Sie belassen es nicht bei der Theorie, sondern greifen direkt ein: Die Umweltorganisation Sea Shepherd ist einige Male in die Schlagzeilen geraten. Franziska Paukert ist für die Deutsch- und Ostschweiz mit dabei: Wie sie mit dieser Gratwanderung umgeht.
Franziska Paukert, Sea Shepherd greift ein, wenn die Gesetze zum Schutz der Weltmeere nicht eingehalten werden. Manchmal wird zu heftigen Mitteln gegriffen. Wie schmal ist die Gratwanderung? Anders gefragt: Wie weit darf Umwelt- und Tierschutz für Sie gehen?
Sea Shepherd wurde vor über 40 Jahren als eine Organisation gegründet, die bewusst keine Protestkultur betreibt, sondern dem Prinzip der «Direct Action» folgt. Anstelle von Petitionen und Demonstrationen setzen wir darauf, illegale Tätigkeiten, welche die Meere und ihre Bewohner schädigen, dort aufzuspüren, wo sie stattfinden, und dann direkt zu intervenieren. Damit gehen wir sicher um einiges weiter als die meisten anderen Organisationen.
Was heisst das genau?
Am Ende kommt es darauf an, welche Konsequenzen die eigenen Handlungen haben. Bei illegalen Operationen zu intervenieren, führt zwangsläufig zu Konfrontation. Aber wären die Folgen des Unterlassens nicht sehr viel schwerwiegender? Unsere Meere stehen kurz vor dem Kollaps, und obwohl sich diese Entwicklung bereits vor Jahrzehnten abgezeichnet hat, haben die Regierungen dieser Welt es bis heute nicht geschafft, diese Probleme zu adressieren. Die Meere sind zu 90 Prozent überfischt oder am Limit befischt. Zahllose Spezies stehen kurz vor dem Aussterben oder sind durch Überfischung, illegale Fischerei oder durch Beifang bereits verloren.
Sie arbeiten als Volunteer bei Sea Shepherd. Weshalb liegt Ihnen der Schutz der Weltmeere und die Tiere so am Herzen?
Genau, ich engagiere mich – wie alle Volunteers in der Schweiz, davon rund zehn aus der Ostschweiz, und die meisten Volunteers von Sea Shepherd Global – in meiner Freizeit ehrenamtlich für die Organisation. Ich sehe die Zerstörung und all das Leid, das wir mit unserer Lebensform über den Planeten und unsere Mitbewohner bringen. Wenn ich daran denke, was dort draussen jede Minute passiert, zerreisst es mir das Herz. Aber ich habe den Glauben an eine andere Zukunft noch nicht verloren. Ich möchte mit meinen Handlungen, sowohl im Aktivismus wie auch im täglichen Konsumverhalten, Teil der Lösung sein und nicht Teil des Problems.
Wie sieht Ihre Arbeit aus? Sind Sie eher im Büro anzutreffen oder vor Ort, wo es «brennt»?
Beides! Den Grossteil meines Engagements erbringe ich an Land. Bei Sea Shepherd Switzerland verantworte ich die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit und bemühe mich ums Fundraising, damit wir unsere Kampagnen auch finanzieren können. Die Arbeit, welche mich am meisten erfüllt, ist natürlich ein effektiver Kampagneneinsatz auf einem Schiff oder an einer Küste. Seit wir auch in Europa Kampagnen haben, geht das auch für einen kurzen Zeitraum, beispielsweise für zwei oder drei Wochen. Bis heute war ich mehrfach für auf den kürzeren Kampagnen unterwegs. In den kommenden zwei Jahren möchte ich aber einmal an einer grossen, mehrmonatigen Kampagne teilnehmen.
Sea Shepherd ist in vielen rauen Gegenden unterwegs. Man ist wochen- oder monatelang nicht zuhause, getrennt von Freunden und Familien. Weshalb nehmen Sie die ganzen Strapazen auf sich?
Man darf nicht unterschätzen, wie erfüllend diese Arbeit ist. Man ist vor Ort und kann aktiv etwas gegen die Probleme tun. Die Arbeit auf hoher See liefert einen direkten, sichtbaren Mehrwert. Jedes Mal, wenn wir ein illegal operierendes Schiff festsetzen oder ein Geisternetz, also ein Netz, das verloren ging oder absichtlich entsorgt wurde, bergen, bedeutet das, dass wir viele Tiere retten, die andernfalls getötet worden wären. Zudem ist Sea Shepherd für viele Freiwillige wie eine Familie – man ist füreinander da und begegnet den Herausforderungen gemeinsam.
Dokumentarfilme gibt es inzwischen haufenweise, die auf die Probleme hinweisen. Was macht der Tier- und Umwelt aus Ihrer Sicht am meisten zu schaffen?
Eine der grössten Herausforderungen ist die Überfischung – nicht nur, weil sie unsere Meere effektiv leerfischt, sondern auch vor dem Hintergrund des Klimawandels. Die gängigen Fischereipraktiken sind oft sehr schädlich. So verursachen etwa Grundschleppnetze mehr CO2-Emissionen als die gesamte Luftfahrt. Durch die Zerstörung von Lebensräumen und die gezielte Überfischung von Schlüsselspezien wird das ganze System Ozean instabil – das wird übrigens auch grosse Auswirkungen auf unser Leben an Land haben, denn wir sind sehr abhängig von den Meeren.
Besonders schlimm ist auch die illegale Fischerei, da sie sich an keine Quoten und Regelungen hält, einen monströsen Anteil an Beifang generiert und das Überleben zahlloser wichtiger Arten aufs Spiel setzt. Wenn wir illegal operierende Schiffe stoppen, finden wir oft die Überbleibsel geschützter Tierarten an Bord. Die Labiko II, eines der berüchtigsten Wildererschiffe, das wir 2019 entdeckt und festgesetzt haben, hat jedes Jahr rund 500'000 geschützte Haie getötet.
Es gibt viele Ursachen, also demnach auch unendlich viele Projekte, die man unterstützen könnte. Wie wählen Sie die dringlichsten aus? Worauf kommt es an?
Wir versuchen, die Bedrohungen unserer Meere systematisch anzugehen. Wir möchten nicht nur einzelne Spezies, sondern die Meere als Ganzes schützen. Dazu haben wir wichtige ökologische Schlüsselgebiete identifiziert, die aufgrund ihrer hohen Biodiversität besonders schützenswert sind, beispielsweise in Afrika. Hier haben die Behörden oft nicht die Schiffe und auch nicht die Erfahrung, um kriminelle Trawler aus dem Ausland fernzuhalten. Dank unseren Partnerschaften mit den Regierungen können wir die Küstenwache an Bord unserer Schiffe nehmen und gemeinsam patrouillieren. Somit werden illegale Aktivitäten von uns aufgedeckt und die Verantwortlichen durch die Küstenwache festgenommen.
Auf welche Meilensteine sind Sie besonders stolz?
In den letzten sechs Jahren haben wir über 80 illegal fischende Schiffe festgenommen und damit Millionen von Meeresgeschöpfen das Leben gerettet. Unsere Kampagnen in Afrika sind so erfolgreich, dass viele Wilderer gar nicht mehr in diese Regionen kommen, weil sie wissen, dass wir da sind. Die lokale Bevölkerung berichtet uns, dass sich die Fischbestände bereits erholen. Das ist nachhaltiger, aktiver Meeresschutz. Nun hat uns die Regierung des pazifischen Inselstaates Tuvalu angefragt, ob wir sie ebenfalls gegen die illegale Fischerei unterstützen. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, das möglich zu machen.
Wie reagiert Ihr Umfeld, wenn Sie sagen, wo Sie arbeiten?
Es stösst eigentlich immer auf Interesse. – Doch hier in der Schweiz verstehen viele Menschen zunächst die Relevanz nicht. Dabei konsumieren wir in der Schweiz fast 50 Prozent mehr Fisch als der globale Durchschnitt. Auch gibt es viele Produkte auf dem Markt, beispielsweise in der Kosmetik oder Pharmazie, welche Bestandteile illegal gefischter Tiere enthalten, unter anderem von Haien. Die meisten sind schockiert, wenn ich ihnen ein paar Zahlen nenne. Dabei ist es so wichtig, dass wir als Konsumentinnen und Konsumenten informierte Entscheidungen treffen. Schliesslich haben wir täglich bei jedem Mahl und jedem Einkauf die Wahl, ob wir zum Schutz oder zur Zerstörung der Meere beitragen.
Welche Projekte werden Sie in den kommenden Wochen und Monaten besonders beschäftigen?
Aktuell arbeiten wir mit Hochdruck daran, unser neues Schiff, die Allankay, für ihre Kampagne in Tuvalu vorzubereiten. Schiffe sind recht kostenintensiv – ich hoffe, dass wir bald genug Privatpersonen, aber auch Firmen und Organisationen überzeugen können, diese wichtige Arbeit durch eine Spende zu unterstützen. Gleichzeitig möchte ich hier in der Schweiz mehr Aufklärung betreiben.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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