Die linke Hand kann nur ausgeben, was die rechte Hand verdient und an Steuern abliefert. Die Stadt St.Gallen braucht nicht mehr Wiesli und auch nicht mehr Baumschutz, sondern mehr privates Unternehmertum.
Dies gelesen: «St. Gallen ist noch nicht fertig gebaut.» (Quelle: Stadtpräsidentin Maria Pappa, www.nzz.ch, 2.2.2023)
Das gedacht: In einem ausführlichen Artikel befasste sich die NZZ mit St.Gallen als eine Stadt im Umbruch. Thematisiert wurden unter anderem die Schlagzeilen rund um die Universität, die OLMA, die Mumie in der Stiftsbibliothek und die Tatsache, dass die Bratwürste der Metzgerei Schmid nun in Appenzell hergestellt werden. Für Samuel Tanner, den Autor des Textes, prägt bis heute die Spannung zwischen Mut und Kleinmut die Stadt St.Gallen.
Die im Artikel zitierte Stadtpräsidentin Maria Pappa hält dagegen. Von der Dachterrasse des Rathauses aus zeigt sie auf die vielen Kräne und stellt fest, dass die Stadt noch nicht fertig gebaut ist. In der Tat, es wird gebaggert, gemauert und betoniert. Zum Beispiel im Areal des Kantonsspitals und auf dem Gelände der OLMA. Beindruckend auch der Tiefbau für die Erweiterung der Parkgarage Unterer Graben. Kurz vor dem Abschluss steht die Renovation des Theaters St.Gallen. An der Urne angenommen wurde bereits der neue HSG-Campus beim Platztor. Weitere Grossprojekte sind in der Pipeline. Im Union-Gebäude und auf dem Blumenmarkt soll eine neue Bibliothek, im Westen der Stadt ein neues Trolleybusdepot erstellt werden. Alles Projekte im dreistelligen Millionenbereich.
Diese ganze Prachtentfaltung hat allerdings zwei Schönheitsfehler. Der erste liegt im Umstand, dass hinter diesen Grossprojekten immer die öffentliche Hand steht. Vergleichbare Investitionen von privaten Unternehmen fehlen. Abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen wie die bemerkenswerte Emil Egger AG und die Regloplas, die ihre neuen Betriebsgebäude an der Martinsbruggstrasse erstellen.
Die Verlagerung der wirtschaftlichen Dynamik der Stadt St.Gallen vom privaten zum öffentlichen Sektor widerspiegelt sich auch in der Zahl der Arbeitsplätze in den einzelnen Wirtschaftszweigen. Wie eine Studie des HEV St.Gallen aus dem Jahre 2018 zeigt, ist die Zunahme der Beschäftigung grösstenteils auf die administrativen, sozialen und staatsnahen Dienste zurückzuführen. Der staatliche Sektor wächst ohne Unterbruch. Die meisten anderen Bereiche dagegen verzeichnen Rückgänge. Bemerkenswert ist vor allem der Bereich der Unternehmensdienstleistungen, welcher den stärksten Rückgang verzeichnen musste. Und dies ausgerechnet in der Stadt mit einer der europaweit besten Wirtschaftsuniversitäten.
Daniel Kehl, ehemaliger SP-Fraktionspräsident im Stadtparlament, bringt es im angesprochenen NZZ-Artikel auf den Punkt: Aus der bürgerlichen Textil- und Handelsstadt ist eine linke Kulturstadt geworden. Was dies bedeutet, zeigt der kommende Abstimmungssonntag. Bei den beiden Vorlagen geht es um das Wiesli im Museumsquartier und um den Baumschutz. Mehr Neo-Biedermeier geht nicht. Bezeichnend auch das Abstimmungsverhalten der Stadt bei der kantonalen Vorlage zur Arealentwicklung Wil West. Hier soll in den nächsten Jahren ein attraktiver Standort für Gewerbe- und Industriebetriebe mit bis zu 3000 neuen Arbeitsplätzen entstehen. Alle Gemeinden rund um die Stadt St.Gallen stimmten zu, das städtische Stimmvolk sagte mehrheitlich Nein. Der Fortschrittsglaube hat sich in die Agglomerationsgemeinden verabschiedet.
Und damit sind wir beim zweiten Schönheitsfehler. Ohne erfolgreiche Unternehmen und ohne die damit verbundenen Arbeitsplätze im privaten Bereich lässt sich die staatliche Prachtentfaltung nicht finanzieren. Die linke Hand kann nur ausgeben, was die rechte Hand verdient und an Steuern abliefert. Das Manna fällt nicht vom Himmel. Auch nicht in der linken Kulturstadt. Die Stadt St.Gallen braucht nicht mehr Wiesli und nicht mehr Baumschutz, sondern mehr privates Unternehmertum.
Kurt Weigelt, geboren 1955 in St. Gallen, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Seine Dissertation verfasste er zu den Möglichkeiten einer staatlichen Parteienfinanzierung. Einzelhandels-Unternehmer und von 2007 bis 2018 Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell. Für Kurt Weigelt ist die Forderung nach Entstaatlichung die Antwort auf die politischen Herausforderungen der digitalen Gesellschaft.
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