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St.Galler Spitäler

«Man hätte Geld sparen können»

Die IHK sagte schon 2013, dass die Spitalplanung in eine falsche Richtung läuft.

Stefan Millius am 01. Juni 2018

«Überhaupt nicht zufrieden»: Das war die Haltung der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell (IHK), als die St.Galler Regierung ihre Spitalbauvorlagen präsentierte. Man befürchtete schon damals, dass den Standorten, an denen nicht erneuert wird, die Schliessung droht. Und die IHK präsentierte ihrerseits eine Studie, die eine Umwandlung der Landspitäler in «Ambulatorien» vorschlug. Was die Regierung nun vage skizziert, geht exakt in diese Richtung - fünf Jahre später.

Hatte die IHK den richtigen Riecher? Und ist man dort nun frustriert darüber, dass wertvolle Zeit verschenkt wurde? Im Gespräch mit Robert Stadler, dem stellvertretenden Direktor der IHK.

Robert Stadler

Robert Stadler ist stellvertretender Direktor der IHK St.Gallen-Appenzell.

Robert Stadler, 2013 zeigte sich die IHK unzufrieden mit den damaligen Spitalbauvorlagen. Sie argwöhnte, dass Spitäler, die dabei nicht zum Zug kamen, irgendwann geschlossen werden. Ist das, was jetzt passiert, genau das – beziehungsweise ein Vorbote?

Mit den sechs Spitalvorlagen von damals wurde nur rund die Hälfte des Investitionsbedarfs aufgezeigt. Was mit den Spitalstandorten Wil, Flawil, Rorschach und Walenstadt passieren sollte, wurde ausgeklammert. Vordergründig wurden diese Bauvorlagen zurückgestellt, weil der Kanton so hohe Investitionen nicht auf einmal stemmen kann. Angesichts der Megatrends in der Gesundheitsversorgung war es aber bereits absehbar, dass dies auf längere Sicht zu Spitalschliessungen führen könnte. Man wartet mit den Sanierungen, bis die Macht des Faktischen stärker ist als der regionalpolitische Wille, ein kleines Spital am Leben zu erhalten.

Die IHK selbst hat damals Vorschläge zur Umwandlung von Landspitälern in Ambulatorien vorgeschlagen. Das kam auch bei den davon betroffenen Spitälern schlecht an. Nun schlägt die Regierung voraussichtlich etwas ähnliches vor, gleichzeitig glauben viele Beobachter, dass das nur ein Sterben auf Raten ist. Was meinen Sie, würden diese jetzt gern das Rad der Zeit zurückdrehen?

Das müssen Sie die Regierung fragen. Allerdings hat die Regierung in ihrer aktuellen Medienmitteilung noch nicht inhaltlich Stellung bezogen. Momentan schlägt erst der Verwaltungsrat der Spitalverbunde eine Konzentration auf vier Akutspitäler vor. Die Regierung setzt einen Lenkungsausschuss aus Regierungs- und Verwaltungsratsmitgliedern ein, der die künftige Strategie erarbeiten soll.

Wäre denn die Situation im Kanton St.Gallen heute eine völlig andere, wenn man damals bereits in Richtung Gesundheitszentren statt Spitäler gedacht hätte? Die Herausforderungen wie der zunehmende Kostendruck sind ja gleichzeitig dennoch grösser geworden. Hätte das etwas geändert?

Man hätte Zeit und Geld gespart und die kantonalen Spitäler früher auf einen zukunftsfähigeren Pfad geführt. Damals hat man es leider versäumt, die Spitalstrategie kritisch zu hinterfragen. Dies wäre zwingend gewesen. Denn die veränderten Rahmenbedingungen und Megatrends, welche der Verwaltungsrat der Spitalverbunde jetzt als Grund für die prekäre Lange anführt, waren weitgehend bekannt: Die neue Spitalfinanzierung, die Verlagerung hin zu ambulanten Behandlungen, die demographische Entwicklung, die zunehmende Spezialisierung mit notwendigen Fallzahlen oder auch die immer schwieriger werdende Rekrutierung von qualifiziertem Personal.

Die IHK hat damals zu den Spitalbauvorlagen geschrieben, es sei anzunehmen, «dass die Vorlage der Regierung für diese Standorte Spitalschliessungen auf Raten bedeutet.» Ist es denn wirklich zu spät, um auf ein neues Modell umzuschwenken? Kann es nicht auch sein, dass die Regierung ernsthaft alle Standorte mit einer neuen Strategie verteidigen will?

Man ändert das Modell besser spät als nie. Ich bin selbst sehr gespannt, wie der von der Regierung eingesetzte Lenkungssausschuss die künftige Spitalstrategie sieht. Mittlerweile scheint aber klar, dass man die Augen nicht mehr vor den Realitäten verschliessen kann. Ein strukturelles Defizit von jährlich 70 Millionen Franken ist brutal. Da wäre ein «weiter wie bisher» verantwortungslos. Jemand muss ein solches Defizit decken. Gleichzeitig stehen Qualität und Ruf der St.Galler Spitäler auf dem Spiel.

Die heute gemachte Ankündigung nächster Schritte ist noch sehr vage. Es gibt noch keine abschliessende Strategie, wer wovon betroffen ist, ist unklar. Kann und wird sich die IHK in diesem Prozess wieder einbringen?

Das ist nicht vorgesehen. Der Gesundheitsbereich entspricht nicht unserem Wirkungsfeld als Wirtschaftsverband. Wir haben die private Wirtschaft im Fokus. Damals finanzierten wir die Studie für eine alternative Spitallandschaft, um dem St.Galler Kantonsparlament eine unabhängige Zweitmeinung zu bieten und eine echte Diskussion zu ermöglichen. Es ging uns damals weniger um die Gesundheitspolitik, als vielmehr um einem möglichst sinnvollen Einsatz von Steuergeldern. Der Gesundheitssektor macht schliesslich einen Grossteil der öffentlichen Ausgaben aus.

Abgesehen von einem neuen Modell: Die Stellungnahme von 2013 klingt rückblickend so, als wäre für die IHK die Schliessung eines Spitals völlig undenkbar. Ist das so?

Die von uns in Auftrag gegebene Studie skizzierte drei mögliche Modelle und kam zum Schluss, dass fünf Akutspitäler und vier ambulante Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung am besten sicherstellen kann. Die Autoren der Studie, das spezialisierte Beratungsunternehmen Lenz Beratungen & Dienstleistungen AG, berücksichtigten bei ihrer Analyse verschiedenste Kriterien. Dazu gehörten auch weiche Faktoren wie die zu erwartenden politischen Widerstände gegen Spitalschliessungen.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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