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Bistum St.Gallen

Neuanfang im Bistum St.Gallen? Ein neuer Präsident der Bistumsfachstelle gegen sexuelle Übergriffe tritt an

Der frisch pensionierte Ausserrhoder Kantonsgerichtspräsident Pius Gebert wird neuer Präsident des Fachgremiums gegen sexuelle Übergriffe im Bistum St.Gallen. Er folgt auf Daniela Sieber, die das Gremium aus zeitlichen Gründen verlässt, meldet das Bistum.

Die Ostschweiz am 16. Februar 2024

Das Bistum St.Gallen teilt mit:

Seit 2020 war die Juristin Daniela Sieber Präsidentin des Fachgremiums gegen sexuelle Übergriffe in der Seelsorge. Per 12. Februar hat sie ihr Amt an Dr. Pius Gebert, seit Kurzem pensionierter Kantonsgerichtspräsident des Kantons Appenzell Ausserrhoden, übergeben. Das Fachgremium des Bistums St. Gallen hat die Aufgabe, Betroffenen von Missbrauch im kirchlichen Umfeld zuzuhören, sie zu beraten und ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen.

Durch die nationale Vorstudie Missbrauch im kirchlichen Umfeld, von der katholischen Kirche bei der Universität Zürich in Auftrag gegeben, sind Missbrauchsverbrechen seit dem 12. September 2023 wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein gerückt. «Die Studie führt zu etwas Positivem», ist Daniela Sieber überzeugt. «Eine systematische Aufarbeitung wird möglich, in den vielen Meldungen können Parallelen erkannt und toxische Muster in der katholischen Kirche aufgedeckt werden. Daraus können die Entscheidungsträger der Kirche immer weiter dazulernen».

Geheimraumkirche wurde oft geschützt

Im Umfeld der Kirche schienen Übergriffe durch die Täter oftmals geistlich gerechtfertigt zu werden. Welche Glaubenssätze dabei individuell wirkten, bleibt aber verborgen. Auch wurde der «Geheimraum» Kirche aus ihrer Sicht oft geschützt.

Betroffene berichten gegenüber dem Fachgremium, dass sie kein Gehör gefunden hätten. Teils gaben sie sich gar selber die Schuld an den erlittenen Übergriffen.

Dass Betroffene sich meist erst Jahrzehnte später melden, heisse aber nicht, betont die scheidende Fachgremiums-Präsidentin, dass deren Berichte nicht glaubhaft seien. Im Gegenteil sei es verständlich, dass leidvolle Erinnerungen verdrängt würden.

Kompetenter Nachfolger gefunden

Daniela Sieber ist froh, dass mit Pius Gebert ein kompetenter Nachfolger für das Präsidium gefunden werden konnte. Sein beruflicher Rucksack passt perfekt zu den Aufgaben für die Leitung des Fachgremiums gegen sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld. Das Vizepräsidium bleibt bei Monique Haller, Sozialpädagogin / Familien- und Jugendberaterin.

Daniela Sieber tritt vor allem aus zeitlichen Gründen zurück. Seit der Studienpublikation hat die Zahl der gemeldeten Fälle deutlich zugenommen. So lasse sich die Aufgabe nicht mehr mit ihren beruflichen Tätigkeiten vereinbaren.

Pius Gebert sagt zu seiner Motivation: «Betroffenen zu ihrem Recht verhelfen, sie ernst nehmen, ihr Leid anerkennen». Erlittenes Unrecht zu deponieren könne etwas Erleichterung bringen, das sei seine Erfahrung aus der Tätigkeit am Kantonsgericht Appenzell Ausserhoden. Als Kantonsgerichtspräsident hatte er immer wieder mit Sexualstraftätern zu tun.

Zwei Ansprechpersonen stehen zur Verfügung

Meldet sich eine Person, die im Umfeld der Kirche sexuellen Missbrauch erlebt hat, beim Fachgremium, stehen zwei Ansprechpersonen zur Verfügung, die mit dem oder der Betroffenen die weiteren Schritte absprechen. Eine Ausnahme gilt für den Fall, in dem Hinweise auf Kindsmissbrauch gemeldet werden. Hier ist das Gremium gesetzlich verpflichtet, sofort Strafanzeige einzureichen, sogar ohne die Einwilligung der Eltern oder anderer Erziehungsberechtigter.

Pius Gebert wie Daniela Sieber wissen, dass manche erwachsene Betroffene, die sich beim Fachgremium melden, von einer Anzeige absehen, weil sie sich der Belastung eines Verfahrens nicht gewachsen fühlen. Denn auch was glaubhaft wirkt, kann oft nicht bewiesen werden, das gilt immer und überall im Rechtssystem.

Noch schwieriger wird dies, wenn Taten 30, 40 oder 50 Jahre zurückliegen, so wie bei den meisten der in der Studie genannten Fällen. Jeder Bischof ist verpflichtet, bei Anschuldigungen zu sexuellen Übergriffen Meldung an die Staatsanwaltschaft zu machen, egal wie lange sie zurückliegen und auch wenn sie nach Strafgesetz längst verjährt sind. Es sei denn, Beschuldigte sind bereits verstorben. Bischof Markus Büchel hat diese Schritte bereits in mehreren Fällen eingeleitet.

Kirchliches Verfahren kennt keine Verjährung

Zudem wird immer ein kirchliches Verfahren eröffnet, dieses kennt im Gegensatz zu staatlichen Gesetzen keine Verjährung. Kircheninterne Verfahren können also weitergetrieben und auch Jahrzehnte nach einem Missbrauch noch Massnahmen wie ein Berufsverbot ergriffen werden.

Daniela Sieber beobachtet ein kirchliches wie gesellschaftliches Umfeld, das über viele Jahrzehnte das Vertuschen von Übergriffen viel eher als heute ermöglichte. Sexuelle Übergriffe präventiv zu verhindern und geschehene Verbrechen zu verfolgen ist das allerwichtigste Ziel, das die Bistumsleitung mit allen Aktivitäten im Bereich Schutz und Prävention anstrebt.

Die von den Bischöfen, den Orden sowie der römisch-katholischen Zentralkonferenz (Kantonalkirchen) bewilligten Arbeiten zur Hauptstudie, die 2026 fertig sein wird, ist ein weiterer Schritt dazu. Sie wird voraussichtlich auch klären, welche Bedingungen Verbrechen (im kirchlichen Umfeld) gefördert haben und die entsprechenden Resultate historisch-gesellschaftspolitisch einordnen.

Was geschah seit dem 12. September?

Der Schlussbericht des unabhängigen Pilotprojekts der Universität Zürich, vorgestellt am 12. September 2023, zeigte grundlegende Mechanismen der Kirche auf, die Missbrauch begünstigt und gefördert haben. Betroffene wurden aufgerufen, sich bei einem der diözesanen Fachgremien, beim nationalen Fachgremium der Schweizer Bischofskonferenz oder bei einer der Opferhilfe-Stellen zu melden. Die Ansprechpersonen des Fachgremiums im Bistum St. Gallen haben seither über zwei Dutzend Gespräche geführt, in 16 Fällen wurde beim nationalen Genugtuungsfonds ein Antrag gestellt.

Daniela Sieber betont jedoch, dass bei Betroffenen nicht die Geldforderung im Vordergrund stand, sondern der Wunsch nach Aufarbeitung – sei es für die eigene Biografie oder als Beitrag zur Studie. Die Mehrheit der Meldungen betrafen sexuelle Übergriffe im Kindes- und Jugendalter und alle Fälle liegen mehr als zehn Jahre zurück, meist ereigneten sie sich vor mehr als zwei Jahrzehnten.

Diese Verbrechen geschahen im Umfeld von Kinderheimen, gegenüber Ministranten oder im Umfeld des Religionsunterrichtes. Einige Meldungen bezogen sich auf Übergriffe im Rahmen der Seelsorge an Erwachsenen. Bischof Markus Büchel wie die Mitglieder des Fachgremiums ermutigen Menschen, die im Umfeld der Kirche von sexuellen Übergriffen oder Grenzverletzungen in der Seelsorge betroffen sind, sich bei einer der beiden Ansprechpersonen (Yvonne Steiner, Theologin, psych. Beraterin) und Sepp Koller (Diakon, Spitalseelsorger).

(Bild: PD)

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