Sie nannte bereits viele Orte als ihr Zuhause, war sich nicht zu schade, putzen zu gehen, um sich mit dem Lohn ihren Lebenstraum zu erfüllen: als Tänzerin auf der Bühne zu stehen. Heute blickt Nadika Mohn auf viele wertvolle Erfahrungen zurück.
Du hast vergangenes Jahr zum ersten Mal die künstlerische Leitung übernommen. Wie war das für dich?
Es war eine grosse Herausforderung, eine neue Position einzunehmen. Es ist wichtig, dass ich noch einiges an Erfahrung sammeln muss. Zudem war es nicht immer einfach, alle im Team zufriedenzustellen, Lösungen zu finden und Entscheidungen zu treffen. Jedoch hat es mir Freude bereitet, meine Kreativität auch in diesem Bereich miteinzubringen.
Was fällt dir einfacher: Die Anweisungen umzusetzen oder sie selber zu geben? Worauf willst du künftig verstärkt den Fokus legen?
Die Produktion ZWEI war für mich kommunikativ nicht immer leicht. Deshalb möchte ich auch eine kleine Pause mit eigenen Grossproduktionen einlegen – und den Fokus wieder mehr auf das eigene Tanzen setzen. Yoga und das Unterrichten machen mir zurzeit unheimlich viel Spass, und ich möchte mir die Zeit nehmen, mich in diesen Bereichen weiterzuentwickeln.
Du bist in Trogen aufgewachsen und hast den Abschluss als Bühnentänzerin in Berlin gemacht. Viele Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder etwas «Bodenständiges» erlernen. Gab es bei euch ähnliche Diskussionen?
Natürlich gab es in meiner sechsköpfigen Familie ähnliche Diskussionen. Wir sind sehr bescheiden aufgewachsen und hatten kein Geld für Sonderwünsche. Ich wollte als Kind immer Geige spielen oder reiten lernen, aber ich wurde aus finanziellen und beruflichen Gründen meiner Eltern mit meinen Schwestern zur Rhythmischen Sportgymnastik geschickt. Die Zeit dort bereue ich aber nicht. Die harte Arbeit hat unter anderem meine Ausdauer in der Schule gestärkt und ich hatte immer Freude am Lernen. Durch den Sport erhielt ich Einblick ins Ballett. Meinen Wunsch, Tänzerin und Choreografin zu werden, habe ich erst nach meiner Fachmaturität geäussert. Meine Familie hatte grundsätzlich nichts dagegen, jedoch wusste man einfach nicht, wie man eine solche Ausbildung angehen muss und ob es bezahlbar ist. Andererseits musste ich mir oft in meinem Umfeld anhören, dass Bühnentänzerin kein richtiger Beruf ist.
Wie ist es dann weitergegangen?
Meine Mutter kommt aus Sri Lanka und hatte nie die Möglichkeit, selber zu studieren. Ihr war es deshalb besonders wichtig, dass ihre Kinder sich durch ihren Beruf finanziell absichern können. Sie hat aber auch selbst an buddhistischen Zeremonien getanzt und teilt meine tänzerische Leidenschaft. Mein Vater besitzt einen kleinen Baubetrieb. Wir alle lieben unsere Arbeit, haben grosses Interesse an Kultur und Kreativität – nur konnten mich meine Eltern finanziell nicht vollständig unterstützen. Deshalb habe ich sehr früh angefangen, selber dafür zu arbeiten. Mit 14 Jahren hatte ich meinen ersten Ferienjob. Bevor ich nach Berlin ausgewandert bin, habe ich bei der Beleuchtung im Theater St.Gallen und auch im Berggasthaus Mesmer gearbeitet. Die Stadt Berlin wählte ich aus, weil das Leben in Deutschland günstiger ist als in der Schweiz. Während der Tanzausbildung habe ich einen Teil der Schule geputzt. So musste ich nichts für die Ausbildung bezahlen und nur noch Geld für die Miete und das Essen aufbringen. Ich war oft von neun Uhr morgens bis elf Uhr abends in der Ballettschule, habe am Nachmittag in der Schule gegessen und geschlafen. Am Wochenende half ich oftmals im Restaurant meines Ballettlehrers aus und habe unterrichtet. Ich ging auch feiern, besuchte viele Workshops und habe meinen Mann kennengelernt. Ich hatte wohl einfach zu viel Energie und war neugierig. Aber nur so konnte ich mir die Tanzausbildung finanzieren, meinen Eltern entgegenkommen und es mir ermöglichen, meinen Beruf kennenzulernen.
Die vergangenen Jahre waren für Künstler eine grosse Herausforderung. Wie bist du mit der ständigen Unsicherheit umgegangen? Wie hast du die Zeit erlebt?
Die Pandemie hatte für mich verschiedene Facetten. Ich denke, wir haben in dieser Zeit nach vielen Notlösungen gesucht, um unseren Existenzängsten zu entkommen – und dabei auch unsere Berufungen neu entdeckt. Es war für mich sehr interessant zu sehen, welche Lücken wir in unserem Arbeitsumfeld füllen und wie wir als Artisten nützlich und sichtbar sein können. Ich habe mir während dieser Zeit hauptsächlich zum Ziel gesetzt, andere Leute über Social Media und Zoom-Online-Classes für Bewegung zu motivieren. Es reizte mich, eine eigene Produktion auf die Beine zu stellen. Zum Nachdenken blieb ja viel Zeit, ebenso für die Planung grösserer Projekte. Viele Leute haben meine Arbeit sehr wertgeschätzt. Natürlich war es auch für mich schwierig, beruflich wie auch psychisch. Ohne meine Familie und professionelle Hilfe hätte ich nie die Energie und das nötige Selbstvertrauen gehabt, meine erste Produktion zu starten, und vor allem den Nutzen meines Berufs und meinem Sein zu spüren.
Die Malerin Frida Kahlo war deine Inspirationsquelle für das Stück «Zwei». Wie sehr verschmilzt du jeweils mit einer solchen Person?
Das erste Gemälde von Frida Kahlo entdeckte ich auf meiner Reise nach New York in der MoMA. Ich war beeindruckt, wie dieses kleine Porträt meine ganze Aufmerksamkeit gewonnen hat. Später forschte ich über ihr Leben und ihre Laufbahn nach. Mit ihr verbindet mich ihre Stärke und Durchhaltewille. Ausserdem möchte ich mit meiner Arbeit auch Farbe in den Alltag anderer bringen.
Hast du weitere Vorbilder?
Da gibt es einige. Als Tänzer:in Natalia Osipova und Ivan Vasiliev, im Bereich Choreographie sind es Pina Bausch und Marco Goecke. Als Direktor:in gefällt mir Katrin Hall und Eric Gauthier, als Tennisspieler:in vor allem Serena Williams und Novak Djokovic.
Wie schwer – oder eben nicht – ist es, in der Schweiz als Künstlerin sein Geld zu verdienen?
Ich finde, dass die Tanzszene in der Schweiz im Vergleich zum Ausland gut bezahlt, ein übersichtliches Netzwerk bietet und entsprechend gut organisiert ist. Die Organisationen Danse Suisse und Reso arbeiten seit Jahren am Stellenwert des Tanzes in der Schweiz. Als Berufsverband unterstützen sie das Netzwerk, versprechen soziale Sicherheit, Bildung und Weiterbildung. Die Anerkennung des Berufs und gute Arbeitsbedingungen stehen dabei ganz oben auf der Prioritätenliste. Natürlich könnte immer alles noch besser sein. Das Gehalt ist beispielsweise leider immer noch auf den Mindestlohn gesetzt. Auch Miete und Krankenversicherung sind in der Schweiz wesentlich teurer als im Ausland. Nebst Proben und Aufführungen unterrichte ich als Gastlehrerin an der Theatertanzschule St.Gallen und im RLZ RG Ost. Ich versuche auch, regelmässig Workshops an sämtlichen Schulen anzubieten, um die Kultur den Menschen näherzubringen und den Stellenwert auch in kleineren Dörfern zu verbessern. Das Geld in der Schweiz ist definitiv zu finden. Damit sich sämtliche Beschäftigungen nicht überschneiden, muss man allerdings offen für mehrere Arbeitsplätze sein und sich gut arrangieren können.
Käme es für dich in Frage, deinen Wohnsitz irgendwo anders zu verlegen?
Ich wohne da, wo mich die Arbeit hinzieht. Ich habe bereits in Berlin und auch kurz in Rom gelebt, habe in französisch, italienisch und deutschsprechenden Städten in der Schweiz gearbeitet und liebe es, neue Eindrücke zu bekommen und mein Wissen nach St.Gallen zu bringen. Gerne würde ich aber auch eine Zeit lang in einem skandinavischen Land, wie zum Beispiel Schweden, leben oder mich im sozialen Bereich in Sri Lanka engagieren.
Dein Job bringt es mit sich, dass du ständig im Mittelpunkt bist. Wie machst du das an schlechten Tagen, in welchen du vielleicht nicht so wohl fühlst?
Das klingt vielleicht etwas komisch, aber für mich bin nicht unbedingt ich im Mittelpunkt, wenn ich auf der Bühne stehe. Wichtig in diesem Moment ist es auch, dass ich das Publikum erreiche, und dieser Gedanke hilft mir oft, den Druck, im Mittelpunkt zu stehen, wegzunehmen. Vor einer Performance mache ich mentales Training. Das Gefühl von Adrenalin und Nervosität kann ich auf der Bühne gut auspowern. Als Bühnenperformerin muss man sich allerdings bewusst sein, dass man mal gute und schlechte Tage hat. Vor einer Aufführung oder einer intensiven Probephase brauche ich deshalb oft viel Zeit für mich, um zu reflektieren und aufzuschreiben, was ich überhaupt mit meiner Kunst ausdrücken möchte. Ich motiviere mich immer wieder selbst – mit Gedanken wie: «Arbeite täglich an deiner Kunst, ohne dass sie alltäglich wird und gib dein Bestes, was heute möglich ist.» Es ist wichtig, zu wissen, wie man mit seinem Körper und seinen eigenen Grenzen umgehen kann. Das macht die Professionalität aus. An manchen Tagen ist die Technik besser, an anderen das Timing oder die Emotionen. Eine gute Balance zwischen Ehrgeiz und Akzeptanz ist enorm wichtig. Das Schöne an einer Live-Performance ist, dass es immer einzigartig ist und ich mich selbst, das Stück und die Menschen um mich herum immer wieder neu kennenlerne und erlebe.
Was macht für dich den Unterschied einer sehr guten Performance und einer überragenden aus?
Das Konzept, die Dramaturgie und die Lebendigkeit. Das Verlangen und die Notwendigkeit, etwas zu vermitteln, stehen für mich im Mittelpunkt. Ich liebe guten Humor, bühnenwirksames Drama und tolle Set Designs.
Gibt es ein Projekt, welches du künftig unbedingt in Angriff nehmen willst?
Ich arbeite gerade mit der Company Riva&Repele aus Genf und werde Ende Februar/Anfang März im Norden Italiens touren. Die Handlung des Stücks «Lili Elbe Show» befasst sich mit der Geschichte der ersten Geschlechtsumwandlung aus dem Film «The Danish Girl». Gerne würde ich das Stück als Gastspiel nach St.Gallen bringen. Nebenbei sind zwei neue Projekte in Diskussion mit Freunden aus Spanien und Deutschland. Auch hier versuche ich, Lösungen zu finden, diese Projekte nach St.Gallen zu bringen und die Stadt mit Kultur zu beleben.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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