logo

Bundesgerichtsurteil

Keine Single-Diskriminierung durch Serafe-Gebühr

Das Bundesgericht weist die Beschwerde einer Privatperson ab, die sich beschwert hatte, dass sie als Alleinstehende gleich hohe Radio- und Fernsehgebühren zahlen muss wie eine Grossfamilie. Das Urteil des Bundesgerichts ist rechtlich korrekt, zeigt aber eine Fehlleistung des Parlaments auf.

Artur Terekhov am 22. Januar 2023

Am Donnerstagmittag hat das Bundesgericht seine Medienmitteilung zum Urteil im Verfahren 2C_547/2022 aufgeschaltet. Es handelt sich um das Urteil im Fall Alex Bauert, welcher sich über mehrere Instanzen gegen die Serafe-Gebühr gewehrt hat – und zwar mit dem Argument, dass es nicht sein könne, dass er als alleinstehender Mann dieselbe Haushaltsabgabe bezahlen müsse wie beispielsweise eine fünfköpfige Familie. Dies verletze sowohl die Rechtsgleichheit als auch das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, welches überdies in der EMRK enthalten ist.

Das Bundesgericht sieht es anders und verweist allem voran darauf, dass der Gesetzeswortlaut des RTVG völlig klar sei und auch kein Zweifel am Willen des Gesetzgebers bestehe, dass sich dieser bewusst für eine Pauschale pro Haushalt entschieden habe. Da es sich dabei um ein Bundesgesetz des Parlaments handle, sei dieses nach Art. 190 BV verbindlich und müsse vom Bundesgericht zwingend angewendet werden. Dem ist nichts beizufügen: Tatsächlich kennt die Schweiz keine Verfassungsgerichtsbarkeit in Bezug auf formelle Gesetze des Bundesparlaments. Der Gedanke dahinter ist nicht abwegig. Er unterstellt, dass das Volk grundsätzlich die Verfassungskontrolle besser ausüben könne als ein kleines, nicht repräsentatives Richtergremium. Wo ein Referendum möglich ist, ist also die Verfassungsgerichtsbarkeit ausgeschlossen (soweit es um nationale Gesetze geht, denn kantonale Erlasse sind sehr wohl einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich). Und entscheidet sich der Bundesgesetzgeber bewusst, von Völkerrecht – wozu auch die EMRK gehört – abzuweichen, geht ein neueres Bundesgesetz dem älteren Staatsvertrag vor (sog. Schubarth-Praxis). Da die Haushaltsabgabe erst seit Mitte 2016 existiert und damit sehr jung ist, ist offensichtlich, dass das Bundesparlament allfällige Verletzungen der EMRK bewusst in Kauf genommen hat. Mit anderen Worten: Rechtlich ist das Urteil des Bundesgerichts nicht zu beanstanden. Im Gegenteil: Hätte es die Beschwerde des Betroffenen gutgeheissen, hätte es eine Kompetenzüberschreitung begangen.

Erlaubt sei einzig eine kleine Kritik am Bundesgericht, welches in E. 5.3.2 des Urteils folgendes festhält: „Wie ausgeführt, knüpft die Haushaltabgabe vorliegend nicht an den Status als Single an. Auch eine Person, die in einer Beziehung lebt, kann alleine in einem Haushalt wohnen. Auch kann eine Person, die in keiner Beziehung lebt, in einem Mehrpersonenhaushalt leben. Eine Diskriminierung der Lebensform des Beschwerdeführers durch die Ausgestaltung der Haushaltabgabe kann somit nicht erblickt werden.“ Fällt es denn nur in den Schutzbereich des Privat- und Familienlebens, wenn jemand sich als Alleinstehender diskriminiert fühlt? Ist es nicht vielmehr auch eine elementare Frage der privaten Lebensgestaltung, ob jemand in einer (intakten) Beziehung mit seinem Partner zusammenlebt oder sich eben bewusst für eine Partnerschaft mit getrennten Haushalten entscheidet? Ein weites Verständnis der Individualität von Lebensformen hätte vorliegend zwar nichts geändert. Es würde bei den kantonalen Erbschafts- und Schenkungssteuern indes sehr wohl etwas ändern, denn diese kann das Bundesgericht frei überprüfen. Dies ist hochrelevant, da viele kantonale Gesetze noch immer antiquierte Definitionen des Konkubinats kennen, von der Diskriminierung gegenüber Ehegatten einmal abgesehen.

Doch zurück zum Ausgangspunkt: Es ist offensichtlich, dass die Serafe-Gebühr Einpersonenhaushalte überproportional belastet. Auch wenn das Bundesgericht an die Wertungen des Gesetzgebers gebunden ist, besteht kein Zweifel, dass es sich um ein Abweichen von der Rechtsgleichheit handelt, welches sich nicht auf sachliche Gründe stützen lässt. Ebenso offensichtlich ist sodann, dass die Haushaltsabgabe gegenleistungslos erhoben wird. Damit stellt sie eine Steuer dar, wie auch das Bundesgericht anerkennt (BGer 2C_852/2021, E. 2.4.3). Eigentlich bräuchte es zur Erhebung einer Steuer eine explizite Grundlage in der Bundesverfassung. Bei der Radio- und Fernsehgebühr nach RTVG fehlt diese; insbesondere sieht auch der Rundfunkartikel der Bundesverfassung, Art. 93 BV, keine ausdrückliche Steuererhebungskompetenz vor. Die Serafe-Gebühr beruht damit tagtäglich auf einer (gleich doppelten) Verfassungsverletzung, wobei das Bundesgericht mangels Verfassungsgerichtsbarkeit gegenüber formellen Gesetzen des Bundesparlaments hiergegen nicht einschreiten darf. Und soweit man – in weiser Voraussicht, dass auch das Bundesgericht Fehler machen kann – an der gegenwärtigen Kompetenzordnung nichts ändert, gilt es das Parlament in die Pflicht zu nehmen. Denn egal wie man medienpolitisch zur Serafe-Gebühr steht: Die schlechte Qualität der Gesetzgebung ist im Fall der Haushaltsabgabe wirklich erschreckend.

In diesem Sinne ist zu hoffen, dass die 200er-Initiative, welche einen Serafe-Gebührendeckel in der Bundesverfassung festschreiben will, mit genügend Unterschriften eingereicht werden kann. Dann hätten die RTVG-Gebühren erstmals eine Verfassungsgrundlage und würde die SRG zugleich noch zu einem effizienten Mitteleinsatz aufgefordert. Dies wäre nicht nur ein Gewinn für den Rechtsstaat, sondern auch die Medienfreiheit, welche nicht erst, aber gerade in Covid-Zeiten einen bedenklichen Tiefpunkt erreicht hat. Ob weitergehende Forderungen nach einer Staatsmedienprivatisierung angesichts der jüngsten Erfahrungen dereinst mehrheitsfähig werden, kann vorliegend offenbleiben. Der Autor dieses Beitrags kennt jedenfalls genug Leute, die 2018 noch gegen die NoBillag-Initiative gestimmt haben, heute indes ihre Haltung bereuen.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.