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Wie weiter?

Lehrermangel: Die Gesellschaft spiegelt sich im Klassenzimmer

Mehr Lohn? Bessere Unterstützung? Weniger Papierkrieg? Es gibt verschiedene Ansätze, das Problem rund um den Lehrpersonenmangel anzugehen. Eine Spurensuche.

Manuela Bruhin am 16. Juni 2023

Der Mangel an Lehrpersonen. Viel diskutiert, vor allem politisch, aber eine Lösung ist nach wie vor nicht in Sicht. Anlass genug, einmal genauer hinzuschauen. Worin liegen die Herausforderungen für die Lehrpersonen? Welche Folgen haben die Entscheide der Politik in den Schulhäusern? Welche Richtung sollte verfolgt werden, damit der Beruf attraktiv bleibt?

Wie schaffen es die Lehrpersonen, die täglichen Herausforderungen, welche neben dem Unterricht anfallen, zu meistern? Sandra Marugg, seit acht Jahren Lehrperson an der Oberstufe Gossau, und ihr Schulleiter Thomas Eberle geben einen Einblick in ihren Alltag. Ein Alltag, der fordert, häufig schlaucht, manchmal müde macht, aber eben genau so auch Ansporn gibt, vieles zurückgibt – und nach wie vor ihr Traumberuf sei. «Ich arbeite sehr gerne mit anderen Menschen zusammen, bin selbstständig, aber dennoch Teil eines Teams. Die Kombination bietet der Lehrerberuf, und das schätze ich immer noch sehr», sagt Sandra Marugg.

Herausforderung für Schulleitende

Seit acht Jahren unterrichtet Sandra Marugg auf der Realstufe in Gossau. Noch in Vollzeit, künftig wird sie jedoch, wenn ihr erstes Kind geboren ist, in Teilzeit an die Schule zurückkehren. Etwas, was immer häufiger gewünscht wird, sowohl von Männern als auch Frauen. «Der Lohn ist nicht mehr das Wichtigste», fasst es Schulleiter Thomas Eberle zusammen. «Viele reduzieren ihr Pensum, um eine bessere Work-Life-Balance zu erreichen.» Was auf der einen Seite sehr löblich ist, birgt auf der anderen Seite weitere Herausforderungen. Denn das Team innerhalb eines Schulhauses wächst, je mehr Teilzeitstellen es gibt. Und damit wird die Koordination schwieriger. Für die Arbeit als Schulleiter bedeute dies im Klartext ein deutlicher Mehraufwand. «Künftig wird das wohl eine weitere Herausforderung sein, weil viele Schulleiterinnen oder Schulleiter nicht mehr gewillt sind, einer Schule mit sehr vielen Mitarbeitenden vorzustehen.»

Doch zurück zu den Lehrpersonen, zu ihrem Alltag, zu den Herausforderungen, mit welchen sie sich täglich beschäftigen. Auf Stufe der Realschule stünde häufig nicht das fachliche Wissen im Vordergrund, sondern die Arbeit mit den Jugendlichen, fasst es Sandra Marugg zusammen. «Ein Hauptfokus liegt darauf, die Jugendlichen für die Berufswahl fit zu machen. Dafür werden Respekt und Anstand vermittelt, mit Motivationsproblemen umgegangen und der Spagat von der Schule zum Elternhaus gemacht. Diese Aspekte unserer Arbeit beanspruchen viel Zeit und benötigen sowohl unsere Aufmerksamkeit als auch unsere Energie.» Doch was heisst das genau? Thomas Eberle schlüsselt auf: «Die zwei Pole von den Eltern, die sich ungenügend kümmern, und jenen, die ihren Nachwuchs um jeden Preis sehr stark beschützen, sind sicherlich gewachsen, als das in der Vergangenheit der Fall war.» Eine Lehrperson muss sich also die Frage stellen, wie sie an die Eltern herankommt, die sich nicht um den Schulalltag kümmern – und wie sie solche mit ins Boot holt, die ihren Kindern vielleicht zu wenig Grenzen aufzeigen. «Wenn die Lernenden sagen, sie hätten sich aufgrund der fehlenden Zeit nur ungenügend auf eine Prüfung vorbereiten können, hängt dies oft mit einer längeren Bildschirmzeit zusammen. Da sind wir auf die Zusammenarbeit mit den Eltern angewiesen. Dass dies aber auch eine gesellschaftliche Entwicklung ist, darf nicht vergessen werden», so Sandra Marugg. Manchmal sei es schwierig, diese Schnittstellen optimal abzugleichen und gemeinsam an einem Strick zu ziehen – oder mit der Motivation der Jugendlichen ist es nicht immer gleich gut bestellt. Daneben wachsen gleichzeitig die bürokratischen Aufgaben, was wiederum den Fokus der Arbeit verschiebt.

Reguläre Entlöhnung

Eine Schule hat nur begrenzten Spielraum, was die Rahmenbedingungen für die Lehrpersonen betrifft. Die Oberstufe Buechenwald beispielsweise verfolgt ein Schulmodell, welches eine Entlastungslektion für solche Gespräche und Dialoge mit den Eltern geschaffen hat. Das heisst: Die Lehrpersonen werden dafür regulär entlöhnt und müssen die zusätzlichen Aufwände nicht in ihrer Freizeit erledigen. Doch dieses Schulmodell hat einen behördlichen Hintergrund, musste verschiedene politische Instanzen durchlaufen – weil eben schlussendlich alles auch eine Frage des Budgets ist. «Als Schule können wir die Lehrpersonen darin unterstützen, dass wir effiziente und schlanke Sitzungen und Absprachen durchführen, gute Rahmenbedingungen schaffen, als Schulleitende unterstützend wirken und beispielsweise via Jahrespläne eine gute Arbeitsplanung ermöglichen», sagt Thomas Eberle. Doch die Illusion, dass auf eine Stellungsausschreibung haufenweise interessante Bewerbungen eingehen, die besteht schon länger nicht mehr. «Eine Schule muss schon mehr machen, als einige Sätze herauszugeben, um Lehrpersonen zu finden; sie muss proaktiv auf dem Arbeitsmarkt agieren», sagt Thomas Eberle. In Gossau setzt man beispielsweise auf die Zusammenarbeit mit der PHSG. Als Partnerschule absolvieren die Studierenden ihre Praktika im Buechenwald und bindet sie so bereits während ihres Studiums an die Schule. Dennoch sind derzeit einige wenige Lektionen für das neue Schuljahr offen. Da hofft man indes, sie mit den Studierenden auffüllen zu können.

Ist dieser proaktive Weg also die Antwort, wie man den Lehrpersonenmangel in den Griff bekommen könnte? Wie bei so vielen ist es wohl eine Kombination aus verschiedenen Möglichkeiten. Eine betrifft den Ausbildungsweg, wie Sandra Marugg erklärt. «Auf vielen Stufen ist nicht der Schulstoff das Herausfordernde – den kann man sich aus den Lehrbüchern aneignen. Viel wichtiger ist es, dass eine Lehrperson eine gute Menschenkenntnis besitzt.» Und auch hier sei die Zusammenarbeit mit der PHSG wertvoll. Studierende können beispielsweise auf Theoriekurse in der Schule zugunsten von praxisorientierten Praktika in der Schule setzen – und erhalten so ein Bild darüber, wie ihr Berufsalltag später wirklich aussehen wird. Bunter Alltag statt graue Theorie sozusagen.

Nicht die Regel

Dass nicht zuletzt aber auch die Politik gefordert ist, was die Rahmenbedingungen angeht, will Thomas Eberle nicht abstreiten. Denn: «Die Lehrpersonen brauchen Unterstützung für solche Jugendliche, die ein zusätzliches Angebot brauchen, weil die reguläre Schule temporär nicht das Richtige für sie ist.» Beide betonen, dass die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler sich im System Schule gut zurecht finden und ein toller Austausch zwischen ihnen und den Lehrpersonen stattfindet. Für einige Jugendliche ist es aber schwierig, sich gewissen Vorgaben zu beugen. Die Störungen, die dadurch entstehen, gehen oft zu Lasten des Unterrichts «Ich kann mich in solchen Fällen nicht genügend um die Jugendlichen kümmern, die etwas erreichen wollen, sondern bin mit den anderen Jugendlichen beschäftigt», sagt Sandra Marugg. Doch sei es gerade die grosse Mehrheit, an der sie sich festhalten will. Sie zeigen ihr auf, wie schön ihr Beruf und wie sinnvoll ihre Arbeit ist. Vielleicht spüren das die Jugendlichen nicht in ihren Schuljahren – aber spätestens dann, wenn sie die reguläre Schulzeit hinter sich gelassen haben. «Wenn mich die ehemaligen Schülerinnen und Schüler besuchen und sagen, dass sie einiges mittlerweile anders sehen und die Schule doch in vielem Recht hatte – das motiviert doch ungemein.»

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Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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