logo

Freitags-Glosse

Max Waldmeyer fährt 2034 nach Zürich

Meisterschwanden, 8. November 2034. «Halleluja, wir haben einen Slot!», jubilierte Charlotte und schaute von ihrer Tablet-Folie auf. Auch Max war erleichtert, hatten sie doch seit über 14 Tagen auf diese Nachricht gewartet. Nun durften sie kurz nach Zürich rein.

Roland V. Weber am 18. März 2022

Es war in den letzten Jahren immer schwieriger geworden, als Individuum einfach so mal in die Stadt reinzufahren. Und was einen dann dort selbst erwartete, war gar nicht lustig. Aber dazu später.

Einiges hatte sich gewandelt in den letzten Jahren, vor allem in den grossen Städten. Die meisten Strassen in der City bestanden nun aus Grünflächen. Auch Dachgärten mussten begrünt werden (und sie mussten für alle frei begehbar sein). Selbst Baucontainer mussten bepflanzt werden – wenn es auch nur sehr wenige waren, denn gebaut wurde eigentlich kaum mehr.

Die Grün-Grün-Rot-Rote-Alternative-Regierung hatte einiges erreicht. Auch in ihrer Zusammensetzung, mussten doch seit 2028 – per Gesetz – alle LBGTQ+ Ausprägungen bei der Regierungszusammensetzung berücksichtigt werden. Gleichzeitig wurden alle Strassennamen „feminisiert“. Nur noch die weibliche Form der Namen war erlaubt - eine weitere Errungenschaft der aufgeschlossenen neuen Politiker-Generation. Die Gärtnerstrasse hiess nun „Gärtnerinnenstrasse“. Das führte nicht zuletzt zu einigen Komplikationen bei Google Maps.

In der Stadt durfte man sich, wenn nicht zu Fuss oder mit dem Fahrrad, nur noch elektrisch fortbewegen. Oder mit negativem CO2-Wert. Verbrennerfahrzeuge durften also nur verkehren, wenn sie CO2 vernichteten – es mussten quasi rollende Bäume sein. Und weil es dies noch nicht gab, durfte diese Art von Autos gar nicht mehr bewegt werden.

Waldmeyer freute sich trotzdem auf den Abstecher nach Zürich. Er hätte ab Meisterschwanden natürlich erst den Bus, anschliessend die Bahn wählen können. Als alternder Individualist hatte er jedoch Mühe mit dieser Option und zog es vor, lieber als Automobilist zu leiden.

Der Slot hatte extra gekostet, also galt es nun, diesen sofort zu nutzen. Max und Charlotte enterten also sofort ihren neuen Genesis E-4-u (Anm. der Redaktion betreffend Aussprache: „i-for-you“) und setzten sich in die veganen Sitze (Anm. der Redaktion: Ledersitze waren seit einigen Jahren nicht mehr sozialverträglich).

Das mit dem autonomen Fahren funktionierte immer noch nicht. Und wenn, dann nur auf den grossen Hauptachsen und nicht, wenn Schnee auf der Strasse lag. Im Moment war Schneeregen angesagt. Waldmeyer freute sich, denn so durfte er sich selbst ans Steuer setzen.

Beim Stadteingang wurde die Geschwindigkeit des Genesis abrupt und automatisch auf 20 km/h reduziert. Das war ganz praktisch, so musste man nicht mehr auf das Einhalten der Geschwindigkeit achten.

Bereits 2023 hatte es relativ flächendeckend mit einer 30 km/h Limite begonnen, ab 2030 waren es nur noch 20 km/h. Mila Perica, die neue Stadtpräsidentin aus der LBGTQ-Fraktion (serbisch, eingebürgert, Queer, platinblondes Kurzhaar, ausgebildete Traumatherapeutin) sprach bereits von einer weiteren Reduktion zwecks Verkehrsberuhigung.

Es gab nicht viel Verkehr auf der Strasse. Der Grund lag unter anderem auch in der neuen Besteuerung seit 2030. Die Idee des Eigenmietwertes wurde im Kanton Zürich nämlich auch auf Privatfahrzeuge ausgedehnt: Nun wurde der Besitz eines privaten Verkehrsmittels (ab vier Rädern) extra besteuert.

Waldmeyer Logo

Die Begründungen für die drastischen Verkehrsmassnahmen in der Stadt waren vielfältig. Ursprünglich ging es nur um die Reduktion des Verkehrsvolumens. Dann ums Klima. Mit den Elektrofahrzeugen sublimierte sich dieses Argument allerdings schon bald, zumindest vordergründig. Also ging es nur noch um den Lärm. Dieser letzte Ansatz war insofern besonders anspruchsvoll, als dass Elektrofahrzeuge den Lärmpegel in den Strassen bereits deutlich reduzierten. Nun waren sie indessen viel zu leise, sodass sie mit einem künstlich erzeugten Lärm (oder Sound, auch Musik war erlaubt) versehen werden mussten, um von den Fussgängern nicht überhört zu werden. Waldmeyer hatte aus dem Sound-Generator, über den nun jedes Fahrzeug obligatorisch verfügen musste, „Highway to Hell“ von AC/DC ausgewählt, Charlotte programmierte jeweils „As slow as possible“ (es handelte sich um das langsamste Musikstück der Welt, von John Cage).

Dass der Klimawandel ein globales und nicht ein lokales Phänomen ist, wurde von der Politik seit Jahren schlichtweg negiert. Mikro-Management war angesagt. Das Outsourcing von CO2 war jetzt – aus dieser verkürzten Sicht - insofern erfolgreich, als dass die Umweltverschmutzung und der Klimawandel zum grossen Teil im Ausland stattfanden. Gebaut und entsorgt wurden Autos und Batterien ja nicht im eigenen Land. Und auch ein grosser Teil der Energie, insbesondere im Winter, kam aus dem Ausland – oft aus CO2-Dreckschleudern wie Kohlekraftwerken, die mangels anderer Energieproduktion immer noch nicht abgestellt wurden. Die ganze Energiewende hatte sich eh verzögert, seit Putin damals, in der Ukraine-Krise, den Gashahn nach Europa abgestellt hatte. Die Luftsäule über der Schweiz (und insbesondere über vielen grossen Städten) blieb so vollkommen rein!

Parkplätze gab es fast keine mehr in der Stadt, fast alle waren abgebaut worden. Oberirdisch wurden sie in Grünflächen konvertiert, die Parkhäuser indessen wurden seit Ende der 20er Jahre als Asylantenheime, ukrainische Flüchtlingsunterkünfte oder LGBTQ-Begegnungsstätten genutzt.

Max lud Charlotte also verbotenerweise an einer Bushaltestelle im Schneeregen ab und drehte ein paar Kurven, bis Charlotte mit offline Einkaufen fertig war. Der Schneeregen war übrigens eine glückliche Fügung, denn so konnte man sich einigermassen flüssig auf den schmalen Fahrspuren bewegen. Bei gutem Wetter waren diese nämlich meistens von Demonstrierenden und Sit-ins belegt, unter die sich auch regelmässig Exekutivpolitiker mischten.

Nun gab es einen Fahrerwechsel: Jetzt durfte Max mal offline. Und nach einer Stunde schlichen sie mit ihrem Langsamgefährt wieder aus der Stadt.

Unterwegs wurden sie noch von einem Pulk aus Lastenrädern überholt, dann noch von ein paar Joggern. Einer war besonders schnell – es musste sich wohl um einen Typen wie Kylian Mbappé handeln (Anm. der Red.: Kylian ist ein französischer Fussballstürmer von 2020/2021, welcher bis zu 35 km/h schnell sprinten konnte).

Während der Heimfahrt kramte Charlotte an der Stadtgrenze ihre etwas zerknitterte Tablet-Folie aus der Handtasche und überprüfte die Abrechnung für das Roadpricing: US-Dollar 27.50 für den Slot waren bereits direkt vom Bankkonto abgebucht worden. Das war soweit ok, schliesslich hatten beide Geld gespart beim Einkaufen - beide hatten nämlich gar nichts gekauft. Charlotte hätte das Geschäft von Grieder so oder so nicht gut erreichen können, da die Magerwiese vor dem Lokal klitschnass war und sie ihre Sneakers aus Recyclingmaterial schonen wollte. Und Max hatte keine Lust, mit den sechs Flaschen Terre Brune in der Jutentasche durch die Stadt zu stapfen und dann irgendwo zu warten, bis die Schleifen ziehende Charlotte mit dem Elektrofahrzeug vorbeischlich - also hatte er den Wein stehen lassen.

„Offline ist für mich gestorben“, brüllte Max zu Charlotte rüber. Er versuchte dabei, das etwas zu laute „Highway to Hell“ zu übertönen. Beide beschlossen, ihre Sachen künftig nur noch online zu bestellen. Dann würde eben der schwere Transporter bei ihnen in Meisterschwanden vorfahren. Vielleicht mehr als einmal im Tag, denn Alibaba kam nach wie vor für jeden Artikel einzeln vorbei. Das war zumindest ganz abwechslungsreich.

Immerhin hatte man in Zürich nun den Klimawandel aufgehalten und die Stadt endlich beruhigt.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.