Gratis einen Vormittags-Schwips? In Appenzell kein Problem. Ein paar Dinge nerven aber trotzdem. – Beni Frenkel besucht für uns in dieser Serie Ostschweizer Anlässe und berichtet von seinen Erlebnissen, ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. In der ersten Folge: Die Appenzeller Alpenbitter AG.
Wenn ich einmal reich bin, will ich nach Schottland reisen und bei den verschiedenen Whiskey-Brennereien degustieren gehen. Ich bin leider nicht reich und werde es vermutlich nie sein. Man kann aber auch in der Schweiz umsonst trinken, zum Beispiel bei der Appenzeller Alpenbitter AG. Jeden Mittwochvormittag findet eine Führung statt.
Letzten Mittwoch war ich dort. Eine kleine Frau wartete geduldig, bis sich die drei angemeldeten Besucher vor dem Firmengelände versammelten. 42 Kräuter brauche es für den Appenzeller Alpenbitter, erklärte sie uns. Manche Kräuter wirkten sogar aphrodisierend. Sie öffnete eine Holzbox und liess uns schnuppern. Ich sog den Duft tief in mich hinein.
Eigentlich mag ich Appenzeller Alpenbitter nicht so. Bis vor Kurzem dachte ich, das sei ein Medikament und wichtig für die Wundheilung. Appenzeller Alpenbitter war übrigens mein erstes alkoholisches Getränk. Ich trank davon als Jugendlicher bei bei meiner Oma zum ersten Mal; sie war gerade im Bad.
Aber was die Führungs-Frau alles über das berühmte Getränk zu erzählen wusste, war doch sehr eindrücklich. Leider verstand ich nur die Hälfte, da sie auf Appenzellerisch sprach.
Während der Führung wurde immer wieder auf das Geheimrezept hingewiesen, dass niemand kenne, ausser natürlich der Verwaltungsrat. In der Abfüllanlage durften wir keine Fotos machen, eben wegen des Geheimrezepts. Und vor der «Kräuterkammer» standen wir sehr lange. Rein durften wir nicht, wegen des Geheimrezepts. Am Ende wurde im kleinen Firmenmuseum ein spannender Film gezeigt. Die Nachkommen des Firmengründers betonten noch einmal eindrücklich und warnend, dass niemand ausser ihnen das Geheimrezept erfahren dürfe. Niemand!
Plötzlich platzten fünf amerikanische Touristen in unsere vertrauliche Runde. Das hat mich sehr aufgeregt. Wir hörten uns geduldig den Vortrag an, während diese Touristen keinen Anstand hatten, pünktlich zu erscheinen.
Ich vermute sogar, dass sie sich nur für die Degustation interessierten. Kurz darauf gab es nämlich die versprochenen Gratisproben. Leider nicht à discretion. Ich musste bei einer Frau immer wieder nachfragen, ob ich nochmals ein Glas Alpenbitter degustieren dürfe («ein grosses oder ein kleines Glas?»).
Irgendwann war ich so voll, dass ich mich dafür lobte, mit dem öV angereist zu sein. Ich besitze nämlich keinen Führerschein. Von den sechs gekosteten Alpenbitter-Varianten empfehle ich den mit Honig. Die anderen sind aber auch nicht schlecht.
Alles in allem war es eine sehr schöne Führung. Wer Geduld hat, wird am Ende mit Gratis-Likör belohnt.
Wo? Appenzell
Wann? Jeden Mittwochvormittag zwischen 10 und 11 Uhr
Beni Frenkel (*1977) ist Journalist und Autor. Er lebt in Zürich.
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