Vor rund einem Monat ist der «Vater der Wimmelbücher», Ali Mitgutsch verstorben. Um herauszufinden, wie es ist, ein Wimmelbild zu erstellen und wo die Herausforderungen stecken, fragen wir beim Gestalter und Konzepter des Ostschweizer Wimmelbuchs Philip Kerschbaum nach.
Philip Kerschbaum ist Grafiker mit Schwerpunkt Corporate Identity und Typografie. Doch Wimmelbilder sind immer wieder ein spannendes Thema für ihn. Seine erste Berührung mit Wimmelbildern hatte er, als er mit 16 Jahren für einen internationalen Wettbewerb der Raiffeisenbank ein Bild von Menschen, die einen Park aufräumen, gezeichnet hat. Er wurde damit als einer der besten Zeichner der Länder Schweiz, Österreich, Frankreich und Luxemburg ausgezeichnet. Viele Jahre später gestaltete er dann das «Ostschwizer Wimmelbuech».
Was ist ein Wimmelbild?
«Generell ist ein Wimmelbild ein Bild auf dem unzählige Protagonisten miteinander interagieren. Der Inhalt oder Stil sowie die thematischen Inhalte richten sich meist nach dem jeweiligen Zielpublikum und dem Zweck der Vermittlung», erklärt Kerschbaum. Ein Wimmelbild hat eine universelle Sprache – man versteht es unabhängig von Herkunft und Alters. Wimmelbilder gab es schon seit jeher. Erstmal erschienen sie in Form von Höhlenmalereien, die ein Gesamtbild ergeben haben. Später im Mittelalter hatte man szenische Darstellungen, die bereits lesbarer waren. Danach fand man Wimmelbilder in Form eines epochalen Schlachtbildes auf dem unzählige Menschen auf einmal abgebildet sind. Die heutigen Wimmelbilder gibt es in allen möglichen Arten: Zum Beispiel für Kinder, als Gastgeberleitbild oder auch in der Werbung.
Das komplexe Bild und Kerschbaum
Kerschbaum selbst ist hauptberuflich Grafiker mit Schwerpunkt Corporate Identity und Typografie. «Das ist meine persönliche Kerndisziplin», erklärt er. Wimmelbilder seien aber eine spezielle Kompetenz, die er immer wieder zeigen kann. So auch beim «Ostschwizer Wimmelbuech.» «Mein Freund Stefan Keller hat mich angerufen und gefragt, wie er am besten ein Ostschweizer Wimmelbuch für seine Tochter umsetzen könnte. Es gebe für so viele Städte und Orte ein Wimmelbuch. Wieso denn nicht für die Ostschweiz?», erinnert sich Kerschbaum. Er und Keller entwickelten ein Partnerkonzept und machten sich per Crowdfunding auf die Suche nach Personen, die an diesem Projekt Interesse zeigten. Sie erhielten sofort breite Unterstützung der verschiedenen Partner, die auch mit seinen Wünschen und Bedürfnissen in die Gestaltung des Buchs miteinfloss. Für die Gestaltung des Buches stand sehr wenig Zeit zur Verfügung, sodass sich Kerschbaum bei der Umsetzung zwei Helfer mit ins Boot geholt hat. «Wir hatten für unseren Teil des Buches gerade mal etwa drei Monate Zeit, was wirklich sehr ambitioniert ist», erzählt Kerschbaum. Trotzdem kam das Buch rechtzeitig zum Weihnachtsverkauf heraus.
Von der Idee zum Bild
Beim Wimmelbild müssen vorab viele Aspekte berücksichtigt werden. Zum Beispiel welche Tages- oder Jahreszeit auf dem Bild zu sehen sein soll, welche Hauptthemen angesprochen werden oder auch ob alle Szenerien auch politisch korrekt sind. «Beispielswiese bei einem Kinder-Wimmelbild: Da wird selbstverständlich nichts gezeichnet, das das Rauchen in einer Weise unterstützen könnte», erläutert Kerschbaum. «Man kann auch ganz verschiedene Rätsel in ein Wimmelbild mit einbauen. Wie zum Beispiel beim «Ostschwizer Wimmelbuech»: Auf jedem Bild kann man sagen, wie spät es auf dem Bild gerade ist.» Beim «Ostschwizer Wimmelbuech» sind alle Skizzen von Hand gefertigt. Danach wurden sie digitalisiert und die Schattierungen hinzugefügt. «Die Interaktionen zwischen den Personen oder Tieren kann man digital sehr schwierig aufnehmen, auch die Wärme des Ausdrucks ist nicht so übertragbar, wie es von Hand der Fall wäre. Deshalb bevorzuge ich es, diese Arbeiten von Hand zu machen», verrät Kerschbaum. «Bei Arbeiten mit technischem Fokus, kann man gut die digitale Darstellung passend auswählen, wie beispielsweise beim Gastgeberleitbild für die Appenzellerbahnen.»
Vorgehen bei der Gestaltung
Das Gestalten eines Wimmelbilds ist für Kerschbaum die Königsdisziplin im Bereich der Illustration. «Es ist eine hochkomplexe Auseinandersetzung zeichnerisch sowie inhaltlich. Eine Illustration, die viele Geschichten vereint, denn auf einem Bild sind meist mehr als 100 Personen oder Tiere die auf verschiedene Arten miteinander interagieren», erklärt Kerschbaum. Sie alle haben ein Rollenbild, mit dem man sich als Wimmelbildbetrachter identifizieren kann. «Wimmelbilder kann man sich immer wieder ansehen und entdeckt stetig etwas Neues. Jeder hat eine andere Auffassung vom Bild und das soll auch so sein. Auch ist es wirklich spannend, wenn man sieht, wieviel Aufmerksamkeit Kinder und ihre Bezugspersonen in ein Wimmelbild investieren.» Es ist eine Grundvoraussetzung, bei so vielen Komponenten den Überblick nicht zu verlieren und vom Groben bis ins Detail denken zu können. Beim «Ostschwizer Wimmelbuech» entdeckt man zum Beispiel, dass sich Karin – die schwangere Dame – bei jedem Wimmelbild in einem anderen Schwangerschaftsstadium befindet.
Weitere grosse Wimmelbild-Illustratoren
Einige Illustratoren, die Kerschbaum sehr erwähnenswert findet: Die wohl international bekanntesten Wimmelbilder sind «Wo ist Walter?» von Martin Handford, die wahrscheinlich einigen in guter Erinnerung geblieben sind.Mit illustrativen Kulturplakaten haben sich der Deutsche Hennig Wagenbreth oder die Schweizerin Paula Troxler einen international renommierten Namen gemacht. Im Bereich Corporate Design ist das Werk vom Studio Edoardo Aires für die Stadt Porto laut Kerschbaum ein exzellentes Beispiel. Ein weiteres ist das Werk des Schweizer Grafikers Felix Pfäffli, der für den Radiosender 3Fach eine moderne Stadt als Wimmelbild dargestellt hat.
«Der kürzlich verstorbene Ali Mitgutsch hat mit seinem infantilen Stil Wimmelbilder illustriert, die eine Wärme und Liebe transportieren, wie es kaum jemand erreicht hat», ehrt ihn Kerschbaum.
Manuela Müller (*1994) aus Marbach war bis Ende März 2022 als Redaktorin für «Die Ostschweiz» tätig.
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