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Zeyer zur Zeit

Kann das Vadian-Denkmal bleiben?

Joachim von Watt war zweifellos ein bedeutender St. Galler. Ein Humanist, Reformator, Mediziner, Gelehrter und Bürgermeister. Aber reicht das heutzutage?

«Die Ostschweiz» Archiv am 11. August 2020

Auch in der Ostschweiz grassiert die «Black Lives Matter»-Bewegung. Mit viel Fleiss und wenig Sachverstand wird die Schweizer Vergangenheit durchforstet, um auf nicht aufgearbeitete rassistische, dunkle Flecken auf weissen Westen historischer Figuren aufmerksam zu machen.

Von Watt hat zunächst die Gnade der frühen Geburt. Er lebte von 1484 bis 1551, vor allem in St. Gallen. Seine umfangreichen Tätigkeiten als Gelehrter, Reformator und Politiker lasteten ihn offenbar so aus, dass keinerlei Beteiligung an Sklavenhandel bislang entdeckt wurde.

In seinen Werken beschäftigte er sich mit den Äbten des Klosters St. Gallen, haben wir hier endlich einen bedeutenden Schweizer aus der Vergangenheit, dem man nichts Schlechtes nachsagen kann?

Nun ja. Der unermüdliche St. Galler Kämpfer gegen Rassismus und Sklavenhandel Hans Fässler hat vor mehr als einem Jahr auf Zusammenhänge aufmerksam gemacht, die das Vadian-Denkmal ins Wanken bringen könnten. Wenn man seinen Anklagen nur mehr Aufmerksamkeit schenken würde.

Denn zu den ersten Sklavenhändlern, so Fässler, gehörte auch der St. Galler Kaufmann Hieronymus Sailer. Sailer (1484 bis 1559) arbeitete unter anderem am spanischen Hof in Madrid. Dort schloss er im Auftrag der Welser Handelsgesellschaft mit Spanien 1528 einen Vertrag zur Kolonialisierung Venezuelas ab. Der beinhaltete die Lizenz, 4000 Sklaven aus Afrika und 50 Bergleute aus Deutschland nach Venezuela verschiffen zu dürfen. Denn dort vermutete man das sagenumworbene Eldorado, das Goldland.

Das Unternehmen wurde 1556 erfolglos abgebrochen. Sailer verlegte schon lange vorher seine Tätigkeit nach Antwerpen. Dort geriet er in die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und den Habsburgern, was ihm eine Gefängnisstrafe und eine Busse von 60'000 Gulden einbrockte. Die mächtigen Augsburger Welser, in deren Familie Sailer eingeheiratet hatte, enterbten ihn daraufhin. 1559 starb er krank und ruiniert.

Schön, dass wir das nun wissen, aber was hat das mit Vadian zu tun? Ha, Vadian stand in einem «regen» Briefwechsel mit Sailer, weiss Fässler, und soll ihn zu allem zu als «Vetter» bezeichnet haben. Auch soll ihn Vadian in seinem Streit mit seinem Schwiegervater Welser unterstützt haben.

Wer sagt da «na und»? Die Familie von Watt war an der Diesbach-Watt-Handelsgesellschaft beteiligt. Niklaus von Diesbach (1430 bis 1475) war ihr Initiator. Zusammen mit den Gebrüdern von Watt blühte sie auf, auch Vadians Vater war hier beschäftigt. Man handelte mit ziemlich allem; Leinen, Korallen, Nelken, Wachs, Pelzen jeder Art. Die Geschäfte erstreckten sich von Warschau bis Valencia. Also ein kleiner multinationaler Konzern. Wer sagt da immer noch «na und»?

Vadian war also ein Brieffreund seines Vetters Sailer. Zudem stammte sein Vermögen aus diesem Handelshaus. Sailer hingegen war an der Ausarbeitung eines Vertrags beteiligt, der Sklavenhandel (und die deutschen Bergleute nicht vergessen) umfasste. Also genügend Verdachtsmomente, um auch Vadian in einem ganz anderen Licht erscheinen zu lassen.

Dass Sailer als cleverer Kaufmann bei diesem Vertrag nur seine guten Beziehungen zum Madrider Hof einbrachte, was ihm die Heirat mit einer Welser-Tochter ermöglichte? Dass über den Inhalt des Briefwechsels mit Vadian nichts bekannt ist? Dass auch nicht bekannt ist, ob diese Handelsgesellschaft auch an Sklavenhandel beteiligt war?

Dass man nicht nur damals Wörter wie Vetter oder Gevatter schnell einmal verwendete, ohne dass deswegen unbedingt Blutsverwandtschaft existieren musste? Genauso wenig wie in der sprichwörtlichen Vetternwirtschaft?

Das sind doch alles Ausflüchte; Ausdruck mangelnder Sensibilität gegenüber dem strukturellen Rassismus, den unsere dunkelhäutigen Mitbürger erleiden müssen. Auch dann, wenn sie das Denkmal von Vadian anblicken.

Wem das noch nicht genügend; es gibt noch ein weiteres klares Indiz. Denn wer hat dieses Denkmal 1904 gestaltet? Richard Kissling. Richard wer? Also bitte, der Künstler, der das potthässliche Telldenkmal in Altdorf verantwortet. Und der die Zürcher schon vorher mit dem Escher-Brunnen vor dem Hauptbahnhof beglückte. Obwohl man ja munkelt, dass die Familie Escher auf Kuba Sklaven gehalten habe.

Also hätte sich Vadian zumindest diesen Künstler verbitten sollen. Oh, von Watt war da schon lange tot? Macht nix, Kissling ist ja auch 1919 gestorben. Das sollte uns doch nicht daran hindern, auch diesen Denkmälern historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Entweder, indem sie abgebaut werden, oder indem wenigstens auf diese Zusammenhänge hingewiesen wird. Das ist wohl das Mindeste.

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