Daniel Füglister ist CEO der Gastronomie- und Hotelberatungsfirma Hotelfactory AG. Er versucht, Max Waldmeyer im Interview ein paar Geheimnisse in Sachen weltweiter Gastronomiegeschichte zu entlocken.
Er versucht, ihn in die Zange zu nehmen - aber Waldmeyer produziert nur politisch wenig korrekte Statements.
Daniel Füglister (DF): Max, Du kochst auch gerne einmal selbst - oder du lässt vor allem kochen. Dabei kannst du auf deine polyglotten Erfahrungen zurückblicken. Du erklärst immer, die weltweit unterschiedliche Gastronomie sei einfach „gesellschaftsbedingt“. Diese Aussage ist doch etwas dürftig. Wie meinst du das?
Max Waldmeyer (WM): Nun, schau dir nur mal Europa an. Der Deutsche sieht sich als Kunde des Staates. Der Schweizer als Teil von ihm. Dem Briten andererseits ist der Staat völlig egal, solange dieser ihn in Ruhe lässt. Der Franzose sieht den Staat als Gegner, der Spanier ebenso (er hat Angst vor dem Staat). Der Italiener ist frei vom Staat, er hat den Glauben an ihn schon lange verloren und richtet sich autark ein (alternativ glaubt er an die Familie und an die Mafia).
DF: Schön und gut, aber was, bitte schön, hat das nun mit Gastronomie zu tun?
WM: Gar nichts. Es zeigt nur auf, wie sich die Gesellschaften unterschiedlich entwickelt haben - und entsprechend eben deren Gastronomie. Und wenn wir schon über Geschichte sprechen: Absolut prägend beispielsweise war die unterschiedliche Kolonialisierung der Welt.
DF: Ok, aber was hat das wieder mit der Küche zu tun?
WM: Schau dir mal die Briten an: Ihre kulinarische Basis war, historisch gesehen, immer schon sehr bescheiden. Dann zogen sie los und eroberten die Welt – und verbreiteten dabei in ihren Kolonien die schlechte Küche. Überall dort, wo sie ihre Überseegebiete errichteten, zogen sie eine gastronomische Blutspur hinter sich her: in den USA, Australien, Neuseeland, sogar in der Karibik, im Atlantik und im Pazifik. Die Spanier und die Portugiesen machten es übrigens auch nicht besser. Rein kulinarisch gesehen war da die französische Kolonialisierung geradezu ein Segen. Überall dort, wo sie ihre Kolonien bildeten, isst man auch heute noch hervorragend!
DF: Du erklärst allerdings die italienische Küche zur besten der Welt - und nicht die französische. Da bin ich einverstanden, das Statement könnte auch von mir stammen. Aber warum ist das so…?
WM: Schau dir doch nur mal die merkwürdige Geografie des Landes an. Dieser Stiefel hat es in sich, denn insgesamt verfügt das Land über eine Küstenlänge von 7‘600 km. Zur Römerzeit waren es natürlich bedeutend mehr. Aber noch heute ist das rekordverdächtig, denn so grenzt Italien mit 7‘600 km an das Mittelmeer. Italien ist also das mediterranste Land der Welt. Geht man nur etwas ins Landesinnere, z.B. in die Toscana, landet man gleich wieder auf der anderen Seite am gleichen mediterranen Meer. Dazwischen liegen nur Weinberge und bestenfalls ein paar Trüffel. Italien ist also durchtränkt mit „mediterran“, mit Olivenöl, Früchten des Meeres, guten Weinen. Kein Wunder, liegt Italien so auf dem 1. Platz.
DF: Mir fehlt nun aber der gesellschaftliche Link.
WM: Anstelle an den Staat glaubt der Italiener wie gesagt an die Familie, er glaubt an die Kirche und an die Mafia. Aber eben vor allem an seine Küche! Die Italiener haben hier einfach einen bemerkenswerten kollektiven Wettbewerbsvorteil – gerade aufgrund dieses fundamentalen Ersatzglaubens. Schade, hatte Italien früher nicht mehr Kolonien.
DF: Nun, Italien kolonialisiert die Welt heute einfach mittels Exportes seiner Küche, und dies global. Nun, gehen wir nochmals zurück zur französischen Küche. Sie gilt ja als die raffinierteste weltweit. Wie siehst du hier den gesellschaftlichen Hintergrund?
WM: Böse Zungen behaupten, die Italiener hätten ihre Küche nach Frankreich gebracht. Es war jedoch eher so, dass die Haute Cuisine mit ihrer endlosen Menüabfolge am französischen Hof einfach aus Langeweile entstand. Dieser Hof war zudem gesellschaftlich bestimmend in ganz Europa. Ja, und dann haben die Franzosen die Restaurants erfunden. In ihrer monarchischen Denke sind sie heute übrigens nicht weiter als damals, und nur schon der Glaube an die Grande Nation hilft ihnen, dauernd an die herausragende Küche zu denken. Paul Bocuse mit seiner marketingmässig exzellent lancierten Nouvelle Cuisine trug dann das Seine zum Mythos bei. Bocuse war übrigens ein lustiger Kerl, er mischte auch schon mal etwas Kuhmist in ein Gericht.
DF: Ansonsten nehmen die Franzosen ihre Küche natürlich sehr ernst.
WM (seufzt): Absolut, todernst sogar. Hier hört der Spass auf. Ich selbst wurde im Restaurant schon mehrmals von Kellnern zurechtgewiesen.
DF: Hier ein paar Stichworte: Was fällt dir zu Sauce Hollandaise ein?
WM: Ja, diese ist wohl ein Ärgernis für die Franzosen, weil sie nicht Sauce Française heisst. Aber die Holländer verfügten damals wohl einfach über die bessere Butter.
DF: Und Tournedos Rossini?
WM: Dieser Rossini konnte gar nicht kochen; er war nur Komponist.
DF: Und Filet Wellington?
WM: Wir kennen diesen Typ, den Wellington, gar nicht richtig. Er war sicher kein Koch. Wohl eher ein zweitklassiger General, der sein totes Pferd aufgegessen hat – zumindest das Filet davon. So in etwa wird das kolportiert. Gehen wir besser nochmals zurück zur Kolonialisierung: Während die Briten nur etwas Chutney und Pfeffer nach Hause trugen, brachten die Franzosen viel mehr an Ideen aus der ganzen Welt an den heimischen Herd. Ich meine damit nicht den Couscous, der heute in den Banlieus von Paris gekocht wird. Sondern z.B. die Gewürze und Rezepte, die aus Indochina und Afrika stammen. Das führte zu Höchstleistungen.
DF: Solche Höchstleistungen gab und gibt es auch immer noch in Fernost!
WM: Einverstanden, die japanische Küche beispielsweise ist hervorragend; die Japaner essen aber einfach viel zu schnell. Die Japaner sind auch kein lustiges Volk, schon gar nicht beim Essen. Ebenso hervorragend ist die thailändische Gastronomie – oder die vietnamesische, die notabene gerade dank der französischen Kolonialisierung weiter verfeinert wurde. Auch dürfen wir die Peruaner nicht vergessen, zumal sie die spanischen Konquistadoren kulinarisch überlebt hatten. Die Peruaner, bzw. die Inkas, kennen „Ceviche“ seit tausend Jahren. Die Spanier klauten den Inkas jedoch nur ihr Silber, nicht aber die Rezepte. Das war ziemlich dumm. Die Spanier frittieren auch heute noch immer alles, ein Jammer.
DF: Danke für das Interview, Max. Genau hier werden wir das nächste Mal unser Gespräch fortsetzen: Wir werden dann über die schlechtesten Küchen der Welt sprechen!
WM: Gerne, das wird allerdings ziemlich unappetitlich werden!
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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