Thomas Weingart, Stadtpräsident Bischofszell
Was unternehmen verschiedene Gemeinden der Ostschweiz, um im Bereich der Nachhaltigkeit Akzente setzen zu können? Wir haben bei Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten nachgefragt.
Thomas Weingart, Stadtpräsident Bischofszell
Viel Papier produziert
Thomas Weingart, Stadtpräsident Bischofszell: «Ganz ehrlich: Zum Thema Nachhaltigkeit und Energie haben viele Gemeinden bislang in erster Linie wohl sehr viel «Papier» produziert, Bischofszell nicht ausgenommen. Aber im Unterschied zu früher, werden diese unzähligen Dokumente immerhin nicht mehr gedruckt. Das ist ein Anfang. Auf Leitbildern, Strategien und Richtplänen wird aktuell landauf landab festgehalten, wie Nachhaltigkeit und Energiewende zu meistern sind. Keine Gemeinde kommt um diese Themen herum, wie man überall sehen kann. Politikerinnen und Politiker brüsten sich mit Solardächern, Ladestationen für E-Fahrzeuge oder LED-Strassenlampen, die als grosse Errungenschaften im gedruckten Gemeindeblättli angepriesen werden. Doch viele Ostschweizer Gemeinden und Städte sind längst über die Solardach- und Ladestationsphase hinweg und beschäftigen sich akribisch mit Nachhaltigkeit. Das beginnt im Kleinen. Beschaffungsrichtlinien halten beispielsweise fest, dass für die Kaffeepausen im Rathaus Bio-Rähmli einzukaufen sind. Ein Konzept schreibt vor, dass die gemeindeeigenen Grünflächen durch den Stadtgärtner biodivers gepflegt werden, derweilen die Behörden damit beschäftigt sind, für einen Wärmeverbund die richtigen Planer und Investoren an Land zu ziehen. Die Kommunen gehen mit gutem Beispiel voran und versuchen ihrer Vorbildrolle gerecht zu werden. Ihre grösste Herausforderung jedoch ist, das Kollektiv zum Mitmachen zu überzeugen. Ignoranz, Egoismus und Gleichgültigkeit verhindern ein rasches Umdenken. Die Zeichen der Zeit sind noch nicht erkannt.»
Boris Tschirky, Gemeindepräsident Gaiserwald
Sonnenenergie
Boris Tschirky, Gemeindepräsident Gaiserwald: «Als Energiestadt verfolgt die Politische Gemeinde Gaiserwald die Strategie, das kommunale ganzheitliche Energiekonzept mit den drei Themenbereichen «Strom», «Wärme» und «Mobilität» Schritt für Schritt umzusetzen. Dabei geht es insbesondere um die Erschliessung von vorhandenen Wärmequellen und die Nutzung von erneuerbaren Energien zur Stromproduktion. Vor diesem Hintergrund sind der Wärmeverbund Gaiserwald in Engelburg sowie die Beteiligung am Energienetz GSG entstanden, die sich beide in der Zwischenzeit etabliert haben. Darüber hinaus wurden in der Vergangenheit aus dem Energiefond insbesondere die Installation von Solaranlagen finanziell unterstützt. Gegenwärtig liegt der diesbezügliche Förderfokus auf Erdsonden-Wärmepumpen, Holzheizungen sowie wärmetechnischen Gebäudehüllensanierungen (inkl. Fenster), Dämmungen Kellerdecken und Dächer). Selbstverständlich wurden und werden die Gebäude der öffentlichen Hand oder auch der Stiftung Alter und Gesundheit Gaiserwald mit Anlagen zur Gewinnung von Elektrizität aus Sonnenenergie bestückt.»
Roman Habrik, Gemeindepräsident Kirchberg
Fernwärmenetz
Roman Habrik, Gemeindepräsident Kirchberg: «Die Gemeinde Kirchberg ist Energiestadt und die Oberstufe Lerchenfeld wurde 2019 die erste zertifizierte Energieschule im Kanton St. Gallen. Als Mitglied im Energietal Toggenburg, haben wir uns die 2000 Watt Gesellschaft auf die Fahnen geschrieben. Für das Jahr 2050 werden verschiedene messbare Zielwerte anvisiert, so zum Beispiel «2000 Watt Primärenergie Dauerleistung pro Person» oder «100 % erneuerbare Energieversorgung».
Die Dauerleistung konnte von 2010 bis 2019 von über 8'000 Watt auf 4'167 Watt fast halbiert werden. Damit liegt Kirchberg sechs Prozent unter dem schweizerischen Durchschnitt. Hauptsächlich zur nachhaltigen Energieversorgung beigetragen hat der Strommix in der Gemeinde. Er ist seit dem 2018 atomstromfrei. Die rwt AG, unser Regionalwerk, investiert in Bazenheid und Kirchberg über mehrere Jahre rund 17 Millionen Franken in ein Fernwärmenetz ab der Kehrichtverbrennungsanlage Bazenheid (ZAB). Zudem wurde durch die Fernwärme Gähwil AG eine Wärmenahversorgung für das Dorf Gähwil erstellt.
Aktuell prüfen die Fachleute des Energietals Toggenburg, auf welchen öffentlichen Gebäuden eine Photovoltaik-Anlage installiert werden soll. Im 2019 lag der Anteil an Strom von PV-Anlagen rund 40 Prozent höher als im Rest der Schweiz. Um die Energiethemen weiter voranzutreiben, hat der Gemeinderat eine Energiekommission eingesetzt.»
Nadja Stricker, Gemeindepräsidentin Münchwilen
Salz-Einsparungen
Nadja Stricker, Gemeindepräsidentin Münchwilen: «Münchwilen ist in Sachen Energie und Nachhaltigkeit sehr fortschrittlich. Obwohl die Gemeinde das Label Energiestadt nicht besitzt, wird man in vielen Bereichen den Anforderungen an ein verantwortungsvolles Engagement gerecht. Dank einer neuen Energieplattform besitzt die Gemeinde eine transparente Entscheidungsgrundlage und Daten-Basis für die kommunale Energiepolitik und -planung. Die gemeindeeigenen Liegenschaften werden bis 2022 alle mittels erneuerbarer Energie beheizt (Flusswasser/Fernwärmenetz). Das Fernwärmenetz, das privat betrieben wird, erschliesst einen Grossteil des Gemeindegebiets. Das Gemeindehaus wird momentan energetisch saniert. Dabei wird der Minergiestandard angestrebt. Dank einer Photovoltaikanlage wird ein Teil der beanspruchten Elektrizität selber produziert. In diesem Rahmen wird auch eine E-Tankstelle geprüft. Dank eines reduzierten Winterdienstes können pro Jahr 25 Tonnen Salz eingespart werden.
Auch die Biodiversität wird in Münchwilen gross geschrieben: So werden immer wieder zusätzliche Biodiversitätsflächen geschaffen unter anderem im Rahmen von Vorteil naturnah oder Mission B.»
Reto Altherr, Gemeindepräsident Teufen
Eigenversorgungsgrad
Reto Altherr, Gemeindepräsident Teufen: «Der aktive Einsatz für den Schutz und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und der schonende Umgang mit den natürlichen Ressourcen ist für die Gemeinde Teufen eine Selbstverständlichkeit. Seit 2012 trägt Teufen das Energie-Stadt Label.
Zur Erreichung der Ziele setzen wir uns für die Förderung der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energiequellen ein. Zu diesem Zweck wurde eine Energiestrategie und ein Energiekonzept 2050 verabschiedet. Konkret wird derzeit ein Energieförderreglement erstellt, beinhaltend Massnahmen und deren Finanzierung zur Verbesserung der Energie- und CO2 Bilanz. Eckpunkte sind unter anderem bis 2050 ein angestrebter Eigenversorgungsgrad von 100 Prozent der Produktion Elektrizität in der Jahresbilanz. Daneben sind weitere Massnahmen bei der Wärmegewinnung mit einer Senkung des Ölverbrauchs auf null und bei der Mobilität vorgesehen.
Grossen Wert legen wir auf die Information und Sensibilisierung der Bevölkerung und zur Schaffung von Anreizen für innovative Projekte die zur Zielerreichung beitragen.»
Aurelio Zaccari, Gemeindepräsident Waldkirch
Förderprogramm
Aurelio Zaccari, Gemeindepräsident Waldkirch: «Die Gemeinde Waldkirch setzt seit Jahren auf die Nachhaltigkeit bei der Energieversorgung. So hat die Gemeinde schon vor Jahren den Bau von Photovoltaikanlagen gefördert und ist aktuell eine der führenden Gemeinden gemessen an der Zahl solcher Anlagen und der Produktionsmengen. Mit einem Energiekonzept, einem Förderprogramm und der Zusammenarbeit mit der Energieberatung bieten wir als Energiestadt unseren Mitbürgern hervorragende Möglichkeiten einer nachhaltigen Beratung in Energiethemen. Neue Energiethemen werden frühzeitig aufgearbeitet und daraus resultieren Massnahmen wie, Förderung energieeffizienter Haushaltgeräte, die Definition von Energiestandards für öffentliche Gebäude, das Führen einer Energiebuchhaltung sowie der Einsatz energieeffizienter Geräte und Leuchtmitteln in Gemeindeliegenschaften. Auch bei der Modernisierung der Strassenbeleuchtung, welche aktuell in Umsetzung ist, setzen wir auf energieeffiziente Leuchtkörper. Zu unseren Innovationen zählen die Prüfung der Einsatzmöglichkeiten eines Energiespeichers durch unsere Technischen Betriebe. Parallel dazu planen wir die Erneuerung der Fahrzeugflotte durch Elektrofahrzeuge. Im Energiebereich ist die Aufhebung der Sperrungen, damit der Strom dann genutzt werden kann, wenn er produziert wird, ein klares Zeichen der nachhaltigen Ausrichtung unserer Energiestrategie. Zudem sollen neue Stromprodukte den Bezügern die Möglichkeit geben, Stromprodukte aus 100% erneuerbaren Energiequellen mit unterschiedlichem Strommix zu beziehen.»
Gallus Pfister, Gemeindepräsident von Heiden
Vorreiterrolle
Gallus Pfister, Gemeindepräsident von Heiden: «Als schweizweit erste Gemeinde hat Heiden dereinst öffentliche Abfalltrennstationen eingeführt. Doch auch in anderen Segmenten setzt man klare Akzente Bereich der Nachhaltigkeit.
Die Gemeinden Heiden, Grub AR, Reute, Rehetobel, Walzenhausen und neu auch die Gemeinde Lutzenberg bilden zusammen die Energiestadtregion AüB. Eine Energiestadt ist eine Gemeinde oder Region, die sich für eine effiziente Nutzung von Energie, den Klimaschutz und erneuerbare Energien sowie umweltverträgliche Mobilität einsetzt. Dafür haben die Gemeinden und die Energieregion bereits viele Massnahmen und Aktivitäten umgesetzt.
Gemeinde Heiden
CO2-Ausstoss der kommunalen Gebäude seit 2010 um 80% gesenkt
Basisstrom aus 100% erneuerbarer Energie (AüB Strom)
Gemeindeeigene Photovoltaik(PV)-Anlagen von 396kWh = Strom für ca. 100 Haushalte
100 private Energieprojekte gefördert
240 energieeffiziente Grosshaushaltsgeräte gefördert
Strassenbeleuchtung zu 2/3 auf LED umgestellt
schweizweit erste Gemeinde mit öffentlichen Abfalltrennstationen
Gesamte Energieregion AüB
Littering- und Energieprojekte
Biodiversitätsprojekte und Baumpflanzaktionen
kostenlose Kurse für Bevölkerung in biologischem Gärtnern
Förderung von Heizungs- und Solarberatung
In Planung sind Massnahmen für den weiteren Ausbau von PV-Anlagen, Unterstützung von Energiekonzepten und die Entwicklung einer Klimastrategie, Schaffung eines Elektromobilitätstags, Führen eines Reparaturcafés und vieles mehr.
Übrigens, Photovoltaik-Anlagen sind auch finanziell interessant: Der Kanton AR hat seit1. Januar 2022 die Förderung vom Bund verdoppelt. Damit ist eine Anlage für ein Eigenheim oft bereits innert 12-15 Jahren amortisiert, dies bei einer Nutzungsdauer von rund 30 Jahren.»
Gabriel Macedo, Stadtpräsident Amriswil
Sensibilisierungsoffensiven
Gabriel Macedo, Stadtpräsident Amriswil: «Die Energiepolitik gehört zu einem wesentlichen Teil zur Kommunalpolitik. Deshalb engagiert sich die Stadt Amriswil als Energiestadt, Fair Trade Town und 2000-Watt-Gemeinde für die Energie der Zukunft, für einen nachhaltigen Handel und Konsum und unterstützt im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Netto-O-Ziele des Bundes sowie die Klimaziele gemäss dem Klimaabkommen von Paris.
Um die hochgesteckten Ziele zu erreichen und der Vorreiterrolle gerecht zu werden, wurden schon viele verschiedene Massnahmen ergriffen oder stecken in der laufenden Umsetzung. Pioniercharakter hatte zum Beispiel die Realisierung einer Gemeinschafts-PV-Anlage auf einem neuen Turnhallendach. Auch das Projekt «erneuerbar heizen» ist auf ein positives Echo bei den Hausbesitzern gestossen – es wurden zahlreiche (kostenlose) Beratungen im Bereich Heizungsersatz gemacht. Immer wieder werden zudem Sensibilisierungsoffensiven in der Stadtzeitung gestartet.
Aktuell steht der Stadtrat vor der Verabschiedung einer kommunalen PV-Strategie für die Gemeindeliegenschaften. Das Papier zeigt auf, auf welchen gemeindeeigenen Dachflächen welches PV-Potenzial besteht und in welchem Realisierungshorizont die Flächen mit PV-Anlagen bestückt werden sollen.»
Imelda Stadler, Gemeindepräsidentin Lütisburg
Natur pur
Imelda Stadler, Gemeindepräsidentin Lütisburg: «Die Gemeinde Lütisburg unterstützt Massnahmen für Energieeffizienz und erneuerbare Energien. Uns sind aber auch Naturräume wie Blumenwiesen, Neupflanzung von Bäumen als Schattenspender wie auch das langjährige Projekt «Natur pur an Necker und Thur» sehr wichtig. Bereits vor einigen Jahren haben wir in der Gemeinde Lütisburg das Energiekonzept erstellt. Nun, mit dem VI. Nachtrag zum Energiegesetz werden wir unser Konzept überarbeiten.
Im letzten und auch in diesem Jahr haben wir einen Betrag ins Budget genommen für das kommunale Förderprogramm. Dabei wurden und werden wir vom Energietal Toggenburg und von der Energieagentur St. Gallen unterstützt. Bei diesem Förderprogramm profitieren Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer der Gemeinde Lütisburg von den Förderangeboten wie Heizungsersatz und Solarstrom.
Zurzeit sind nur private Grundeigentümer förderberechtigt. Öffentliche Bauherrschaften sind von der kommunalen Energieförderung ausgeschlossen. Das Fördergesuch ist online auszufüllen und einzureichen. Ein solcher Antrag ist in jedem Fall vor Beginn der Arbeiten auszufüllen. Beim Heizungsersatz liegt die finanzielle Unterstützung zwischen CHF 1500.- und 3000.-. Bei den Photovoltaikanlagen gibt es CHF 200.- pro kW aber maximum CHF 2000.- auf die ganze Fläche. Das Ziel ist es, für Heizung und Warmwasser den Anteil erneuerbarer Energien zu erhöhen.»
Hans Mäder, Stadtpräsident Wil
Modellstadt
Hans Mäder, Stadtpräsident Wil: «Nachhaltigkeit ist in der Stadt Wil ein ganz grosses Thema und bei jeder Entscheidung des Stadtrats ein wichtiges Kriterium. Das Stadtparlament rief im Mai 2019 den Klimanotstand aus und der Stadtrat unterzeichnete im Mai 2020 die Klima- und Energiecharta. Beide haben damit zum Ausdruck gebracht, dass es weitere Handlungen braucht. Mit dem Programm «Kommunaler Klimaschutz Wil» wurde ein Instrument mit 90 Massnahmen erarbeitet, um den Worten auch ganz konkrete Taten folgen zu lassen. Die Stadt ist auch in der Entwicklung von neuen Mobilitätsformen ganz vorne mit dabei. Als Modellstadt für nachhaltige Mobilität testet Wil als eine von drei Gemeinden in der Schweiz mit Unterstützung des Bundesamts für Energie neuartige Mobilitätsformen. So gibt es unter anderem ein Mobility-Jahresabo für alle Wilerinnen und Wiler in der schweizweit ersten vollelektrischen Mobility-Stadt. Auch ein Naturförderprogramm mit acht Handlungsfeldern wurde erarbeitet, vom Parlament verabschiedet und wird nun umgesetzt. Es sollen neue Grünflächen entstehen und die Biodiversität soll mehr Raum erhalten.»
Thomas Niederberger, Stadtpräsident Kreuzlingen
100 Einzelmassnahmen
Thomas Niederberger, Stadtpräsident Kreuzlingen: «Der Stadtrat Kreuzlingen legte in seinen Legislaturzielen 2019 bis 2023 konkrete Ziele und Massnahmen im Bereich Klimaschutz und Biodiversität fest. Konkret arbeitete der Stadtrat einen Massnahmenplan zum Klimaschutz aus und gab im Jahr 2021 den Auftrug zur Umsetzung von über 100 Einzelmassnahmen, die bis spätestens 2033 erfüllt sein müssen. Erste Massnahmen konnten bereits umgesetzt werden, beispielsweise die Vergabe von Wassertanks zur Bewässerung privater Gärten.
Zudem werden konkrete Projekte im Bereich Biodiversität durch die neu gegründete Kommission «Biodiversität» umgesetzt. Dazu zählt auch das Projekt «Vorteil naturnah in Kreuzlingen». Darin vereint sind öffentliche Körperschaften, die gemeinsam Aktionen für die Bevölkerung anbieten.
Im Bereich Energie wird aktuell eine Wärmestrategie mit Machbarkeitsstudien ausgearbeitet. Sie soll die Nutzung von Wärme und Kälte des Seewassers sowie von der Abwärme der Kehrichtverbrennungsanlage Thurgau (KVA) aufzeigen.»
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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