Problemwölfe können mit der neuen Jagdverordnung rascher erlegt werden. Beispielsweise die Jungwölfe des Calfeisental-Wolfrudels. Doch zurzeit kommt es zu weniger Vorfällen als im Vorjahr, bestätigt der St.Galler Jagdverwalter - und relativiert.
Der Wolf schürt Emotionen. Mögliche Abschüsse, Risse und Begegnungen mit den Tieren werden deshalb häufig intensiv diskutiert – und häufig passiert dies nicht mehr auf sachlicher Ebene.
Die eidgenössische Jagdverordnung ist seit dem 1. Juli 2023 in Kraft. Unter anderem können Problemwölfe somit rascher zum Abschuss freigegeben werden.
Wird dies auch künftig nötig sein? Oder gelingt es irgendwann, dass Mensch und Tier nebeneinander leben können? Wie die Situation im Kanton St.Gallen aussieht, erklärt Dominik Thiel, Leiter des Amts für Natur, Jagd und Fischerei des Kantons St.Gallen.
Meldungen über Wölfe reissen nie ganz ab
Im Kanton St.Gallen sind im Moment laut Experten ein Wolfsrudel, ein Paar sowie mehrere Einzelwölfe bestätigt. Die Situation des Wolfsbestands sei somit vergleichbar mit dem vergangenen Jahr. Dieses Jahr wurden 37 Schafsrisse gemeldet, sagt Thiel. Davon geschahen 14 Risse in geschützten Herden. Die Alpsaison sei aber noch nicht zu Ende, und es könne auch auf Heimweiden nach der Alpsaison zu Rissen kommen. Seit dem Jahr 2020 gab es im Kanton St.Gallen jährlich jeweils zwischen 50 und 70 Risse, die grosse Mehrheit in ungeschützten Herden.
Dominik Thiel, die Gruppe Wolf Schweiz sagt, dass bisher massiv weniger Tiere durch Wölfe gerissen wurden, auch wenn die Population ansteigt. Ist das demnach auch in der Ostschweiz der Fall?
Dominik Thiel: Im Moment trifft diese erfreuliche Situation tatsächlich zu. Die grossen Anstrengungen der Landwirtschaft im Herdenschutz scheinen sich zu bewähren. Mit Sicherheit hätten wir deutlich mehr Risse ohne den grossen Einsatz im Bereich Herdenschutz, welche die Betroffenen unter grossem Aufwand leisten. Dies ist aber eine Momentaufnahme und kann sich jederzeit wieder ändern. Der Alpsommer ist noch nicht zu Ende.
Im Juli wurde das Schweizer Jagdgesetz angepasst. Das Gesetz erlaubt nun, einen Einzelwolf abzuschiessen, wenn er innerhalb von vier Monaten sechs statt vorher zehn Schafe oder Ziegen getötet hat. War das in der Ostschweiz zuvor häufig der Fall, dass ein Wolf so viele Nutztiere gerissen hat?
Die neue eidgenössische Jagdverordnung erleichtert rechtlich Wolfsabschüsse. Unterschieden werden Abschüsse wegen grossem Schaden an geschützten Nutztieren oder Abschüsse wegen Gefährdung des Menschen. Seit der Rückkehr des Wolfes in den Kanton St.Gallen im Jahr 2012, als sich das erste Schweizer Wolfsrudel am Calanda im Grenzgebiet zu Graubünden etablierte, wurde schon zweimal ein Wolfsabschuss wegen grossem Schaden verfügt. Die Wölfe konnten jedoch nicht erlegt werden. Im Jahr 2017 hat der Kanton St.Gallen eine Abschussbewilligung für einen Wolfsrüden erteilt, der innert vier Monaten in fünf Kantonen mindestens 53 Schafe gerissen hat.
Wie ist das Vorgehen, wenn ein «Problemwolf» auftaucht?
Entweder muss nachgewiesen werden, dass ein grosser Schaden an geschützten Nutztieren entstanden ist, oder der Wolf muss Menschen akut gefährden. Einzelabschüsse können die Kantone verfügen, bei Rudelregulationen benötigt es die Einwilligung des Bundes. Die Beurteilung von Wolfsrissen, Herdenschutzmassnahmen sowie von Wolfsverhalten geschieht nach definierten Richtlinien durch die Wildhut, das Amt für Natur, Jagd und Fischerei sowie die kantonale Fachstelle für Herdenschutz. So definiert eine Kriterienliste im «Konzept Wolf Schweiz» welche Begegnungen zwischen Wolf und Mensch bezüglich der Gefährlichkeit zu werten sind.
Womit können die Bestände besser reguliert werden – durch den Abschuss der Wolfswelpen oder des Leitwolfs? Welche Tiere sind «problemanfälliger»?
Eine Regulierung von Wolfsrudeln ist im Moment nur über Abschüsse von Jungtieren erlaubt, also diesjährige oder letztjährige. Dabei wünscht man sich auch gleichzeitig einen Vergrämungseffekt, indem die Tiere aus einer Situation erlegt werden, in welcher der Rest des Rudels den Abschuss mitbekommt – wenn möglich in der Nähe von Nutztieren oder Menschen.
Ausgewachsene Wölfe können im Moment nur als Einzelabschuss aufgrund grossen Schadens oder Gefährdung des Menschen erlegt werden. Bei solchen Abschüssen gelten zeitliche Vorgaben. Dabei muss berücksichtigt werden, dass, wenn Leittiere erlegt werden, sich die Rudelsituation ändern kann – beispielsweise die Aufteilung des Rudels – und man danach gegebenenfalls sogar mehr Schäden an Nutztieren provoziert.
Werden nach solchen Anpassungen viele Reaktionen an Sie herangetragen?
Das Thema Wolf schürt rasch Emotionen. Dementsprechend werden auch vielseitige Forderungen von Verbänden wie auch der Bevölkerung an uns getragen. Das Thema Wolf polarisiert weiterhin stark. Seitens Behörde versuchen wir, die Lage immer stets sachlich und neutral zu behandeln.
(Bild: Depositphotos)Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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