«Wenn das Personal fehlt und die Arbeit bleibt» - unter diesem Motto wird der diesjährige Personaltag abgehalten. Referent Matthias Mölleney erklärt, wie man es dennoch schaffen könnte, an geeignete Mitarbeiter heranzukommen.
Sie sagen, dass Führung, Personalmanagement und die Fähigkeiten im Umgang mit Veränderungen über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Wie gehen Sie persönlich mit Veränderungen um? Sind Sie also kein «Gewohnheitstier»?
Natürlich sind wir alle Gewohnheitstiere, ich auch. Der entscheidende Punkt ist unsere Haltung zu Veränderungen, das heisst, unsere Bereitschaft, immer mal wieder die Komfortzone zu verlassen. Ich persönlich bin ein Mensch, der sich leicht an andere Gegebenheiten anpassen kann und sich dabei nicht aus dem Gleichgewicht bringen lässt. Weil ich das weiss, kann ich auch mit Veränderungen gelassen umgehen. Andere haben vielleicht einen anderen Zugang zu Veränderungen, das ist klar. Wichtig ist, dass wir uns nicht verunsichern lassen, denn das lähmt.
Gerade Veränderungen brauchen immer sehr viel Zeit. Weshalb halten wir uns so an «alten Zöpfen» fest?
Ich glaube, es sind nicht einmal die Veränderungen, die uns Mühe machen, sondern die Unsicherheiten, die meistens damit verbunden sind. Zöpfe geben Sicherheit, denken wir, und darum lassen wir so ungerne los.
Das Motto des diesjährigen Personaltags ist sehr aktuell. Sie haben ein eigenes Unternehmen – kommt Ihnen da der Fachkräftemangel «entgegen», weil viele eine Beratung wünschen?
Unser Geschäft ist ziemlich krisensicher, denn wenn Leute gesucht werden, sind wirksame Strategien und eine professionelle Unterstützung sehr gefragt. Wenn es schlecht läuft in der Wirtschaft und Personal abgebaut werden muss, braucht man uns auch. Spass beiseite: Wir arbeiten derzeit vor allem mit Unternehmen, die erkannt haben, dass es in Zeiten des Fachkräftemangels nicht genügt, wenn man die Webseite auffrischt und auf Instagram aktiv wird. Es geht um ein Employer Branding, das von ganz innen her kommen und wachsen muss. Nur dann, wenn die gelebte Unternehmenskultur als positiv empfunden wird und die psychologische Sicherheit hoch ist, werden die Mitarbeitenden auch positiv über das Unternehmen reden, wenn sie von potenziellen Bewerber:innen aus ihrem persönlichen Umfeld danach gefragt werden.
Eine Stellenausschreibung herausgeben und viele interessante Bewerbungen erhalten – das funktioniert also nur noch in den wenigsten Fällen. Wie schaffen es die denn Unternehmungen, an geeignetes Personal heranzukommen? Ein Ding der Unmöglichkeit?
Nein, gar nicht, es ist nur anders. Wir müssen umdenken und den Arbeitsmarkt nicht mehr nur aus der Arbeitgebersicht betrachten, sondern auch und ganz besonders aus der Sicht der Kandidat:innen. Ich habe mal vorgeschlagen, wir sollten die Bezeichnungen tauschen, denn eigentlich sind die Arbeitgeber ja die Arbeitnehmer, wenn sie die Arbeit ihrer Angestellten entgegennehmen, und die Arbeitnehmer sind eigentlich die Arbeitgeber, denn sie geben ihre Arbeit. Da diejenigen, die «geben», immer etwas mehr Macht haben als diejenigen, die «nehmen», wäre dieser Tausch der Bezeichnungen angebracht und würde die aktuelle Machtverschiebung auf dem Arbeitsmarkt verdeutlichen. Aber bevor Sie weiter darüber nachdenken, wie das gehen könnte mit dem Begriffstausch: Ich denke, wir sollten es lieber nicht machen, weil das ein heilloses Chaos anrichten könnte. Aber trotzdem sollten wir uns klar darüber sein, dass wir unsere Perspektive verändern müssen.
Es gibt verschiedene Ansätze, den Fachkräftemangel anzugehen: mehr Lohn, flexible Arbeitszeiten, eine Vier-Tage-Woche. Welchen Ansatz finden Sie persönlich besonders erstrebenswert?
Wir leben in einer Zeit der Individualisierung. Insofern befürworte ich vor allem individualisierbare Lösungen, das heisst Systeme, bei denen sich die Angestellten ihr eigenes Paket aus Lohn, Lohnnebenleistungen und sonstigen, auch nicht-monetären Komponenten zusammenstellen können. Je vielfältiger die Auswahl, desto besser. Beispiele sind einfache Ansätze wie Ferienkauf oder innovative Angebote wie eine Gegenwartskasse, bei der ich meine Überstunden sammeln und für persönliche Purpose-Projekte einsetzen kann.
Corona hat den Arbeitsmarkt und -modelle ganz schön durcheinandergewirbelt. Nun, nachdem die Pandemie vorbei ist, wechseln aber doch einige namhafte Unternehmungen wieder zurück zu den Wurzeln – beispielsweise, was das Homeoffice oder die Anwesenheitspflicht betrifft. Sind die alten Gewohnheiten also doch nicht so einfach abzulegen?
Das Pendel ist durch Corona ganz weit Richtung Remote Work ausgeschwungen und jetzt schwingt es wieder zurück. Wie so oft sind Extreme nicht die beste Lösung. Ausschliesslich im Homeoffice zu arbeiten, macht die notwendige «Social Connection» ausserordentlich schwierig, und wenn wir wieder alle zu 100 Prozent im Büro anwesend wären, würden wir die Vorteile von Remote Work, zum Beispiel was Ökologie, Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder Produktivität angeht, nicht nutzen können. Sie haben Recht, was die alten Gewohnheiten angeht, aber das beste Gegenmittel gegen alte Gewohnheiten sind neue Gewohnheiten.
Sie haben zwanzig Jahre bei der Lufthansa gearbeitet und sind dann in die Schweiz gekommen. Das war 1998. Wie schwer – oder eben nicht – fiel Ihnen dieser Wechsel?
Der Wechsel war eigentlich nicht so schwer, weil es von der Einstellung zu Qualität und Führung her sehr viele Ähnlichkeiten gab zwischen der Lufthansa und der damaligen Swissair. Schwerer war die Umstellung zum Beispiel im Arbeitsrecht, denn da gibt es erhebliche Unterschiede zwischen Deutschland und der Schweiz. Ganz allgemein würde ich es vielleicht so zusammenfassen: In Deutschland ist alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. In der Schweiz ist das, was nicht ausdrücklich verboten ist, noch lange nicht erlaubt.
Sie sind 63 Jahre alt. Sind Sie froh, an dieser Stelle zu stehen – oder würden Sie in dieser anspruchsvollen Zeit noch einmal voll «mitmischen» können?
Ich habe das grosse Glück, dass ich in meinem Berufsleben so gut wie immer in Funktionen tätig war, wo ich etwas anstossen und bewegen konnte. Das ist heute immer noch so, auch wenn es nicht mehr so operativ ist. Aber ich bin immer noch mit Leib und Seele mitmischender «Personaler» und fühle mich wohl in meiner Haut.
Wie sehen Sie der Zukunft entgegen? Wie optimistisch sind Sie angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage?
Ich bin immer ein Optimist gewesen und habe die feste Absicht, das auch zu bleiben. Ich glaube, dass die schwierige wirtschaftliche Lage alleine noch gar nicht so schlimm wäre. Was mir mehr Sorgen macht, sind die Komplexität und die Gleichzeitigkeit der verschiedenen Veränderungsphänomene. Auch politisch fehlt mir im Moment der Nordstern, denn seit sehr vielen Jahren haben wir Menschen nicht mehr in einer Zeit gelebt, in der es nicht aufwärts ging. Seit der Industrialisierung haben wir in Europa – nur unterbrochen durch die beiden Weltkriege – immer etwas aufgebaut, erweitert, vergrössert usw. Jetzt stehen wir politisch vor einer Situation, in der statt dem «Mehr» das «Weniger» zum Ziel erhoben wird bzw. werden muss. Wir müssen mit weniger auskommen und einige erreichte Standards aufgeben, um die Klimaziele zu erreichen. So etwas löst immer Ängste aus, dass man zu kurz kommt und sich die Anstrengungen der Vergangenheit nicht gelohnt haben. Die Politik schafft es nicht, die lebenswerte Umwelt zu einem attraktiven Generalziel zu machen, das alle gemeinsam erreichen wollen. Aber ich bin, wie gesagt, Optimist und glaube daran, dass mit einer guten Leadership sehr vieles möglich ist. In den Unternehmen sind wir «Personaler» ganz besonders gefordert. Aber so wie wir darüber nachdenken, wo wir die Next Generation Leaders herbekommen und wie wir sie ausbilden können, müssten wir uns als Gesellschaft überlegen, wo wir die Next Generation Politiker:innen herbekommen und wie wir sie möglichst bald in die entscheidenden Positionen bringen können.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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