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Zeyer zur Zeit

Jahrmarkt der Eitelkeiten

Die Krise der Schweizer Medien präsentiert sich beim Berset-Walder-Skandal in aller nackten Hässlichkeit. Woher sollen denn News kommen, bei zum Skelett totgesparten Redaktionen?

«Die Ostschweiz» Archiv am 20. Januar 2023

Eine Woche, ein Monat Recherchierzeit? Reisebewegungen, Spesen, Informationshonorare? Davon können heutzutage die journalistischen Kindersoldaten in ihren Verrichtungsboxen in der Hölle des Newsrooms nur noch träumen.

Mr. Google und Mrs. Skype, das sind die beiden erlaubten Recherchier-Helfer. Falls das Zusammenschnipseln von Ticker-Meldungen der SDA dazu noch Zeit lässt. Das «Experten-Interview» ist dann noch das Sahnehäubchen auf der journalistischen Glanzleistung des Tages.

Wie viel Zeit hat der Leser auf den Meldungen des Redaktors verbracht? Das ist das wichtigste Messkriterium für die Performance. Inhalt, gedankliche Tiefe, analytische Schärfe, Einordnung, Gewichtung, davon sorgfältig getrennt die Meinung, der Kommentar? Das sind Begriffe aus dem letzten Jahrhundert, heutzutage ist der Konzernjournalismus des Duopols Tamedia und CH Media schon viel weiter. Viel weiter unten.

Zwei Zentralredaktionen mit immer noch viel zu vielen Kostenträgern beschallen die ganze Deutschschweiz. Einzig verbliebene Konkurrenz ist noch SRF. Aber ein Newsproduzent, bei dem auf jeden journalistisch Tätigen fast zwei Bürogummis kommen, kann ja nicht wirklich Ernsthaftes produzieren. Ausser Konkurrenz läuft die NZZ, das Denkerblatt für die Happy Few. Auch nur noch ein Schatten von früher, aber ein grosser Schatten.

Hinzu kommt, dass durch das Internet und die Social Media die Newsproduktion viel hektischer und kreischiger geworden ist. Erregungsbewirtschaftung nennt sich das, Kampf um Aufmerksamkeit. Wer in der Newsflut nicht untergehen will, muss lauter, bunter, zugespitzter sein als die Konkurrenz.

Das alles sind Erscheinungen des Zeitgeists, lamentieren nützt nicht viel. Aber der sogenannte Qualitätsjournalismus, der von seinen Konsumenten Geld fordert, hat ein gravierendes Problem. Womit unterscheidet er sich vom überwältigenden Gratis-Angebot auf allen Kanälen?

Da gibt es seit einiger Zeit einen Heilsbringer. Der heisst vornehm «Leak», wichtigtuerisch «Paper». In Wirklichkeit handelt es sich jeweils um gestohlene Geschäftsunterlagen, die aus unbekannten Motiven anonym an die Medien durchgestochen werden. Die nehmen die hingeworfenen Knochen dankbar auf, nagen sie an und ab, machen ein Riesen-Hallo daraus und spielen fröhlich Ankläger, Richter und Henker in einer Person. Stolzieren stolz wie Pfau in diesem Jahrmarkt der Eitelkeiten umher.

Der Aufwand dafür hält sich, dank meist internationaler Arbeitsteilung, in erträglichen Grenzen. Die Wirkung der damit aufgebauschten «Skandale» allerdings auch. Hand aufs Herz, können Sie ohne zu zögern die Themen der letzten drei grossen «Enthüllungen, Entlarvungen, Aufdeckungen» nennen? Eben.

Was im Grossen gilt, funktioniert auch im Kleinen. Recherchieren im Sinne von harte Bretter Bohren, das war gestern. Dokumente suchen, Zusammenhange erstellen, sich durch ellenlange Geschäftsberichte wühlen, sich durch Dementis und Einseifungen der Medienstellen kämpfen, das war gestern.

Heute freut sich der überlebende Redaktor, wenn das Handy klingelt und ein Einflüsterer «exklusiv» ein Informationshäppchen anbietet. Dabei die Buzzwords «Primeur, vertraulich, nur für Sie» verwendet. Dieses Anfüttern kann ohne die Einforderung einer Gegenleistung erfolgen. Der Einflüsterer möchte einfach seine Information mit seinem Dreh in die Öffentlichkeit bringen.

Nun könnte der Journalist schreiben: «Wie mir eine Quelle steckte.» Das tut er aber nicht, sondern er flötet: «Aufgrund eigener Recherchen dieser Zeitung ...» Oder er bleibt näher im Streubereich der Wahrheit: «Wie zwei voneinander unabhängige, vertrauenswürdige Quellen die Recherchen dieser Zeitung bestätigten ...»

Etwas anders sieht es bei einem institutionalisierten Kontakt aus. Jeder Politiker, jeder Entscheidungsträger, jedes Mitglied von Führungsetagen in der Wirtschaft und im Staat weiss um die Wichtigkeit der Medien. Entweder, damit sie seine Entscheidungen in der Exekutive möglichst freundlich bejubeln. Oder, dass sie seine Existenz als Parlamentarier, als Mitglied einer Teppichetage überhaupt zur Kenntnis nehmen.

Bei alleine 246 Parlamentariern auf Bundesebene und Tausenden auf Kantons- und Gemeindeniveau ist die Konkurrenz mörderisch, ebenfalls unter den Tausenden von KMU in der Schweiz.

Sozusagen auf höchster Ebene ist ein Kriterium entscheidend. Wer hat die persönliche Handy-Nummer von wem? Und wer nimmt den Anruf entgegen, wenn wer anruft? Dabei gilt es natürlich, eine strikte Kleiderordnung zu beachten. Chefs reden nur mit Chefs. Wenn also, rein theoretisch, Bundesrat Alain Berset sein Missbehagen an einem Artikel zum Ausdruck bringen will, dann ruft er Marc Walder, den CEO von Ringier, an. Der nimmt selbstverständlich das Handy in die Hand.

Wenn man sich, rein theoretisch, über die grossen Linien einig ist, dann erledigen der Kommunikationsmensch von Berset mit dem Oberchefredaktor der Blick-Gruppe gemeinsam das Tagesgeschäft.

Da die Medienszene in der Deutschschweiz sehr übersichtlich geworden ist, reicht eigentlich die Kenntnis von haargenau 8 Handynummern. Bigboss Pietro Supino und Oberchefredaktor Arthur Rutishauser bei Tamedia. Bigboss Peter Wanner und Oberchefredaktor Patrik Müller bei CH Media. Eric Gujer bei der NZZ. Ein Lebrument bei der Südostschweiz. CEO Marc Walder und Oberchefredaktor Christian Dorer bei Ringier. Bei führenden SVP-Exponenten ist die Nummer von Roger Köppel auf Kurzwahl gespeichert, sonst eher weniger.

Und diese Herren geben dann die empfangenen Informationen und Anregungen direkt an die Redaktionen weiter? Genau, so einfach ist das. Natürlich nicht so direkt. Walder würde nie dem «Blick» sagen: «Berset wird morgen mit wichtiger Miene Maskenzwang verkünden. Schreibt was Nettes dazu.» Denn hier geht es darum, was der «Blick» gerade gequält vorexerziert.

Hier geht es darum, öffentlich zwar verkrampft, aber tapfer behaupten zu können, dass die Redaktionen völlig unabhängig von Verlag, Besitzern oder Grossinserenten ausschliesslich nach journalistischen Kriterien im Dienste der Leserschaft arbeiten würden.

Wir wischen uns die Lachtränen aus den Augen und fahren fort: diese «Weisungen» erfolgen natürlich so, dass es im worst case die Möglichkeit der «plausible deniabilty» gibt, der glaubwürdigen Abstreitung. Der Chefredaktor, der Redaktor muss immer behaupten können: niemals nicht hat mein flammendes Plädoyer für einen EU-Beitritt der Schweiz irgend etwas mit der Auffassung von Verleger oder Besitzer zu tun, niemals würde ich von denen Befehle entgegennehmen.

In Wirklichkeit wird im Notfall im Lift unter vier Ohren, bei einem Businesslunch, wenn es Umfangreicheres zu besprechen gibt, die Generallinie vorgegeben. Denn die grosse Kunst eines der wenigen verbleibenden Oberchefredaktoren ist längst nicht mehr, staatstragende Kommentare zu schreiben oder dafür zu sorgen, dass jeden Tag unfallfrei eine Zeitung erscheint. Die grosse Kunst ist, ihnen vorgegebene Meinungen und Positionen als eigene zu verkaufen. Zugesteckte Informationen als dem eigenen Beziehungsnetz entsprungen.

Dass politische und wirtschaftliche Führungsfiguren die Medien beeinflussen wollen und können, ist kein Geheimnis. Dass die privaten Besitzer der grossen Medienkonzerne nur sehr ungern ihren Auffassungen diametral widersprechende Artikel in ihren Blättern lesen möchten, ist trivial.

Dass dennoch immer wieder und von allen so getan wird, als sei das nicht so, oder wenn, dann nur bei dem jeweils Ertappten, das hingegen ist reine Leserverarschung. Ein Eingeständnis dieser Abhängigkeiten wäre wenigstens ehrlich und würde die Glaubwürdigkeit ungemein erhöhen. Aber leider hofft die Chefetage in den Medienkonzernen nicht auf die Intelligenz, sondern auf die Dummheit ihrer Leser und Hörer. Ein schwerer Fehler, aber nicht der einzige.

Den Vogel schoss, wie meist, Tamedia ab. Im Tagi und anderswo zeigte man so demonstrativ mit dem Zeigefinger auf die bösen Buben vom «Blick», auf die journalistisch Randständigen von Ringier, dass sich in der eigenen Leserschaft ein Shitstorm erhob. Was denn am ständigen Ausschlachten von anonym zugesteckten Datenbergen anders sei. Daraufhin entblödete sich die Redaktion nicht, nochmals darauf hinzuweisen, dass wenn zwei das Gleiche tun, das dann überhaupt nicht das Gleiche sei, im Fall.

Dabei wäre es doch ganz einfach: das Verwenden zugesteckter News ist völlig unproblematisch. Wenn man die Tatsache und mögliche Motive der Quelle dem Leser gegenüber transparent ausweist. Also genau das täte, was alle sogenannten Qualitätsmedien konsequent vermeiden.

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