logo

Zeyer zur Zeit

Persönliches Manifest

Es ist im Journalismus verpönt, das Wort «ich» zu verwenden. Ausser, es geht um das Ich. Mir geht es um mein Ich, also verwende ich für einmal dieses Wort. Nach einem Jahr Krieg.

«Die Ostschweiz» Archiv am 24. Februar 2023

Ich möchte gerne meine Restlaufzeit auf Erden in Frieden beenden. Ich bin mir bewusst, dass eine Geburt inmitten Europas dafür einerseits gute Voraussetzungen geschaffen hat, für die ich nichts kann. Das Leben in der Schweiz schafft noch bessere Voraussetzungen dafür, für die ich auch nicht viel kann.

Wer wie ich nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurde, den aber aus dem Erleben seiner Eltern kennt, glaubte mit zunehmendem Alter erstaunt prognostizieren zu können, dass er zu den wenigen, den ganz wenigen Generationen in der Geschichte Europas gehören dürfte, die von der Wiege bis ins Grab keinen Krieg in unmittelbarer Nähe erleben mussten.

Die Bürgerkriege in Ex-Jugoslawien mit all ihren Kriegsverbrechen, begangen nicht zuletzt auch von der NATO, unterstützt nicht zuletzt auch von den ehemals pazifistischen Grünen, konnte man noch mit wahrhaft eurozentristischer Arroganz als Randerscheinung im Wilden Osten abtun, was ja nun nichts mit Kerneuropa zu schaffen habe.

Unter dieses Kriterium könnte eigentlich auch der Krieg in der Ukraine fallen. Er könnte uns, Pardon, so scheissegal sein wie der Gemetzel im Jemen. Wie das Gemetzel in Tigray (wer weiss schon, wo das liegt. Da sind auch nur mehr als eine halbe Million Menschen umgekommen, zwei Millionen wurden vertrieben. Aber sie haben die falsche Hautfarbe und lebten am falschen Ort). Wie die Kriegsverbrechen des NATO-Mitglieds Türkei in Syrien. Es könnte uns egal sein wie die Desaster, die die Achse des angeblich Guten im Irak, in Afghanistan, in Libyen verursacht hat. Wie der verbrecherische Krieg der USA in Südostasien, in Vietnam, Laos und Kambodscha, für den die Supermacht bis heute keinen Cent Reparationen bezahlt hat.

Wir könnten den Völkern der Ukraine, Russlands oder des Irans wünschen, dass sie ihre korrupten und unfähigen Führungscliquen zum Teufel jagen. Man könnte das alles tun im festen und sicheren Wissen, dass unsere Stimme, die Stimme der einfachen Bürger, meine Stimme weniger als Blasen gegen den Wind ist, wenn die Mächtigen, die grossen Töter und Herren, Weltpolitik machen, Machtpolitik.

Dennoch wird hier von mir herumgekräht, opiniert, räsoniert und kritisiert. Warum? Einfach deswegen, weil mir mein Leben lieb ist. So egoistisch bin ich nunmal. Ich sehe nicht ein, wieso in der undemokratischen Ukraine die Demokratie verteidigt werden soll. Ich sehe nicht ein, wieso ein imperialer Machtkampf zwischen den USA und Russland zur endzeitlichen Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse hinaufstilisiert werden sollte. Weder Biden noch Putin, noch Selenskyj geben einen feuchten Dreck auf meine Meinung – oder meinen Wunsch, wenn irgend möglich mein Leben nicht in einer atomar zerstörten Welt beenden zu wollen. Auch wenn ich ein «Manifest für den Frieden» mitunterzeichne, wiege ich mich nicht in der Illusion, dass das einen Einfluss auf die Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz haben könnte.

Aber was mich umtreibt, sind diese unreflektierten Kriegsbefürworter, diese Militärstrategen in ihren Redaktionsstuben, die der Welt, Putin, Biden, Europa, der Schweiz, der Schweizer Regierung, der Schweizer Bevölkerung Ratschläge aufdrängen wollen, was sie zu tun oder zu lassen hätten.

Was mich umtreibt, sind diese verantwortungslosen Kriegstreiber, bei denen man nur froh sein kann, dass auch auf ihre Meinung (fast) niemand etwas gibt.

Was mich umtreibt, sind diese Bellizisten, die lustvoll die Ukrainer in noch mehr Leid und Tod treiben wollen, die sie mit allen dafür nötigen Waffen ausrüsten möchten, die am liebsten wieder deutsche Panzer durch die Ukraine rollen sehen wollen, die es diesmal dem Iwan richtig besorgen möchten, diesem Untermenschen, der doch tatsächlich mehrheitlich für einen Vollirren, einen dementen Kriegsverbrecher wie Putin sein soll.

Was mich umtreibt, ist deren Indolenz, dass aus dem Ukrainekrieg ohne Weiteres ein Dritter Weltkrieg werden kann. Die das nicht sehen wollen oder können und in einer Spirale der Eskalation gefangen sind, die von Munition über schwere Waffen und Kampfpanzer nahtlos zu Kampffliegern, Raketen und U-Booten führt.

Was mich umtreibt, sind diese publizistischen Brandstifter, sei das der alte Wanner von CH Media oder sei das ein deutscher CDU-Politiker, die mit Nato-Bodentruppen oder der Bombardierung von Munitionslagern in Russland oder von Luftangriffen auf Russland fantasieren.

Was mich umtreibt, sind diese fahrlässigen Undemokraten, die erfüllt vom sicheren Wissen um das Gute den Schweizer Rechtsstaat, die Eigentumsgarantie, die Neutralität in die Tonne treten wollen, weil sie meinen, ihre Mission sei wichtiger und richtiger als all das.

Demgegenüber muss ich klar festhalten, ob ich damit als Diversant (für die wenigen Gebildeten), als Putin-Versteher (für die Trottel und Würstchen) oder als feiges Weichei gelte, das den imperialen Gelüsten des Kreml-Herrschers willfährig nachgeben will: für mich ist die Ukraine keinen Weltkrieg wert. Für mich ist die Verteidigung eines korrupten Oligarchen-Systems gegen den Überfall durch ein anderes keinen Weltkrieg wert.

Allen, die das propagieren, die dann wieder einmal fassungslos stammeln würden «das habe ich doch nicht gewollt», all denen sei ein deutliches Gedicht von Bertolt Brecht in Erinnerung gerufen, das er nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schrieb, als nach dieser Weltkatastrophe von vielen, die sie mitverursacht hatten, «vergessen und Schwamm drüber und nach vorne schauen» propagiert wurde.

Vielleicht ist das nach einem atomaren Weltkrieg gar nicht mehr möglich, dass man sich aus der Verantwortung stehlen kann, aber falls doch, sei all diesen warmonger, diesen Kriegshetzern ins Stammbuch geschrieben, was Brecht in kalter und berechtigter Wut formulierte:

Und die da reden von Vergessen und die da reden von Verzeihn – All denen schlage man die Fressen mit schweren Eisenhämmern ein.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
«Die Ostschweiz» Archiv

«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.