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Kinder in Coronazeiten

«Papi, stimmt es, dass wir alle bald aussterben?»

Die Kinder sind die Vergessenen der Coronakrise. Seit der temporären Schliessung der Schulen spricht kaum mehr jemand über sie. Aber zur Erinnerung: Sie sind eine der nächsten Generationen, die dieses Land führen. Was wir ihnen jetzt antun, beeinflusst uns für Jahrzehnte.

Stefan Millius am 13. November 2020

Sämtliche Beispiele sind real aus dem Umfeld des Autors und dokumentiert.

Lena, 9 Jahre alt, kommt von einem Vereinsanlass nach Hause. Ihre Wangen sind gerötet, sie ist sichtlich aufgeregt. «Papi, stimmt es, dass in der Schweiz bald alle Menschen aussterben wegen Corona?» Das hätten ihr die anderen Kinder gerade erzählt. Überall sterben Menschen, Millionen seien es bereits, und natürlich seien sie selbst auch bald an der Reihe, das sei ja nur logisch. «Sterben wir wirklich bald alle?»

Noemi, 12, muss neuerdings Maske tragen im Turnunterricht. Sie tut es nicht. Das hat keinen bestimmten Grund, sie fühlt sich damit einfach nicht wohl, sie versteht nicht, warum sie es tun muss, sie glaubt nicht, was erzählt wird. Die Lehrerin hat es noch nicht mitbekommen. Aber zwei Mitschülerinnen stürmen auf sie zu: «Willst du beatmet werden? Willst du, dass wir anderen beatmet werden müssen wegen dir? Du bist schuld, wenn wir alle krank werden!»

Es sind in der Schweiz keine Fälle bekannt, in denen Kinder aufgrund von Covid-19 beatmet werden müssten. Auch das Aussterben der gesamten Nation ist derzeit nicht konkret im Gespräch. Die Kinder aber, die solches von sich geben, glauben daran. Aus tiefstem Herzen. Sie sind ernst zu nehmen. Sie haben sich das nicht selbst ausgedacht. Es wurde ihnen vermittelt.

Woher haben sie solche Dinge?

Was im Elternhaus geschieht, ist privat. Nicht auszuschliessen, dass panisch veranlagte Väter und Mütter ihre Angst auf die Kinder übertragen. Ein weiterer Faktor ist die Tatsache, dass Kinder heute schon recht jung Medien konsumieren, in erster Linie soziale Medien und Plattformen wie YouTube und TikTok. Doch aus diesen Kanälen kann sich die nackte Panik kaum speisen, denn dort wird - gottlob - auch das Gegenteil vermittelt. Relativierende, sachliche Informationen rund um das Coronavirus. Die Chance ist klein, dass ein Kind im Netz nur auf alarmistische Botschaften stösst.

Bleibt eine weitere Gruppe von Informationsvermittlern: Die Lehrkräfte.

Besagte Noemi von oben bestätigt: In der Schule wird oft über Corona gesprochen. Dort erfahren die Kinder, wie schlimm das Virus ist, wie gefährlich, dass man sich schützen muss, und zwar so, wie der Bundesrat oder die Kantonsregierung das sagen. Oder besser ein bisschen mehr. Noemi glaubt das nicht. Aber sie traut sich nicht, etwas anderes zu sagen. Also macht sie mit. Sie bestätigt auf Nachfragen der Lehrerin, dass sie natürlich auch Angst hat. Weil sie nicht auffallen will. Am Ende der Schulstunde sind sich alle einig: Corona ist wahnsinnig gefährlich, und wenn nicht alle permanent aufpassen, sterben immer mehr Menschen. Die Grosseltern zum Beispiel.

Es gibt wenig Dinge, mit denen man Kinder mehr verängstigen kann.

Lehrerinnen und Lehrer sind Staatspersonal. Im föderalen System der Schweiz sind sie Angestellte von Schulgemeinden oder des Kantons. Sie unterliegen klaren Richtlinien. Dazu gehört beispielsweise, dass sie einen vorgegebenen Lehrplan zu vermitteln haben. Aber auch, dass sie Kinder nicht politisch indoktrinieren dürfen. Das macht Sinn. Theoretisch. In der Praxis ist es aber kaum zu schaffen. Eine Lehrkraft, die drei Jahre lang Tag für Tag eine der engsten Bezugspersonen der Kinder ist, vermittelt automatisch auch Werte, Haltungen. Und darunter gibt es solche, die von der Arbeitgeberin wie selbstverständlich akzeptiert werden - und andere.

Dafür gibt es Beispiele. Nehmen wir die Klimadebatte. Ein Lehrer, der den Kindern ausschweifend von den Wundertaten von Greta Thunberg berichtet, handelt völlig korrekt aus der Sicht praktisch jeder Schulgemeinde. Die Klimademos, unterm Strich weitgehend akzeptiert in der ganzen Schweiz, zeigen das. Dieser Lehrer wird niemals gemassregelt, er tut das Richtige. Eine Lehrerin aber, die sich kritisch äussert über Greta und das Thema Klima ganzheitlicher angehen will, die davon erzählt, dass es auch andere Thesen rund um den Klimawandel gibt, wird mit Garantie gemassregelt.

Oder auch: Von Trump schwärmen wäre ein Anlass für engste Beobachtung oder eine Verwarnung einer Lehrkraft. Dass er 2016 auf demokratischem Weg zum amerikanischen Präsidenten gewählt wurde, spielt keine Rolle, er ist schlicht ein Unding und gehört nicht im positiven Kontext in ein Schulzimmer. Lobgesänge auf Obama hingegen hätten Lehrerinnen und Lehrer damals jederzeit anstimmen können. Obwohl beide dasselbe Amt inne hatten. Kennt jemand eine Lehrkraft, die für Trump schwärmt?

Ausgewogenheit und Neutralität in der Schule ist eine hehre Theorie, nicht mehr. Der Alltag sieht anders aus. Natürlich werden unsere Kinder beeinflusst. Nicht systematisch über den Lehrplan, aber individuell über Lehrpersonen. Und weil zurückhaltend geschätzt 95 Prozent der Lehrkräfte politisch gleich ticken, sind auch die vermittelten Werte praktisch immer die gleichen.

Kein Kanton hat eine offizielle Meinung zu Trump oder Obama, dennoch funktionierte die automatische Zensur schon damals. Bei Corona ist das Ganze noch verschärft. Hier gibt es einen offiziellen staatlichen Kurs. Hier gibt es «richtig» und «falsch». Hier kann man aus dem Vollen schöpfen. Mit Rückendeckung des Bundesrats oder des Kantons.

Wird einer Schulgemeinde vorgeschrieben, wie sie im Schulhaus mit der Maske umzugehen hat, bleibt kein Diskussionsspielraum. Man mag die Maske bei Kindern falsch finden (man sollte es wohl sogar), aber Vorschrift ist Vorschrift. Man kann als Eltern dagegen demonstrieren, man kann den Verantwortlichen die Meinung geigen, aber dass die Lehrkräfte de Vorschrift durchsetzen, kann man ihnen nicht anlasten. Sie sind Arbeitnehmer. Sie haben letztlich zu tun, was man ihnen sagt. Wie erste Beispiele zeigen, ist man ja auch schnell seinen Job los, wenn man es nicht tut.

Doch was über die Maske hinaus im Schulzimmer passiert, ist eine andere Frage. Stand heute sehen es offenbar die meisten Lehrkräfte als ihre Pflicht, die Maske nicht nur durchzusetzen, sondern auch noch, ihre Notwendigkeit zu vermitteln. Die Panik weiterzugeben. Angst zu schüren. Wer es nicht tut, wer den Sinn der Maske oder anderer Massnahmen zusammen mit den Schülern kritisch hinterfragt, nur schon wer Fragen stellt, wer eine offene Diskussion anstösst, wird zum Aussenseiter.


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Man kann nun sagen: Das ist in Ordnung, die Schweiz hat einen offiziellen Kurs, Staatsangestellte haben den mitzutragen. Aber es ist ein Unterschied, ob ein Steuerbeamter einfach brav seine Maske trägt während der Arbeit oder ob ein Lehrer vor seinen Kindern den grassierenden Alarmismus mitträgt und keine kritischen Fragen zu dem, was gerade geschieht, zulässt. Lehrkräfte sind Multiplikatoren. Macht der Steuerbeamte einen Fehler, dann stimmen ein paar Zahlen nicht. Machen Lehrer Fehler, bleibt das an zwei Dutzend Kindern haften. Für Jahre. Vielleicht für immer.

Denn zur Erinnerung: Die Kinder von heute sind die Gesellschaft von morgen. Sie sitzen irgendwann an den Hebeln der Macht, führen Unternehmen, engagieren sich politisch. Die banale Frage ist: Wollen wir eine Generation heranzüchten, die von einer weitgehend unbegründeten Angst geprägt ist und Massnahmen akzeptiert, ohne sie zu hinterfragen? Natürlich darf man zum Schluss kommen, dass der Bundesrat recht hat, kein Problem. Aber es wenigstens vorab diskutieren? Geschieht das im Moment in unseren Schulen?

Wir kennen die Antwort. Nur schon zu erwähnen, dass es Leute gibt, die es anders sehen, würde an eine Revolution grenzen.

Nirgendwo wären Diversität, Querdenken, Kritikfähigkeit auch nach oben so wichtig wie bei Lehrerinnen und Lehrern. Denn sie geben diese Qualität unseren Kindern weiter. Man kann dem Coronavirus zugute halten, dass es unsere Defizite schonungslos offenlegt. In diesem Fall: Wir sehen nun, dass die Mission, Kinder zu selbständigen, denkenden Wesen zu machen, in der Schule an die Grenzen stösst. Es wird ihnen die «gängige Meinung» vermittelt. Und wer die andere Meinung nur erwähnt, überschreitet bereits eine Grenze.

Im Prinzip müssten schon nächsten Montag in der ganzen Schweiz Lehrerinnen und Lehrer vor ihre Klassen stehen und ihnen sagen, was hinter dem Begriff «Fallzahlen» wirklich steckt. Wie der Test, von dem die Kinder dauernd lesen, wirklich zu bewerten ist. Wie es mit der Auslastung der Intensivstationen wirklich steht. Was ein «Medianalter» ist und was dieses über die Sterblichkeit aussagt. Am Ende dieser Lektion hätten die Kinder weniger Angst. Sie würden die wahren Verhältnisse kennen. Sie würden am Abend beruhigter einschlafen. Der Schlaf würde ihnen nicht aus Angst um ihre Grosseltern geraubt. Denn hier ist die schonungslose Wahrheit: Dieses Virus tötet gelegentlich Menschen, aber nach wie vor behalten fast alle Kinder in unserem Land ihre Grosseltern. Nein, es sterben nicht die meisten. Es stirbt eine verschwindend kleine Minderheit.

Nur will das der Staat natürlich nicht, dass das vermittelt wird. Wenn man schon nahezu alle Medienhäuser der Schweiz mit dem Füllhorn der Medienförderung auf Kurs gebracht hat, möchte man nicht, dass die Heranwachsenden vom Kurs abweichen. Und Lehrerinnen und Lehrer sind - nicht alle, aber zu oft - Erfüllungsgehilfen der staatlichen Strategie.

Wir «Grossen» können uns im Rahmen unserer Möglichkeiten wehren. Aber wenn das auf Kosten der Kleinsten geht, wird es unappetitlich.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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