Das Bundesgericht weist die Beschwerde einer Privatperson ab, die sich beschwert hatte, dass sie als Alleinstehende gleich hohe Radio- und Fernsehgebühren zahlen muss wie eine Grossfamilie. Das Urteil des Bundesgerichts ist rechtlich korrekt, zeigt aber eine Fehlleistung des Parlaments auf.
Am Donnerstagmittag hat das Bundesgericht seine Medienmitteilung zum Urteil im Verfahren 2C_547/2022 aufgeschaltet. Es handelt sich um das Urteil im Fall Alex Bauert, welcher sich über mehrere Instanzen gegen die Serafe-Gebühr gewehrt hat – und zwar mit dem Argument, dass es nicht sein könne, dass er als alleinstehender Mann dieselbe Haushaltsabgabe bezahlen müsse wie beispielsweise eine fünfköpfige Familie. Dies verletze sowohl die Rechtsgleichheit als auch das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, welches überdies in der EMRK enthalten ist.
Das Bundesgericht sieht es anders und verweist allem voran darauf, dass der Gesetzeswortlaut des RTVG völlig klar sei und auch kein Zweifel am Willen des Gesetzgebers bestehe, dass sich dieser bewusst für eine Pauschale pro Haushalt entschieden habe. Da es sich dabei um ein Bundesgesetz des Parlaments handle, sei dieses nach Art. 190 BV verbindlich und müsse vom Bundesgericht zwingend angewendet werden. Dem ist nichts beizufügen: Tatsächlich kennt die Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit in Bezug auf formelle Gesetze des Bundesparlaments. Der Gedanke dahinter ist nicht abwegig. Er unterstellt, dass das Volk grundsätzlich die Verfassungskontrolle besser ausüben könne als ein kleines, nicht repräsentatives Richtergremium. Wo ein Referendum möglich ist, ist also die Verfassungsgerichtsbarkeit ausgeschlossen (soweit es um nationale Gesetze geht, denn kantonale Erlasse sind sehr wohl einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich). Und entscheidet sich der Bundesgesetzgeber bewusst, von Völkerrecht – wozu auch die EMRK gehört – abzuweichen, geht ein neueres Bundesgesetz dem älteren Staatsvertrag vor (sog. Schubarth-Praxis). Da die Haushaltsabgabe erst seit Mitte 2016 existiert und damit sehr jung ist, ist offensichtlich, dass das Bundesparlament allfällige Verletzungen der EMRK bewusst in Kauf genommen hat. Mit anderen Worten: Rechtlich ist das Urteil des Bundesgerichts nicht zu beanstanden. Im Gegenteil: Hätte es die Beschwerde des Betroffenen gutgeheissen, hätte es eine Kompetenzüberschreitung begangen.
Erlaubt sei einzig eine kleine Kritik am Bundesgericht, welches in E. 5.3.2 des Urteils folgendes festhält: „Wie ausgeführt, knüpft die Haushaltabgabe vorliegend nicht an den Status als Single an. Auch eine Person, die in einer Beziehung lebt, kann alleine in einem Haushalt wohnen. Auch kann eine Person, die in keiner Beziehung lebt, in einem Mehrpersonenhaushalt leben. Eine Diskriminierung der Lebensform des Beschwerdeführers durch die Ausgestaltung der Haushaltabgabe kann somit nicht erblickt werden.“ Fällt es denn nur in den Schutzbereich des Privat- und Familienlebens, wenn jemand sich als Alleinstehender diskriminiert fühlt? Ist es nicht vielmehr auch eine elementare Frage der privaten Lebensgestaltung, ob jemand in einer (intakten) Beziehung mit seinem Partner zusammenlebt oder sich eben bewusst für eine Partnerschaft mit getrennten Haushalten entscheidet? Ein weites Verständnis der Individualität von Lebensformen hätte vorliegend zwar nichts geändert. Es würde bei den kantonalen Erbschafts- und Schenkungssteuern indes sehr wohl etwas ändern, denn diese kann das Bundesgericht frei überprüfen. Dies ist hochrelevant, da viele kantonale Gesetze noch immer antiquierte Definitionen des Konkubinats kennen, von der Diskriminierung gegenüber Ehegatten einmal abgesehen.
Doch zurück zum Ausgangspunkt: Es ist offensichtlich, dass die Serafe-Gebühr Einpersonenhaushalte überproportional belastet. Auch wenn das Bundesgericht an die Wertungen des Gesetzgebers gebunden ist, besteht kein Zweifel, dass es sich um ein Abweichen von der Rechtsgleichheit handelt, welches sich nicht auf sachliche Gründe stützen lässt. Ebenso offensichtlich ist sodann, dass die Haushaltsabgabe gegenleistungslos erhoben wird. Damit stellt sie eine Steuer dar, wie auch das Bundesgericht anerkennt (BGer 2C_852/2021, E. 2.4.3). Eigentlich bräuchte es zur Erhebung einer Steuer eine explizite Grundlage in der Bundesverfassung. Bei der Radio- und Fernsehgebühr nach RTVG fehlt diese; insbesondere sieht auch der Rundfunkartikel der Bundesverfassung, Art. 93 BV, keine ausdrückliche Steuererhebungskompetenz vor. Die Serafe-Gebühr beruht damit tagtäglich auf einer (gleich doppelten) Verfassungsverletzung, wobei das Bundesgericht mangels Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber formellen Gesetzen des Bundesparlaments hiergegen nicht einschreiten darf. Und soweit man – in weiser Voraussicht, dass auch das Bundesgericht Fehler machen kann – an der gegenwärtigen Kompetenzordnung nichts ändert, gilt es das Parlament in die Pflicht zu nehmen. Denn egal wie man medienpolitisch zur Serafe-Gebühr steht: Die schlechte Qualität der Gesetzgebung ist im Fall der Haushaltsabgabe wirklich erschreckend.
In diesem Sinne ist zu hoffen, dass die 200er-Initiative, welche einen Serafe-Gebührendeckel in der Bundesverfassung festschreiben will, mit genügend Unterschriften eingereicht werden kann. Dann hätten die RTVG-Gebühren erstmals eine Verfassungsgrundlage und würde die SRG zugleich noch zu einem effizienten Mitteleinsatz aufgefordert. Dies wäre nicht nur ein Gewinn für den Rechtsstaat, sondern auch die Medienfreiheit, welche nicht erst, aber gerade in Covid-Zeiten einen bedenklichen Tiefpunkt erreicht hat. Ob weitergehende Forderungen nach einer Staatsmedienprivatisierung angesichts der jüngsten Erfahrungen dereinst mehrheitsfähig werden, kann vorliegend offenbleiben. Der Autor dieses Beitrags kennt jedenfalls genug Leute, die 2018 noch gegen die NoBillag-Initiative gestimmt haben, heute indes ihre Haltung bereuen.
MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.
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