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60 Jahre «007»

Mister Kiss-Kiss, Bang-Bang

James Bond wird 60 Jahre alt. Im Oktober 1962 erschien das erste Abenteuer von 007, «Dr. No», und seither begeistert der britische Agent im Dienst Seiner Majestät weltweit die Massen.

Giuseppe Gracia am 01. Januar 2023

Seit sechs Jahrzehnten lässt der tadellos gekleidete Bond, James Bond die Kassen klingeln. Er erobert die schönsten Frauen an den schönsten Orten der Welt. Er fährt die schönsten Autos mit den coolsten Gadgets, in der Tasche des massgeschneiderten Anzugs die Lizenz zum Töten. Mit lockeren Sprüchen darf Bond die Bösen niedermähen, überfahren, ersäufen, in die Luft jagen, in den Weltraum schiessen – die Walther PPK in der einen Hand, den Vodka-Martini in der anderen.

Nicht Hollywood, sondern die britische Eon Productions hat es geschafft, die langlebigste Kinoserie der Filmgeschichte zu kreieren. Einen Kinohelden für ein generationenübergreifendes Millionenpublikum. Mit mondäner Eleganz, halsbrecherischen Weltklasse-Stunts und traumhaften Sets. Mit Beluga-Kaviar, Dom Pérignon und Luxussuiten, in denen weibliche Sexbomben warten, geschüttelt, nicht gerührt.

«Nobody does it better», singt Carly Simon in «Der Spion der mich liebte» (1977). In der Tat: keiner macht es besser als 007. Keiner macht es kostspieliger. Keiner kämpft, taucht, fliegt und fährt besser Ski. Keiner rettet die Welt eleganter.

Viele haben versucht, den anhaltenden Erfolg der Serie zu erklären. Mit Analysen über den Kalten Krieg als Durchlauferhitzer des Agenten-Genres. Über Bondfilme als moderne Märchen mit entstellten Bösewichtern, magischen Frauen und magischer Technologie. Über 007 als Spiegel der westlichen Dekadenz und des Sexismus privilegierter weisser Männer. Aber vielleicht ist es einfacher. Vielleicht wollen alle Männer im Grunde sein wie Bond, und alle Frauen wollen einen solchen Mann. Deswegen gehen sie seit 60 Jahren ins Kino, um Bond zu sehen. So sieht es Ian Fleming, der Erfinder von 007: «Bond ist die Art von Mann, die sich jedes Mädchen insgeheim wünscht, und er führt das Leben, das jeder Mann insgeheim gern führen würde.»

In seinen grossen Momenten wirkt 007 wie der Inbegriff der Überlegenheit des Westens über andere Kulturen. Der beste Stil, die besten Waffen. Die besten Autos, Frauen und Grandhotels. Die beste Musik, die besten Schurken und Sprüche. Bond verrät niemals sein Land. Im Dienst Ihrer Majestät ist er stets auf dem Sprung in die nächste Lebensgefahr – und ins nächste Bett. So singt es Tom Jones in «Thunderball» (1965): Bond handelt, während andere Männer nur reden.

Unverkennbar «bondisch» sind nicht nur die Songs, sondern auch die Titelsequenzen. Zwischen 1962 und 1989 schuf der Designer Maurice Binder traumwandlerische Sequenzen mit Frauen-Silhouetten, die von allen Seiten über die Leinwand schweben. Frauen, die vorbeitauchen, vorbeitanzen, vorbeirennen. Im Wasser schwebende, im Mondlicht schimmernde Frauenhaare. Frauen, die auf Riesenpistolen turnen. Frauenaugen, die diamanthaft im Weltraum blitzen. Frauenbeine und Frauenschultern, auf denen Flammen züngeln. Frauenmünder, aus denen Kugeln schiessen.

Im Rückblick ist es erstaunlich, wie genau ein 007-Vorspann seine Epoche spiegelt. Manche wirken wie visuell-akustische Miniaturen ihrer Zeit. Die Sean-Connery-Bonds (1962-1968) reflektieren den kalten Krieg, das gefährliche Agentenleben. In den 1970er-Jahren wird es leichter, mit Frauen auf Seidenbetten, neben weissen Katzen am Diamanthalsband. Roger Moore verkörpert einen schwerlosen Optimismus. Eine Discostimmung, die bis in die 1980er-Jahre anhält, mit blinkenden Neonfarben. Farben, die nach der Reagan-Thatcher-Ära verschwinden. Die Filme mit Timothy Dalton (1987-89) werden härter. 007 schwitzt und blutet, offensichtlich inspiriert vom Erfolg der «Stirb-langsam»-Filme (ab 1988). Dann kommt mit Pierce Brosnan 1995 wieder ein Roger-Moore-Typ. Doch die kulturelle Stimmung der 2000er-Jahre ist nicht optimistisch, sondern kühl, angespannt. Das spiegelt sich in den Brosnan-Titelsequenzen mit dieselschwarz glänzenden Waffen und androgynen Frauen im Kampfmodus. Auch die Songs wirken pessimistischer, nichts mehr vom Traum der Überlegenheit westlicher Lebensweise. Noch härter wird es 2006 mit Daniel Craig. Der Erfolg der «Jason Bourne»-Filme (2002-2016) veranlasst die Bond-Macher, 007 grimmiger und verschrammter zu machen. Ein Bond, der mit Selbstzweifeln kämpft und in Frage gestellt wird, selbst von der eigenen Regierung. Vor lauter Rennen und Schwitzen bleibt kaum Zeit für Optimismus und Eleganz. Entsprechend elegisch kommen die Songs daher, mit Titelsequenzen aus einer Welt voller Schatten und Feindschaft. Eine Dämmerstimmung, in der sich niemand über den Weg traut. Dazu passend wird Bond mit «Skyfall» (2012) und «Spectre» (2015) psychologisiert und problematisiert. Die Storyline kreist nicht mehr um äussere Feinde (Feinde des Westens, Feinde der Menschheit), sondern um Bonds eigene, innere Abgründe. So, als wollten die Filme sagen: «Schaut, was aus dem westlichen Lebensmodell geworden ist. Schaut, wie wir uns problematisieren, weil wir uns nicht mehr über den Weg trauen.»

Unter der Oberfläche seiner durchtrainierten, verschwitzten Rastlosigkeit wirkt Craigs Bond letztlich irgendwie depressiv. Und vielleicht muss das so sein. Bond spiegelt immer den Zeitgeist. Und unsere Gegenwart: ist sie unter der digitalen Oberfläche nicht tatsächlich oft müde und depressiv? Leben wir nicht in einer Gesellschaft, die den kapitalistisch-freiheitlichen Westen im Grunde ablehnt, die den Menschen für einen missratenen Umweltverschmutzer hält und sich den kulturellen «Reset»-Knopf wünscht?

Bleibt zu hoffen, dass die gesellschaftliche Stimmung sich eines Tages wieder aufhellt, so dass auch Bond wieder hoffnungsfroher werden darf. Es wäre schön, wenn nach dem letzten, depressiven «No time do die» Eleganz und Optimismus in die Serie zurückkehren. Auf 007 kann sich das Kino schliesslich verlassen. Seit 60 Jahren verspricht der Abspann: «James Bond will return.» Seit 60 Jahren hält Bond dieses Versprechen.

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