Der Urnengang vom Sonntag war die Quittung für die Politik der letzten zwölf Monate – und nichts anderes. Es war ein deutliches Zeichen für das verschwundene Vertrauen der Menschen in diesem Land. Ob daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden? Man darf es bezweifeln.
Erledigen wir das mit dem Schuss Sarkasmus gleich zu Beginn. Was für ein triumphaler Abstimmungssonntag für den Bundesrat! Er brachte das Freihandelsabkommen mit Indonesien, das 50 Prozent der Stimmbevölkerung überforderte und die andere Hälfte schlicht nicht interessierte, sauber durch. Bitte Beifall. Gut gemacht. Wir haben leider keine Ahnung, was das jetzt heisst, aber es wird schon in Ordnung sein.
Etwas weniger gut lief es mit dem Burkaverbot und der elektronischen ID. Da befand die Mehrheit der Stimmbürger ganz anders als der Bundesrat und die ihm zugeneigten Medien. Über Wochen hinweg erklärte uns die Landesregierung, sekundiert von Ringier und Co., warum Kleidervorschriften in der Schweiz nichts verloren haben und warum wir dringend eine E-ID brauchen. Das Ergebnis: Die Menschen wollten das eine und das andere nicht. Leider, leider, in der falschen Reihenfolge.
Das darf nicht verwundern. Seit zwölf Monaten werden wir chronisch hinters Licht geführt, von den Leuten, die uns die sonntäglichen Vorlagen in ihrem Sinn verkaufen wollten. Die grossen Medien trommelten im Einklang mit der Landesregierung gegen das Burkaverbot und für die E-ID. Aber leider, und das wurde wohl unterschätzt, war es dieselbe unheilige Allianz, die uns seit einem Jahr mit masslosen Übertreibungen in die Panik getrieben und miserabel geführt hat. Alles zusammen. Und nun glaubt der Bundesrat, der für all das steht, zusammen mit den Medien, die er mit Geld vollpumpt für ihre willenlose Hilfsbereitschaft, wir würden ihm blind folgen in eine blendende Zukunft?
Latente Angst vor dem Islamismus, latente Befürchtungen vor der digitalen Überwachung: Sie mögen eine Rolle gespielt haben an diesem Abstimmungssonntag. Aber entscheidend befeuert wurden sie von einem überforderten Bundesrat, einem irrlichternden Bundesamt für Gesundheit und einer Task Force, über die man eigentlich gar keine Worte mehr verlieren mag. Sie haben das letzte Vertrauen aus der Bevölkerung gepresst wie aus einer Zitrone.
Ja, es ist wahr: Nach wie vor scheut sich eine Mehrheit der Bevölkerung, sich aufzulehnen gegen die Massnahmen gegen etwas, das unterm Strich, wie die Zahlen belegen, einer ganz banalen Grippewelle entspricht. Aber immerhin haben dieselben Leute nun den Mut gefunden, dem Bundesrat bei ganz anderen Themen die rote Karte zu zeigen. Ob die Landesregierung diesen Wink mit dem Zaunpfahl begreift, ist eine andere Frage. Derzeit agiert sie ja ohnehin wie von einem anderen Stern, daher ist das alles andere als sicher.
Ein Kollateralschaden aus diesem Sonntag stammt aus der Ostschweiz. Bundesrätin Karin Keller-Sutter stand gegen das Burkaverbot und für die E-ID. Vielleicht glaubte sie, sie sei unverdächtig, weil sie in der ganzen Coronadebatte nie einen Pieps von sich gegeben hat. Die Menschen im Land haben aber durchaus wahrgenommen, dass aus der einstigen Hüterin einer liberalen Gesellschaft im Bundesrat plötzlich eine brave Verfechterin von «bitte mehr Staat» geworden ist, die sich in keiner Weise mehr stark macht für Bürgerrechte und den Kampf für die abendländische Kultur. Eine Enttäuschung auf allen Ebenen, aber immerhin: Man hat ihr heute indirekt die Tür gewiesen.
Die E-ID ist ein gutes Beispiel für das, was am Sonntag passiert ist. Es mag theoretisch viel Sinn machen, die Digitalisierung auf die Identität auszudehnen, keine Frage. Aber nachdem die Schweiz an vorderster Front beteiligt war am Jubel an Impfstoffen, die nicht mal die grundlegendsten Anforderungen an die Überprüfung erfüllten und schleichend auch noch erste Wege zu einer zarten indirekten Impfpflicht ebnete, mag es da jemanden verwundern, dass eine Mehrheit befand: Das ist uns nun ein Schritt zu viel?
Und es wird übrigens nicht besser. Dieser Bundesrat, der die Grundfesten der Eidgenossenschaft nicht mehr bewahrt, sondern unablässig torpediert, wird in naher Zukunft keine bedeutende Abstimmung mehr durchbringen. Der Reflex «alle gegen den Bundesrat» ist mittlerweile zu stark verankert. Das ist nicht unbedingt gut. Aber es ist eine Auswirkung der vergangenen Monate.
Und vielleicht sinkt es ja doch noch ein bei denen, die das Sagen haben. Oder nach wie vor glauben, sie hätten es.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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