Regierung und Behörden beklagen die aus ihrer Sicht tiefe Impfbereitschaft und begründen mit dieser unter anderem die Zertifikatspflicht. Doch die «echten» Zahlen sehen ganz anders aus. Da die Bundesverwaltung sicherlich rechnen kann, muss die kreative Statistik andere Gründe haben.
Die Impfbereitschaft in der Schweiz sei tief, manche Zeitungen schreiben von «Impftrödlern», und ganz allgemein wird verbreitet, die Zertifikatspflicht und die weiteren Massnahmen seien nur der Tatsache zuzuschreiben, dass nach wie vor viel zu wenige Schweizerinnen und Schweizer geimpft seien. Offiziell wird der Anteil der Geimpften mit etwas über 62 Prozent der Bevölkerung angegeben.
Tiefe Impfbereitschaft: Das sei «schlicht falsch», sagt Stephan Sembinelli. Der Wikipedia-Autor bereitet seit vielen Monaten für die Enzyklopädie die relevanten Zahlen rund um Corona in der Schweiz auf. Per 21. September hat er den neuesten Zwischenstand bezüglich Impfquote zusammengetragen – und zeichnet ein ganz anderes Bild, als uns der Bundesrat das vermitteln will. Dabei bezieht sich Sembinelli ausschliesslich auf offizielles Datenmaterial.
Gemäss diesem liessen sich per 21. September 2021 5'357'746 mindestens eine mRNA-Impfung verabreichen. Wer einmal geimpft ist und zudem eine Covid-19-Erkrankung durchgemacht hat, wird in der Statistik den «teilweise geimpften Personen» zugeordnet. Laut der Impfempfehlung des Bundesamts für Gesundheit und der Eidgenössischen Kommission für Impffragen gelten sie aber als vollständig geimpft.
Die 62,26 Prozent Geimpften, die das BAG ausweist, beziehen sich auf die Gesamtzahl der Bevölkerung von rund 8,6 Millionen. «Was aber falsch ist», so Stephan Sembinelli, «denn 1'044'868 davon sind nämlich zwischen 0 und 11 Jahre alt. Die muss man abziehen, da es keine Zulassung für eine mRNA-Impfung an Kindern gibt.»
Damit liegt die wirklich relevante Impfquote - die sich nur auf Menschen bezieht, die sich impfen lassen können … bei stolzen 70,86 Prozent. Ein durchaus relevanter Unterschied. Denn spricht man die Entscheidungsträger darauf an, weshalb andere Länder ihre Coronamassnahmen faktisch eingestellt haben, heisst es stets, die Schweiz könne sich das nicht leisten aufgrund der viel tieferen Impfquote.
Doch damit nicht genug. Sembinelli gibt in seinen Ausführungen weiter zu bedenken, dass das BAG per 22. September 2021 insgesamt mehr als 826'000 laborbestätigte Fälle von «Genesen» ausweist. Und eine grosse Zahl junger Leute dürfte mit dem Virus in Kontakt gekommen sein, ohne das überhaupt zu merken – oder so gut wie gar nicht. Deshalb gebe es «längst keinen Grund mehr für die anhaltende Hysterie, Gängelungen, Zertifikate, Verbote usw.»
Der leidenschaftliche Statistiker kommt zum Schluss: «Es wird nach wie vor geschummelt und gelogen, wo es nur geht – doch leider interessiert dies den grösseren Teil der Bevölkerung nicht, ganz nach dem Motto: 'Die in Bern werden schon wissen, was sie tun'.»
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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