Das waren noch Zeiten, als Revoluzzer dieses Lied sangen. Heutzutage sind es Wissenschaftler, Politiker und Journalisten. Völlig losgelöst von Verantwortung.
«Ton, Steine, Scherben», schon der Name war Programm der Band um Rio Reiser. 1971 erfanden sie diesen Slogan, dem mehr oder weniger heftig nachgelebt wurde. Dann legte sich der revolutionäre Elan, und der ehemalige Strassenkämpfer Joschka Fischer als besonders abschreckendes Beispiel wurde sogar Aussenminister und danach Berater eines Ölkonzerns.
Gut, jeder muss schauen, dass der Schornstein raucht, selbst ein Grüner. Aber das ist nicht ein nostalgischer Ausflug in die Vergangenheit. Es scheint zu stimmen, dass sich die Geschichte immer wiederholt, aber das zweite Mal als Farce.
Denn inzwischen wollen angesehene Wissenschaftler, besorgte Politiker und nie um Forderungen verlegene Journalisten die Gesellschaft Stück für Stück zu Klump schlagen. Bei den Wissenschaftlern, die sich gemeinhin nicht gerade im Sonnenschein der ständigen medialen Beachtung bewegen, ist es die Chance, 15 Minuten Ruhm abzuholen.
Aber auch da herrscht harter Konkurrenzkampf; Marcel Salathé und Christian Althaus, beide Mitglieder der Taskforce to the Bundesrat, lieferten sich lange ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Letzthin hat Salathé etwas abgegeben, Platz für Newcomer. Schwerer haben es natürlich Wissenschaftler, die nicht der Taskforce angehören. Aber zwei Frauen machen im Wechsel auf sich aufmerksam.
Vor Kurzem war mal wieder Emma Hodcroft dran. In einem langfädig-langweiligen Interview bei Tamedia liess sie Wahnsinnserkenntnisse wie dieses herabregnen: Das mutierte Virus sei «möglicherweise bereits in der Schweiz.» Das konnte die inzwischen als «Genfer Virologin» bekannte Isabella Eckerle nicht auf sich sitzen lassen. Daher schlägt sie mit einem grossen Interview im Fachblatt für Coronafragen, dem «SonntagsBlick», zurück.
Sie weiss, dass sie einen drauflegen muss, um Hodcroft zu überholen. Also fängt sie damit an, dass es ihr bereits gelungen sei, das mutierte Virus in der Schweiz nachzuweisen. Ätsch. Natürlich beklagt auch sie, dass für den Bundesrat «die wissenschaftlichen Warnungen oder auch die wissenschaftlichen Ergebnisse nicht die erste Priorität hatten». Logo, sie ist natürlich sauer, dass sie als «bedeutende Stimme» nicht in der Taskforce sitzt.
Aber zusammen mit 350 Wissenschaftlern legt sie noch einen drauf und überrundet Hodcroft damit locker: Diese Wissenschaftler fordern mal wieder energisch was. Die europäischen Staaten sollten ihre Anstrengungen in der Bekämpfung der Pandemie unbedingt koordinieren und «synchronisieren». Und wie geht das am besten? Richtig, mit einem europaweitem Lockdown. Das sollte dann eine einmalige Sache sein, der letzte Lockdown, tröstet eine polnische Mitunterzeichnerin dieses Manifests.
Damit, wie es in der Journaille immer so schön heisst, steigt der Druck auf die Regierungen. Daneben bleibt aber noch Platz und Zeit, ketzerische, also davon abweichende Ansichten, in den Senkel zu stellen. An vorderster Front kämpft der leitende Redaktor Marc Brupbacher von Tamedia. Er hat auf Twitter schon längst den Stab über dem Bundesrat gebrochen («mit Alain Berset bin ich durch») und drehte völlig durch, als zwei Experten und Dozenten der Uni Luzern eine wissenschaftliche Untersuchung veröffentlichten. Ihr Pech: Die Schlussfolgerungen passten Brupbacher überhaupt nicht. «Hey, Uni Luzern, nehmt den Dreck runter, entschuldigt euch bei C. Althaus und publiziert eine Richtigstellung.»
Damit beantwortete er wenigstens in seinem Fall seine Frage, ob denn alle «durchgeknallt» seien. Von solchen Amoks lassen sich dann tatsächlich Politiker in Entscheidungen treiben, deren Konsequenzen sie – wie häufig – nicht im Ansatz übersehen. Man muss sich auch vorstellen, welche Verzweiflung bei Brupbacher und all den anderen selbst ernannten Medienexperten die Macht ergreift. Die Uni Luzern nahm doch tatsächlich diesen «Dreck» nicht runter. Der «komplett übergeschnappte BR Berset» will ebenfalls ums Verrecken nicht auf Brupbacher und Co. hören.
Zum Beispiel auf die ständigen Forderungen nach Lockdown. Schon den ersten überlebten viele KMU nur, weil sie Staatshilfe in Form von Krediten und vereinfachter Bewilligung von Kurzarbeit bekamen. Dann keuchten sie durch den Sommer und freuten sich auf den traditionell im Detailhandel und bei vielen Dienstleistern umsatzstärksten Monat Dezember. Vergeblich.
Zurzeit, weil ein Monat doch eine handliche Zeiteinheit ist, werden wir am 22. Januar sehen, wie viele Geschäfte, Unternehmen, Kultureinrichtungen überhaupt noch aufsperren. Denn wenn es irgendwo ein Massensterben gibt, dann in der Wirtschaft. Die NZZ rechnete bereits vor dem aktuellen Fastlockdown aus, dass bereits Schäden in der Höhe von über 130 Milliarden Franken entstanden seien.
Das übertrifft – in Relation gesetzt – die Schäden während des Zweiten Weltkriegs pro Jahr. Auch diesmal sind sie nicht sichtbarer Natur; es gibt keine Ruinen, keine zerbombten Städte, keine zerstörte Infrastruktur. Aber die klaffender Löcher sind einfach nur mit Geld zugeschüttet.
Wer diese gewaltigen Summen jemals wieder begleichen soll, da sind sich Regierende, Wissenschaftler und Journalisten einig: wir nicht. Was wir kaputt machen, müssen andere aufräumen. Denn unser Job, inklusive Rente und schönes Alterspöstchen, ist garantiert, sagen sich die Regierenden. Unserer auch, echoen die Wissenschaftler, und wer weiss, mit genügend Aufmerksamkeit klettere ich das Leiterchen in der Karriere noch weiter nach oben.
Nur sehr dumme Journalisten meinen, dass auch ihre Arbeitsstelle sicher sei. Dennoch fordern sie, inzwischen wohl mehr aus Herdentrieb, mit markigen Worten drakonische Massnahmen. Begrüssen den vollständigen Lockdown am Sonntag. Was besonders irre ist, weil das den Absatz der Sonntagszeitungen, die das begrüssen, empfindlich verringert. Aber den Zusammenhang zwischen Medien, Ökonomie und Arbeitsplatzsicherheit haben die meisten Journis noch nie verstanden.
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