Das Ländle kehrt zu seinen Wurzeln im mittelalterlichen Absolutismus zurück.
Liechtenstein will ein sauberer Finanzplatz mit Rechtstaatlichkeit, unabhängiger Justiz und einem modernen Fürsten sein. Wer hier sein Geld lagert, kann darauf vertrauen, dass alles mit rechten Dingen zu und hergeht.
Dass oberhalb von Vaduz eine mittelalterliche Trutzburg am Berghang klebt, sollte den Investor, Stifter oder alle, die nach einem sicheren Hafen für ihr Geld in unsicheren Zeiten suchen, nicht abschrecken. Hier herrscht zwar noch ein absolutistischer Fürst, aber eben in der modernen Ausgabe.
Er könnte zwar jedem Gesetz seine Unterschrift verweigern und es damit nicht in Kraft setzen. Er könnte zwar das Resultat jeder Volksabstimmung nicht anerkennen und damit ungültig machen. Er könnte das Parlament überstimmen und sogar ihm unliebsame Regierende abservieren. Schliesslich heisst hierzulande die Gerichtsbarkeit Fürstliches Landgericht, Fürstliches Obergericht und Fürstlicher Oberster Gerichtshof.
Hier richten fremde Richter, meistens aus Österreich importiert. Sie sind keine Beamte, sondern Angestellte, die vom Richterauswahlgremium, dem zum Teil Rechtsanwälte und Treuhänder angehören, gewählt werden. Vorsitzender des Richterauswahlgremiums ist der Fürst höchstselbst.
Damit jeder weiss, wer in Liechtenstein auch in der Justiz das Sagen hat, ergeht jedes Urteil «im Namen von Fürst und Volk». Wohlgemerkt in dieser Reihenfolge. Auf Anfrage lässt der Erbprinz huldvoll ausrichten, dass er sich selbstverständlich nicht in die unabhängige dritte Gewalt, die Rechtsprechung, einmische. Eine etwas merkwürdige Behauptung, wo doch alle Urteile in seinem Namen ergehen.
Auch ein Urteil, das eine vorher bestehende Rechtssicherheit beseitigte und juristisch verklausuliert die Rückkehr in mittelalterliches Willkürrecht einleitet. Es geht um das Stiftungsrecht im Ländle.
Nachdem Stiftungen durch den Beitritt Liechtensteins zum Automatischen Informationsaustausch ihre Attraktivität als Schwarzgeldbunker verloren, schrumpfte ihre Anzahl innert weniger Jahre von über 50'000 auf unter 9000. Gleich blieb aber die Anzahl von Treuhändern und Anwälten in Liechtenstein, die sich durch die Errichtung und Verwaltung dieser Stiftungen dumm und dämlich verdienten.
Inzwischen stehen aber diesen rund 140 Treuhändern, die obligatorisch in jeder Stiftung nach fürstlichem Recht Einsitz nehmen, weniger als ein Fünftel dieser Geldesel zur Verfügung. In ihrer Verzweiflung greifen sie daher gelegentlich auch zu unlauteren Methoden, um den dramatischen Einkommensverlust aufzufangen.
Denn wie liesse sich sonst der gewohnte Lebensstandard aufrecht erhalten? Einem Liechtensteiner Treuhänder gelang es zum Beispiel, die wohl vollständigste Sammlung von Rolls-Royce aufzubauen, die es auf der Welt gibt. Für sie liess er extra ein mehrstöckiges Museum bauen, um sich an ihnen erbauen zu können.
Aber leider, leider, 2021 kam diese Sammlung unter den Hammer; ihre edlen Stücke wurden auf einer Auktion versteigert. Während gegen den zuvor hochangesehenen Besitzer ein Verfahren wegen des Verdachts auf Untreue und Geldwäscherei läuft. Und läuft und läuft, denn solche Dinge werden im Namen des Fürsten eher gemächlich angegangen.
Andere Treuhänder, darunter auch ein fürstlicher Geheimrat und weitere Honoratioren, landeten im Knast, weil sie schlichtweg ins Kässeli gegriffen hatten. Raffiniertere Zunftgenossen bedienen sich des Tricks des sogenannten Dekantierens. Da sie als Stiftungsräte Vertretungsrecht für die Stiftung haben, giessen sie einfach den finanziellen Inhalt einer Stiftung in ein neues Gefäss um. Erkundigt sich dann der Stifter nach dem Verbleib seines Vermögens, wird ihm mit bedauerndem Achselzucken mitgeteilt, dass es weg sei, wohin, nun, da verbiete leider das Anwalts- und Geschäftsgeheimnis weitere Auskünfte.
Diese Methode sprach sich allerdings schnell herum, worauf immer mehr Stifter zur Gegenmassnahme griffen, dass sie selbst oder wenigstens ein Begünstigter auch im Stiftungsrat Einsitz nahm. Damit konnte den Treuhändern auf die Finger geschaut werden.
Doch dem Liechtensteiner Finanzingeniör ist nichts zu schwör. Wie wird er diesen unerwünschten Kontrolleur wieder los, der nicht nur Dekantieren verhindert, sondern auch unterbinden kann, dass sich der Treuhänder mit exorbitanten selbst zugebilligten Honoraren, üppigen Spesenreglementen und Jahrespauschalen gütlich tut?
Der Stifter oder der Begünstigte als Mitglied des Stiftungsrats muss weg, klare Sache. Er steht der gewohnten und ordentlichen Selbstbereichung im Wege. Nur, wie? Da kommt nun die fürstliche Justiz ins Spiel. Denn der störende Stiftungsrat kann selbst im Ländle nicht einfach mit einem Federstrich zum Teufel gejagt werden. Sondern er muss gerichtlich extrahiert werden. Nur, wie?
Da ist auch dem Justizingenieur im Ländle nichts zu schwör. Denn dieser Stiftungsrat ist ja zugleich Begünstigter. Aus dieser Konstellation kann ihm ein Richter im Namen des Fürsten (und des Volks) einen Strick drehen. Auf dem steht «blosser Anschein eines möglichen Interessenskonflikts». Was das ist? Völlig egal, wichtig ist: ein solcher Anschein von etwas Möglichem ist problemlos jedem und allem unterstellt.
Ein Blick in den Himmel kann ergeben, dass es dort den blossen Anschein eines möglichen Regens gibt, obwohl der Betrachter keinen Regenschirm hat. Eindeutiger Interessenskonflikt. So ungefähr. Nun könnte der unbescholtene Bürger meinen, dass es der Fürst doch sicher nicht zulässt, dass ein solcher Rückschritt in reine Willkür und Wildwest-Justiz durch alle Instanzen Bestand hat. Da täuscht er sich aber im Fürsten, denn auch dessen oberstes fürstliches Gericht schützte diesen Wildwest, mit dem dann ein missliebiger Stiftungsrat und Begünstigter aus seiner Stiftung rausgekübelt wurde.
Woraufhin sich dann die verbliebenen Liechtensteiner Stiftungsräte (also genauer gesagt einer, der dann einen zweiten an Bord holte) opulente Honorare in der Höhe von 50'000 Euro genehmigten. Pro Nase und Monat, wohlgemerkt, und das schon seit über einem Jahr. Gegenleistung? Mangels Kompetenz zerlegen sie das der Stiftung unterstellte Immobilienvermögen zu Kleinholz. Denn die Verwaltung von rund 900 Objekten übersteigt die Fähigkeiten eines harmlosen Liechtensteiner Anwalts, der schliesslich nur Geldzählen und das Verwenden von Textbausteinen zur Errichten einer Stiftung gelernt hat.
Passiert noch mehr im fürstlichen Wildwest-Ländle? Oh ja, denn dieses absonderliche Urteil muss ja juristisch gewürdigt und verteidigt werden. Zunächst wollte man es einfach unter den Teppich kehren. Aber nachdem kritische Publizität entstand, zeigt nun die publizierte Begründung dieses Skandal-Urteils des obersten Fürstengerichts in aller Klarheit, was man im Ländle von Rechtsstaatlichkeit hält:
«Eine Rechtsauffassung muss sich nicht zwingend auf eine bestimmte Gesetzesnorm stützen können, um verfassungskonform zu sein. Es ist gerade die Aufgabe jedes Gerichts, nicht nur die Gesetze auszulegen und damit zwangsläufig deren Normgehalt zu konkretisieren, sondern auch vorhandene Lücken mit derjenigen Regel zu füllen, die das Gericht als Gesetzgeber aufstellen würde.»
Wieder für Laien: Das heisst, falls existierende fürstliche Gesetze dem fürstlichen Gericht nicht passen, dann kann es drauf pfeifen. Das ist schockierend, weil es jede Rechtssicherheit auflöst. Wer meint, durch die existierenden fürstlichen Gesetze geschützt zu sein, wer meint, dass alles wie in einem zivilisierten Staat Recht und Gesetz unterworfen ist, wobei das Gericht dafür besorgt ist, nach diesen Gesetzen und innerhalb dieser Rechtsordnung zu entscheiden, sieht sich getäuscht.
Höchste Zeit, dass der Fürstenhof dieser Willkür-Justiz Einhalt gebietet. Glücklicherweise hat er die Befugnis und die Macht dafür. Bevor durch solche Wildwest-Justiz dem Finanzplatz Liechtenstein noch weiterer schwerer Schaden zugefügt wird. Denn welcher Stifter vertraut bei solchem Wildwuchs noch sein Vermögen einer Liechtensteiner Stiftung an? Denn wenn der Schein nicht trügt, läuft er ein grosses Risiko, sein Geld loszuwerden. Während die fürstliche Justiz Beihilfe leistet.
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