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Kommentar

Nicht die direkte Demokratie ist das Problem, sondern jene, die nicht mit ihm umgehen können

Privilegien sind wie Drogen: Droht der Entzug, ist ein Aufschrei programmiert. Die Kontroverse um die AHV-Reform hat diese Weisheit erneut bestätigt. Das von den Männern beschlossene Frauenprivileg beim Rentenalter lässt sich seit längerem nicht mehr rechtfertigen.

Felix Keller am 30. September 2022

Doch gemessen an den Umfragen meinten es viele Frauen beim Urnengang mit der Gleichstellung nicht ernst und stimmten gegen die Angleichung ihres Rentenalters an jenes der Männer. Doch die Schweiz sagt Ja zur Reform der AHV. Zum ersten Mal seit 27 Jahren findet eine Reform des wichtigsten Sozialwerks die Gnade des Stimmvolks. Und: Zum ersten Mal überhaupt gelingt damit eine Vorlage, die keinen Ausbau der AHV vorsieht, sondern im Gegenteil mit Abstrichen verbunden ist. Gleichzeitig offenbart der Volksentscheid eine gespaltene Schweiz. Überspitzt ausgedrückt: Das Ja zur AHV-Vorlage ist männlich und deutschschweizerisch. So knapp das Ergebnis auch sein mag: Die Niederlage der Linken ist ein Segen – nicht nur für die AHV, sondern auch für die Debattenkultur. Dass jetzt gewisse Linke Frauen zum Streik aufgrund dieser Abstimmung aufrufen, entspricht nicht den Gepflogenheiten der Schweizer Politik. Der Entscheid an der Urne war demokratisch und es gilt diesen zu akzeptieren. Der 25. September 2022 wird in die Geschichte der Schweizer Altersvorsorge eingehen – als ein guter Tag. 75 Jahre nach der Gründung der AHV erbringt die Mehrheit den Beweis dafür, dass sie bereit ist, das Sozialwerk an die Anforderungen der Gegenwart anzupassen. Die Erhöhung des Rentenalters ist kein schöner Schritt, weder für die Frauen noch für viele Ehemänner. Die höhere Mehrwertsteuer wird die verfügbaren Einkommen schmälern, in einer Zeit, in der das Leben ohnehin spürbar teurer wird. umso positiver ist die Zustimmung an der Urne zu werten.

Die direkte Demokratie tut sich von Natur aus schwer mit Fragen der Generationengerechtigkeit. Dies zeigt sich überall dort, wo die heute tonangebenden Altersgruppen Entscheide fällen können, für deren finanzielle Konsequenzen sie nicht selber geradestehen müssen. Diese Fehlanreize erschweren auch die Umwelt- oder Klimapolitik. Am gravierendsten aber wirken sie sich in der Altersvorsorge aus. Die Bedeutung dieser Abstimmung liegt nicht so sehr in den konkreten Auswirkungen der Vorlage, sondern vor allem in der Symbolkraft. Das Rentenalter ist und bleibt der neuralgische Punkt. Bei der Gründung der AHV mussten die Erwerbstätigen den Pensionierten im Durchschnitt 13 Jahre lang eine Rente finanzieren. Heute sind es 21 Jahre. Trotzdem ist das Rentenalter 65 fest in den Köpfen verankert. Das Ungleichgewicht wird sich weiter verschärfen, weil zurzeit die geburtenstärksten Jahrgänge in Rente gehen. Wer diese Verschiebungen als kurzfristiges Übergangsproblem abtut, streut den Leuten Sand in die Augen. Kurzum: Es gibt noch viel zu tun. Trotz der nun beschlossenen Reform drohen in rund zehn Jahren neue Defizite in der Umlagefinanzierung der AHV.

Wichtig bleibt die richtige Balance. Bei diesem sensiblen Thema werden weiterhin nur moderate, ausgewogene Vorlagen eine Chance haben. Ein grosser Vorteil besteht jedoch in der Angleichung des Rentenalters für Frau und Mann. Nach diesem überfälligen Schritt kann die Linke nicht mehr mit einem inszenierten Kampf der Geschlechter vom Kern der Debatte ablenken: von der Demografie.

Bleiben wir bei den Fakten: Wie sieht ein faires und stabiles Rentensystem in der alternden Gesellschaft aus? Denn nur darum geht es!

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Autor/in
Felix Keller

Felix Keller ist Geschäftsführer des Gewerbeverbands Kanton St.Gallen.

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