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Umstellung auf Lebenshof

Kein Fleisch oder Milch, dafür mehr Herz

Kängurus statt Milchkühe. Straussen statt Masttiere. Eine Herz- statt Fleischproduktion: Der Hof von Tamara und Stefan Krapf ist anders als die klassischen Landwirtschaftsbetriebe. Sie wollen hin zu einem zukunftsorientierten Betrieb – einem Lebenshof.

Manuela Bruhin am 01. Oktober 2021

Wer auf einem Bauernhof aufwächst oder dort arbeitet, der weiss: Man darf nicht zimperlich sein – sowohl körperlich als auch psychisch. Die tägliche Arbeit ist anstrengend, es gibt kaum Freizeit und der Kreislauf des Lebens wird einem ständig bewusst vor Augen geführt. Ob man will oder nicht. In etwa dann, wenn die Tiere geschlachtet werden. Und genau aus diesem Hamsterrad wollen Tamara und Stefan Krapf mit ihrem Betrieb in Bernhardzell umsteigen. «Wir wollen weg von den Monokulturen, hin zu Vielfalt, einer zukunftsorientierten Landwirtschaft», sagt Tamara Krapf im Gespräch. «In der heutigen traditionellen Landwirtschaft geben die Altersstrukturen kaum Raum dafür, etwas neues Ethisches zu schaffen. Oder eine Idee zu verfolgen. Das wollen wir ändern.» Die Strukturen würden oft der Wirtschaft dienen – und nicht dem Naturwohl.

Marterpfahl zum Geburtstag

Dass sie ein wenig anders denken und fühlen als viele andere, herkömmliche Betriebe, das wird schnell klar. In etwa dann, wenn Tamara Krapf mit einer Feder auf dem Kopf erscheint. Oder man den verwilderten Garten, in welchem bunte Blumen, saftige Kürbisse und wilde Prachten wachsen und sich neben einem Marterpfahl aufreihen. «Ein Geburtstagsgeschenk», sagt Tamara Krapf und lacht. Sie absolviert derzeit die Ausbildung zur Schamanin – um später einmal Menschen zu begleiten, die ebenfalls bewusst natur- und tierverbunden sind. «Keine Aussteiger, sondern Umsteiger», bringt sie es auf den Punkt. «Menschen, die wie ich einst ihren Weg suchen und ihre Gaben neu entdecken.»

Hinter dem Hof gucken neugierige Schnäbel um die Ecke. Strausse verweilen hier friedlich neben Wallabys, etwas zurückgezogen finden sich sogar zwei Albinos. «Ein Geschenk des Spirits», nennt sie Tamara Krapf. Es sei etwas ganz Besonderes, wenn Albinos zur Welt kommen. In der freien Wildbahn würden sie wegen ihres weissen Fells kaum überleben. Anders sieht das natürlich in Bernhardzell aus. Hier verstehen sich die Tiere – und geben ihren Besitzern viel Kraft. In etwa dann, wenn wegen der Lebensweise auch einmal Sprüche fallen. «Natürlich wird man darauf angesprochen – im positiven wie auch negativem Sinn», so Tamara Krapf. Aber das gehöre dazu. Nicht alle müssten denselben Weg einschlagen. Sie könne sich gut abgrenzen, wenn beispielsweise bei den Kommentaren in den sozialen Medien auch einmal nicht so gut gemeinte darunter sind. Schwieriger hingegen sei es, wenn sich Widerstand und Unstimmigkeiten innerhalb der Familie formiere. Aber auch das gehöre wohl dazu.

Ewige Suche

Und dass ihr Weg ein wenig anders aussehen wird, war schon seit Kindesbeinen klar. Tamara Krapf war eine schlechte Schülerin, die sich nirgendwo richtig wohl und heimisch fühlte. «Mit Tieren und der Natur hingegen habe ich mich schon immer tief verbunden gefühlt», erinnert sie sich. Doch das «Anderssein» bringt oftmals auch eine Ausgrenzung mit sich. Und während sie stets auf der Suche war, kämpfte sie mit psychischen und körperlichen Problemen. Eine Fachperson brachte sie schliesslich auf die Idee, es mit Yoga und Achtsamkeitsübungen zu versuchen. «Nach langer Zeit hatte ich schliesslich endlich das Gefühl, angekommen zu sein», so Tamara Krapf.

Regenwurm und Känguru

Als der Bauernbetrieb 2013 von seinem Vater an ihren Mann Stefan überging, gründeten sie den Känguruhof. Insbesondere als Vermittler sollten die Tiere dienen. Denn für den klassischen Milchviehbetrieb war ihrer wirtschaftlich schlichtweg zu klein. Die Leute sollen so also vermehrt auf den Hof aufmerksam werden. Die Infrastruktur kann für verschiedene Anlässe gebucht werden. «Und wenn die Leute dann eigentlich wegen der Kängurus hier sind, erzähle ich ihnen etwas über den Regenwurm. Mir bedeuten die Ökologie und die Symbiosen der Natur einen wertvollen Wissensschatz. », fasst sie es zusammen. Sie wolle keine Missionarin sein, betont die Ostschweizerin. «Aber ich möchte das Bewusstsein schärfen und die Vielfältigkeit des Lebens teilen.» Eine «Hardcore-Veganerin» sei sie nicht, pflanzenbasierte Ernährung jedoch fördern. Die Richtung, in welche sich die heutige traditionelle Landwirtschaft entwickle, sei häufig zu einseitig und unmoralisch. «Wir dürfen weg von der «Verwirtschaftlichung» der Natur.»

Das wurde spätestens dann klar, als sie 2017 auf Bio-Weidebeef umstellten. Dann sind die Rinder zwei Jahre bei ihnen und werden anschliessend geschlachtet. Doch irgendwann fing Tamara Krapf an, den Tieren Namen zu geben. «Nicht umsonst sind Kühe in Indien heilig. Sie stehen für die Mütterlichkeit unseres Planeten und sind individuelle einzigartige Wesen.» Sie würden über Fähigkeiten verfügen, welche wir in den letzten Jahren vergessen hätten. «Ich möchte erreichen, dass unsere Mitmenschen sich daran zurückerinnern», so Tamara Krapf. Wenn man sich auf die Kuh einlasse, erde das ungemein. Ein Tier hat es ihr dabei besonders angetan: der Ochse Henry. Von Anfang an habe er den Kontakt mit ihr gesucht, erinnert sie sich. Dass genau er nach zwei Jahren geschlachtet werden soll – für Tamara Krapf unvorstellbar. In der Folge suchte sie mit Feuereifer nach Spenden und Patenschaften, damit Henry im Betrieb bleiben konnte. Und wirklich: Das Geld kam schnell zusammen. Henry konnte bleiben. Und ist bis heute noch da.

Tierpatenschaften gesucht

«Der Grundstein für den Lebenshof wurde quasi mit Henry gelegt», sagt Tamara Krapf. Sie sei nicht konsequent gegen die Milch- oder Fleischproduktion, betont sie. «Aber so, wie wir im Moment unsere Nutztiere behandeln, ist das unwürdig, egoistisch und verantwortungslos. Auch Tiere haben eine Seele, Charakter – und sind Wesen mit einem Herz. Darauf wird derzeit zu wenig Acht gelegt.» Sie wollen ihren Betrieb genau nur für dieses verlorene Thema einsetzen. Der Lebenshof soll künftig zwischen 15 und 17 Rinder und Ochsen beheimaten. Ebenfalls wollen die Krapfs eine Handvoll Strausse, etwa zehn Kängurus, zwei Schweine, Bienenvölker und Enten halten. Für all die Tiere werden Tierpatenschaften angeboten sowie Gönner gesucht. Derzeit ist man voll und ganz in der Umstellungsphase: «Ob es uns gelingt, einen Lebenshof zu erreichen, wissen wir nicht. Aber wir wollen es versuchen: keine Fleisch- und Milchproduktion mehr, sondern eine Herzproduktion.» Eben ganz im Sinne von: Weg von der Einfalt, hin zur Vielfalt.

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Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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