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Covid-Aufarbeitung

Maskentragdispens verweigert – Frage von Arzthaftung?

Aktuell laufen mehrere Strafverfahren gegen Ärzte, welche in Zeiten von Covid allenfalls inhaltlich unberechtigte Maskentragdispense ausgestellt haben.

Artur Terekhov am 07. März 2023

Soweit ersichtlich ist hingegen (noch) nicht Gegenstand gerichtlicher Verfahren, dass gewisse Hausärzte die Praxis pflegten, ganz grundsätzlich und pauschal keine Maskentragdispense auszustellen.

Unstreitig ist zunächst, dass ein ärztliches Zeugnis – nicht zuletzt aufgrund der berufsrechtlichen Vorgaben für Ärzte – als Urkunde im Rechtsverkehr erhöhte Glaubwürdigkeit geniesst. Entsprechend ist die Ausstellung falscher bzw. inhaltlich unrichtiger ärztlicher Zeugnisse strafbar (Art. 318 StGB). Es handelt sich um einen Spezialtatbestand gegenüber der ‚gewöhnlichen‘ Urkundenfälschung. Ante Corona war dieser Tatbestand mitunter bei Arztzeugnissen relevant, wenn diese dazu dienten, unrechtmässig Versicherungsleistungen zu erschleichen oder die Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers zu verlängern, obschon der Arbeitnehmer in Tat und Wahrheit gar nicht krank war. Dass der Schutz von Vermögensrechten eine der wenigen zentralen Staatsaufgaben ist, ist unbestritten. Unbestritten ist ebenso, dass die Ausstellung ärztlicher Maskentragdispense auf blosse Onlineformular-Bestellung hin (teils sogar gegen Kreditkartenzahlung) dilettantisch ist und jeden ärztlichen Sorgfaltsstandard verletzt. Dass in solchen (wenigen) krassen Einzelfällen durchgegriffen werden muss, sollte auch für jeden Kritiker von Corona-Massnahmen klar sein, der auf dem Boden der Vernunft geblieben ist. Denn auch wenn man den Nutzen der Maskenpflicht mit guten Gründen hinterfragen oder zumindest relativieren kann (so übrigens auch mehrfach die renommierten Zeitschriften K-Tipp und Saldo), muss man anerkennen, dass auch andere (legale) Mittel bestehen, um sich gegen die Maskenpflicht (rechtlich) zu wehren, ohne sich einer Urkundenfälschung zu bedienen. Doch bad cases make bad law – und die Debatte auf einige besonders krasse Einzelfälle zu beschränken, greift meist zu kurz.

Denn die meisten Aufsichts- und/oder Strafverfahren gegen Ärzte wurden, soweit ersichtlich, nämlich nicht aufgrund derart eindeutiger Vorkommnisse eröffnet. Vielmehr waren es z.B. übereifrige Schulbehörden, die nicht damit umgehen konnten, dass ein Arzt in einem Dorf mehr als einem Kind ein Maskentragdispens ausgestellt hatte – und dies, obschon in neuerer Zeit unstreitig eine Zunahme gerade von Kinderasthma zu beobachten ist, wobei an dieser Stelle nicht im Detail darauf einzugehen ist, warum dieses Phänomen ausgerechnet in westlichen Ländern mit hohem Zivilisationsgrad besonders oft auftritt. Mehr als ein Maskenattest pro Arzt ist doch per se verdächtig, also gehört dieser gemeldet und soll gefälligst ein Verfahren eröffnet werden, damit jenes abschreckend wirkt; so wohl die Logik. Denn dass es abgesehen von offensichtlich dilettantischen Fällen wie den vorstehenden kaum ohne Verletzung der Unschuldsvermutung zu einer strafrechtlichen Verurteilung kommen kann (soweit das Gericht nach juristischen und nicht politischen Kriterien entscheidet), dürfte meist schon relativ bald zu Beginn der Untersuchung festgestanden sein. Immerhin gilt es nicht zu vergessen, dass das ärztliche Berufsgeheimnis strafrechtlich geschützt ist und auch in einem Straf- oder Aufsichtsverfahren – beispielsweise anlässlich von Entsiegelungen (BGer 1B_435/2021, E. 4.2.2) – nicht ohne Wahrung der individuell-konkreten Verhältnismässigkeit beiseitegeschoben werden darf. Ein Mix aus staatlicher Drohkulisse auf Generalverdachtsbasis gegen einzelne Ärzte wie auch tiefer innerer Überzeugung vieler Mediziner, jeder Nicht-Maskenträger müsse per se ein ‚schwurblerischer Covidiot‘ sein, bewirkten jedenfalls, dass einzelne Ärzte in der Covid-Zeit – ganz generell und unabhängig vom Einzelfall – per se nie Maskentragdispense ausstellten. Dem Autor dieses Beitrags sind mehrere Fälle von Betroffenen bekannt, denen trotz langjährigem Patientenverhältnis und bekannter Krankengeschichte kein ärztliches Maskentragdispens ausgestellt wurde und zwar, ohne dass deren Hausarzt sich je die Zeit für eine persönliche Konsultation genommen hätte. Dies leitet über zu einer Thematik, die in absoluten Zahlen wohl relevanter ist, dennoch aber keinen Einzug in den Berset-Walder-nahen Blick gefunden hat, der lieber Schlagzeilen wie „Bernerin verschickte Maskendispens für 20 Franken per Post“ generiert.

Denn tatsächlich ist kein Grund ersichtlich, die Ausstellung von Maskendispensen als grundsätzlich verdächtig anzusehen, die Nichtausstellung ebensolcher hingegen – ungeachtet des konkreten Falls – apodiktisch nicht zu hinterfragen. ‚Ohne Ansehen der Person‘ als (biblischer und weltlicher) Justizgrundsatz steht einer Gesinnungsjustiz diametral entgegen. Doch wie ist nun die Rechtslage bei Ärzten, welche einen bestehenden Patienten ohne jede Untersuchung abweisen?

Der Arztvertrag unterliegt – ähnlich wie der Architekten- oder Anwaltsvertrag – dem Auftragsrecht nach Art. 394 ff. OR. Er zeichnet sich durch einen Dienstleistungscharakter aus, wobei das Vertrauensverhältnis der Parteien von besonderer Wichtigkeit ist. Ein (messbarer) Erfolg hingegen kann in aller Regel nicht geschuldet sein, sondern nur (branchenübliche) Sorgfalt, für welche der Beauftragte denn auch haftet. Die Pflicht zum sorgfältigen Tätigwerden führt zu einer vertraglichen Garantenstellung, welche auch im Strafrecht – hierzu später – hochrelevant ist (Art. 11 Abs. 2 lit. b StGB). Konkret haftet damit der Beauftragte im Rahmen eines laufenden Vertragsverhältnisses nicht nur für aktive Handlungen, sondern auch für Unterlassungen, also pflichtwidrige Untätigkeit. Und damit sind wir beim Kern des Problems: Während sich Spitäler, Permancence-Praxen oder Fachärzte durch einen hohen Grad an Laufkundschaft auszeichnen – meist geht man aufgrund der Zuweisung eines Allgemeinmediziners kurzzeitig für ein (einzelnes) Problem dorthin – und dadurch ein dauerhaftes Patientenverhältnis nicht der Regelfall ist, ist es beim Hausarzt genau umgekehrt. Dieser kennt in aller Regel die gesamte Krankengeschichte seiner Patienten und ist – auch bei Personen ohne KVG-Hausarztmodell – meist die erste Anlaufstelle bei gesundheitlichen Fragen. Daraus folgt, dass jedenfalls ein Hausarzt unstreitig über eine Garantenstellung gegenüber seinen Patienten verfügt und diesen im laufenden Patientenverhältnis keine Behandlung verweigern darf (Fälle objektiver Unmöglichkeit wie Ferienabwesenheit oder Spitalaufenthalt des Hausarztes natürlich ausgenommen). Daraus folgt auch, dass die Nichtausstellung eines ärztlichen Maskentragdispenses infolge pauschaler Ablehnungshaltung des Hausarztes und ohne überhaupt eine Konsultation mit dem Patienten durchzuführen, in offenkundiger Weise pflichtwidrig ist. Erst recht gilt dies, wenn aufgrund der Krankengeschichte oder eines langjährigen Patientenverhältnisses Anhaltspunkte bestehen, welche auf potentielle medizinische Implikationen durch (zu langes) Maskentragen hinweisen können – wobei ein Hausarzt selbstverständlich auch im Übrigen nicht von der Pflicht entbunden ist, neu auftretende Beschwerden ernst zu nehmen.

Rechtsfolge der Nichtausstellung eines ärztlichen Maskentragdispenses aus pauschaler Ablehnungshaltung und ohne je eine Konsultation mit dem Patienten durchgeführt zu haben, dürfte allem voran der Anspruch auf eine Genugtuung aus vertragswidriger Persönlichkeitsverletzung sein (Art. 28a Abs. 3 ZGB i.V.m. 49 OR), welcher vom Bundesgericht für den Arztvertrag bereits im Jahre 1990 anerkannt wurde (BGE 116 II 519, E. 2c). Denn es gilt sich vor Augen zu führen, dass die Nichtausstellung eines Maskentragdispenses, ohne überhaupt eine Konsultation mit dem Patienten durchzuführen, im Ergebnis nichts anderes ist als die Unterstellung einer Anstiftung zum falschen ärztlichen Zeugnis. Und damit einer Straftat. Es versteht sich nun von selbst, dass die Unterstellung einer Straftat ohne individuell-konkretes Verdachtsmoment eine (hinreichend schwere) Persönlichkeitsverletzung darstellt, welche die Zusprechung einer Genugtuung rechtfertigt, wobei diese in der Schweiz im Gegensatz zu den USA meist (nur) im tieferen vierstelligen Bereich liegt. Zusätzlich bestünde im Falle eines effektiv eingetretenen Schadens ein zivilrechtlicher Schadenersatzanspruch des Patienten und wäre allenfalls auch der Straftatbestand der fahrlässigen Körperverletzung (Art. 125 StGB) durch Unterlassung erfüllt. Schliesslich stellt sich bei einer Pauschalverweigerung im vorstehend geschilderten Sinne auch die Frage einer Berufspflichtverletzung nach Art. 40 MedBG, welche ihrerseits verwaltungsrechtliche Disziplinarsanktionen nach sich ziehen könnte.

Ziel dieses Beitrags ist es nicht, den Teufel an die Wand zu malen oder zu behaupten, jedes Fehlverhalten eines Arztes sei direkt strafrechtlich relevant. Er soll nur, aber immerhin das Schwarz-Weiss-Denken durchbrechen, auf dessen Basis in den letzten drei Jahren diverse Behörden ihre Amtstätigkeit ausgerichtet haben. Nachdem der „Wind of Change“ zum Glück doch noch eingetreten ist und sich (allerspätestens) im Nachhinein diverse Massnahmen als rational kaum haltbar herausgestellt haben, wäre sehr zu wünschen, wenn zumindest in konkreten Einzelfällen benachteiligte Personen zu ihrem Recht kämen. Vielleicht gibt es dereinst ja tatsächlich noch Gerichtsentscheide zu dieser Thematik. Affaire à suivre.

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Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

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