Vor 2000 Jahren löste das pfingstliche Geschehen bei den Beteiligten grosse Verwirrung und Chaos aus. Dasselbe muss derzeit von der reformierten Landeskirche gesagt werden. Die pikanten Geschichten an deren Spitze werden nur noch von der Bibel getoppt.
Auf der Tagblatt-Redaktion herrschte jeweils Ratlosigkeit, wie man dem bevorstehenden Feiertag journalistisch gerecht werden sollte: Mit Pfingsten konnte keiner der Redaktoren etwas anfangen, ausser vielleicht der ehemalige Priester und Lokalchef Josef Osterwalder. Womit es ihnen wohl erging wie den meisten Schweizerinnen und Schweizern.
Was zurzeit an der Spitze der reformierten Landeskirche vorgeht, dürfte dem Medienpublikum ähnlich rätselhaft vorkommen wie das pfingstliche Brausen vom Himmel, das Jünger und Zuschauer vor 2000 Jahren bekanntlich total verwirrt hinterliess. Alle redeten durcheinander; doch was wirklich geschah, war auch den direkt Beteiligten unerklärlich. Spötter befanden: Die sind voll süssen Weines.
Ähnlich verwirrend sind auch die Umstände des sofortigen Rücktritts von Gottfried Locher, Präsident der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS), der von den Medien gerne als «oberster Reformierter» bezeichnet wird. Ähnlich verwirrend auch die Vorwürfe, die ihn zu diesem Rücktritt bewogen. Nach einer internen Anzeige und dem Rücktritt einer Kollegin aus dem EKS-Rat, die dort für «Prävention von Grenzverletzungen und sexuellen Übergriffen» zuständig war, sprach ein offener Brief von Theologen von «Grenzverletzungen» - «womit auf die Ursachen des Konflikts geschlossen werden kann», wie die NZZ trocken resümierte.
Übrigens: Wer dem theologischen Fachwissen der meisten Medien – zu Recht - nicht traut, der hält sich besser an die Quelle. Der «offizielle» Pfingstbericht findet sich im zweiten Kapitel der biblischen Apostelgeschichte. Man lese nach. Ich will hoffen, der geneigte Leser, die geneigte Leserin finde die Bibel an ihrem angestammten Platz im Büchergestell – ganz gleich, ob sie/er sich nun als gläubig, ungläubig, agnostisch oder sonstwie uninteressiert bezeichnet. Denn jeder gebildete Mensch sollte das wichtigste, meistübersetzte und meistzitierte Buch der Menschheitsgeschichte in Griffnähe haben. Ein Bestseller, der ohne Übertreibung das «Buch der Bücher» genannt wird. Ein Buch überdies, das noch viel pikantere Geschichten enthält als jene an der Spitze der schweizerischen Protestanten. Und das erst noch im Klartext.
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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