Sonntagmorgen, Frühstück. Max, Charlotte und auch die vergeblich erzogenen Kinder Lara und Noa flegeln verschlafen am Tisch rum. «Ich verkaufe Tesla», rapportierte Waldmeyer etwas platzsprengend. Noa antwortete als erster: «Aber wir haben doch gar keinen Tesla.» Waldmeyer: «Wir tun so.»
Die Geschichte von Tesla ist bekannt: Der etwas abgefahrene, aber dennoch geniale Elon Musk baut ein ebenso geniales Elektroauto, indem er, leicht vereinfacht, ein Fahrzeug um eine ziemlich gut entwickelte Software mit 2‘000 Handybatterien herumbaut. Die Schlitten verkaufen sich leidlich, aber nicht übermässig. Allerdings: Noch kaum konnte ein Geschäftsjahr mit Gewinn abgeschlossen werden. Waldmeyer stellte zudem fest, dass das Tesla betreffende Energieproblem nicht wirklich gelöst ist, denn irgendwo her muss der Strom ja kommen – bei uns in Europa oft aus schmutzigen Braunkohle- oder Atomkraftwerken, ein bisschen noch aus Wind-, Wasser- oder Sonnenenergiekraftwerken. Insgesamt, im Strom-Mix, also nicht sehr sauber. Auch die energiefressende Batterieherstellung ist kein Ausbund an nachhaltiger Ökologie, und für die spätere Entsorgung der Schlitten kann kein grünes Denkmal gesetzt werden. Aber es war noch nie Elon Musks Anspruch, Energieprobleme zu lösen. Er wollte mehr oder weniger nur ein grosses Handy mit vier Rädern bauen und so nebenbei die Automobilindustrie revolutionieren.
Das elektrische Fahren wird – trotz längerfristig ungelöster Energiefragen – staatlich überall gefördert, und die Automobilindustrie, insbesondere in Europa, wird zu behördlich verordneten Produktionswechseln verdonnert. Tesla liegt technologisch noch zwei, drei Jahre vorne, verkauft seine relativ wenigen Fahrzeuge weltweit. Pro memoria: Tesla-Produktion: 500‘000, VW-Konzern (der weltweit grösste Fahrzeughersteller) 9 Millionen – also 18-mal mehr.
Waldmeyer dozierte weiter am Frühstückstisch, obwohl eigentlich niemand zuhörte. Aber es ist nun mal ein ganz normaler Vorgang, dass man sich selbst oft lieber zuhört als den andern. Waldmeyer fasste trotzdem weiter laut zusammen und vermerkte, dass Tesla an der Börse zurzeit fast 750 Milliarden USD schwer ist – das ist doppelt so viel, wie die drei grossen deutschen Automobilfirmen zusammen auf die Waage bringen. Der VW-Konzern alleine bringt es nur auf 125 Milliarden USD – er ist also rund sechsmal weniger wert als Tesla. Die Ratio Börsenwert/Fahrzeugproduktion stellt sich bei Tesla damit bei einem ziemlich unrealistischen Faktor 150 ein, verglichen mit rund 15 beim VW-Konzern!
Noa klinkte sich nun ein und tippte auf seinem iPhone rum. Er versuchte, den Börsenwert von Tesla durch die Anzahl produzierter Fahrzeuge zu dividieren. Es kamen jedoch nur Fehlermeldungen. Zu viele Nullen für das teure Apple-Gerät. Waldmeyer überschlug die Zahlen kurz im Kopf: „Jeder produzierte Tesla entspricht einem Börsenwert von 1.5 Millionen USD“, teilte er dem Frühstückstisch mit. Charlotte war entsetzt: „Wie kann denn einer so blöd sein und Tesla zu einem solchen Preis kaufen?“. Waldmeyer rechnete weiter: „Bei VW sieht es anders aus: Börsenwert rund 14‘000 USD pro Fahrzeug.“ Charlotte misstraute den Zahlen. Zumal sie an die Bestellung ihres neuen schwarzen Audis dachte – wohl wissend, dass Audi zum VW-Konzern gehört und dass ihr chices neues Gefährt ein bisschen teurer ausfallen wird als die bescheidenen 14´000.
Die Börse nimmt richtigerweise die Zukunft vorab, und die künftige Performance einer Firma ist dann eben im Kurs „eskomptiert“, wie Waldmeyers Banker Pierin Caduff jeweils mit gespielter Selbstverständlichkeit zu formulieren pflegte. Nur: Soooo viel EBIT kann eine Firma wie Tesla in den nächsten Jahren unmöglich erwirtschaften, um den Börsenkurs auch nur annähernd zu reflektieren. Herr Musk müsste eine gigantische Tesla-Produktion aufziehen und gleichzeitig ebenso gigantische Gewinne pro Fahrzeug einfahren, um die derzeitige Bewertung zu rechtfertigen. Undenkbar. Aber das heisst nicht, dass die Börse nicht unmögliche Kurse stellen darf – sie darf alles.
„Wenn wir Tesla-Aktien verkaufen würden, machen wir es wie Musk“, erklärte Waldmeyer weiter. Für Max war es nämlich sonnenklar, dass der gute Elon Werte promotet, die es eigentlich nur virtuell gibt. Fazit: Letztlich bewegt sich die Tesla-Aktie heute auf einem absurd hohen Niveau.
Der Trick also: Man spekuliert auf tiefere Kurse, agiert à la baisse. Man kauft Puts. Waldmeyer: „Wir kaufen Rechte, die auf tiefere Kurse setzen. Falls wir dann wirklich recht haben, gewinnen wir, falls nicht, verlieren wir. Wir tun so, als ob wir Tesla-Aktien besitzen und verkaufen sie – virtuell. Weil wir sicher sind, dass sich die hohen Kurse so nicht längerfristig halten können.“
Jetzt kam Lara auf den Plan: „Ist das nicht unethisch, etwas zu verkaufen, das einem gar nicht gehört?“
Nein, reflektierte Waldmeyer. Denn nur so kann Waldmeyer ein Zeichen setzen, wohin der Kurs künftig – realistischerweise – zielen sollte. Vielleicht würde Herr Musk dann kurz konsterniert von seinen Mars-Flugplänen aufblicken, wenn er erfährt, dass Max Waldmeyer, Meisterschwanden, Switzerland, à la baisse verkauft.
Mehr von Waldmeyer gibt es hier.
Who is Max Waldmeyer ?
Max Waldmeyer existiert nicht. Trotzdem: Seine kritischen, sarkastischen und zum Teil absurden Gedanken und Kommentare sind interessant. Waldmeyer ist Mitte 50 und lebt gut bis sehr gut situiert im Einzugsgebiet von Zürich - genau genommen in Meisterschwanden am Hallwilersee (Gartenstrasse 4). Als Unternehmer fühlt er sich mikroökonomisch gestählt; seit einiger Zeit jedoch hat er sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen und geniesst so mehr Freiheit in Gedanken und Zeit. Er beobachtet die ganze Welt – nicht zuletzt, weil er auf der Suche nach einem optimalen Second Home ist, einem zweiten Lebensmittelpunkt (2.LMP, wie er es nennt). Seine Frau Charlotte ist selbständige Interior Designerin und die einzige Person, die ihn ab und zu zu bremsen weiss. Die zwei Kinder, Noa und Lara, sind schon partiell aus dem Haus. Sie sind noch in der Ausbildung.Waldmeyer trägt eine IWC (früher eine Rolex) und fährt einen Porsche Cayenne (schwarz, innen auch).
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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