt sich mit Themen rund um Mieten und Wohnen und erscheint sechsmal pro Jahr. Der Mitgliederbeitrag beträgt 70 Franken pro Kalenderjahr. Ab Mitte September gilt der Beitrag auch schon für das Folgejahr.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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