Für einmal stimme ich mit den Virologen, Infektiologen, Epidemiologen und allen anderen Fernseh-Experten vollständig überein: Auch ich befürchte eine zweite Welle. Eine Welle, wie sie uns ja prophezeit wird, kaum sind die ersten Lockerungen in Kraft getreten.
Für viele, wie gewisse Medien nicht müde werden zu betonen, zu früh, zu rasch, zu weit. Kurz: unverantwortlich. Am liebsten, so scheint es, wäre es manchen Politikern, Experten und den an ihren Lippen hangenden Journalisten, der Staat würde die totale, oder doch: möglichst viel Kontrolle über unser Verhalten ausüben. Nur um uns vor uns selbst zu schützen, versteht sich, und im Notfall gleich bremsend eingreifen zu können.
Als Drohkulisse dient eine zweite tödliche Pandemiewelle, die alles, was wir in den letzten Wochen erlebt haben, noch übertreffen könnte. Da müssen denn auch, logisch, die Massnahmen entsprechend massiv sein, die ergriffen werden. Aber Achtung! Hier ein kleiner Sprachkurs für unsere Staats- und Sozialtechniker: Das Wort «Massnahme» hängt keineswegs mit der Masse (von lateinisch «massa») zusammen, einer grossen, unbestimmten, unförmigen, ja chaotischen Menge. Sondern im Gegenteil mit der mittelhochdeutschen «maze», was «abgegrenzte Ausdehnung in Raum, Gewicht, Kraft» bedeutet, wie unser kluges Wörterbuch definiert. Nicht massiv also, sondern massvoll! Das scheinen die Architekten der Verbote und Verhaltensregeln, die wohl bereits für die zweite Welle geplant werden, noch nicht begriffen zu haben.
Und genau darum befürchte ich eine zweite Welle. Nicht eine neue massenhafte Virus-Infektion, sondern jene masslosen Massnahmen, die beim Ansteigen von Fällen – wie bisher vor allem in unseren Alters- und Pflegeheimen – erneut über uns hereinbrechen könnten. Denn ob unsere Volkswirtschaft, unser Wohlstand, unser Zusammenleben eine solche zweite Massnahmen-Welle überleben werden, ist höchst fraglich. Eines steht hingegen jetzt schon fest: Aus den Trümmern unserer Wirtschaft, unserer Gesellschaft, aber auch unseres Rechtsstaates würde uns kein Virologe und kein Epidemiologe heraushelfen.
Gottlieb F. Höpli (* 1943) wuchs auf einem Bauernhof in Wängi (TG) auf. A-Matur an der Kantonssschule Frauenfeld. Studien der Germanistik, Publizistik und Sozialwissenschaften in Zürich und Berlin, Liz.arbeit über den Theaterkritiker Alfred Kerr.
1968-78 journalistische Lehr- und Wanderjahre für Schweizer und deutsche Blätter (u.a. Thurgauer Zeitung, St.Galler Tagblatt) und das Schweizer Fernsehen. 1978-1994 Inlandredaktor NZZ; 1994-2009 Chefredaktor St.Galler Tagblatt. Bücher u.a.: Heute kein Fussball … und andere Tagblatt-Texte gegen den Strom; wohnt in Teufen AR.
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