logo

Ehemaliger FCSG-Spieler

Philippe Montandon: «Einfach hat es niemand»

Sie stehen im Rampenlicht, werden erkannt, gepusht, verehrt: Fussballer sind im Fokus. Doch was, wenn die Karriere zu Ende geht? Wie gelingt der Sprung ins «normale» Berufsleben?

Manuela Bruhin am 14. Juli 2021

Fakt ist: Wohl den Wenigsten fällt es einfach, seine Sporen plötzlich irgendwo abverdienen zu müssen, sagt der ehemalige FC St.Gallen Spieler Philippe Montandon. Er musste seine Karriere 2015 aufgrund gesundheitlicher Probleme beenden.

Das Gefühl, einen gefährlichen Schuss abgewendet zu haben. Die Zugehörigkeit der Mannschaft. Der Fangesang, wenn man ins Stadion läuft. – All das sind Momente, die Philippe Montandon vermisst. Auch heute noch, sechs Jahre nach seinem Karriereende beim FC St.Gallen. «Es sind Emotionen, die du danach so nicht mehr erlebst. Und dass du das überhaupt machen durftest, ist ein riesiges Privileg», hält er fest.

Er erinnert sich an den Moment vor über sechs Jahren, als sein Körper ihn zwang, seine Fussballschuhe an den Nagel zu hängen. Die achte Hirnerschütterung war definitiv zu viel – dennoch probierte er, weiterzumachen. Nach der Winterpause waren die Beschwerden aber immer noch da. «Da lag es schliesslich auf der Hand, dass es nicht mehr geht.» Heute kann er es zwar auch mit Humor nehmen («Ich habe also für alles eine Entschuldigung!»), doch die Entscheidung, die Reissleine zu ziehen, war zu diesem Zeitpunkt alles andere als einfach. «Du lebst für den Fussball, ein Leben lang gibst du alles für deine Leidenschaft. Und dann ist plötzlich Schluss.» Was dann?

Ein neuer Lebensabschnitt musste eingeläutet werden. Dabei half es Montandon ungemein, dass er genau zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal Vater wurde. «Es wurde mir bewusst, dass es ein Schnitt ist und nun etwas Neues kommt», fasst er seine Gedanken zusammen. Er war sich darüber im Klaren, dass er ganz von vorne anfangen musste – wenn andere mit 18 Jahren die ersten Erfahrungen im Berufsleben sammeln, tat Montandon das mit über 30. Für ihn war es demnach umso wichtiger, gleich im Anschluss im Beruf anzukommen. Es kam ihm zugute, dass er bereits während seiner aktiven Zeit ein Fernstudium absolviert hatte und somit später in die Immobilienwelt erste Einblicke erhielt. Als Praktikant. Plötzlich waren da acht-Stunden-Tage oder mehr, ständiges Sitzen, Woche für Woche. Aber: Was er da sah, gefiel ihm. «Die Umstellung ist natürlich dennoch hart. Jeder, der etwas anderes behauptet, der ist nicht ehrlich», so Montandon. Einerseits war da plötzlich der völlig neue Rhythmus, andererseits der finanzielle Druck, der auf dem Familienvater lastete.

Auch die körperlichen Unterschiede machten sich bald bemerkbar. Den natürlichen Bewegungsdrang konnte Montandon nicht mehr ausleben. «In den Anfangszeiten vertrat ich mir jede halbe Stunde die Beine. Das lange Sitzen war ich natürlich nicht gewöhnt.» Dennoch suchte er den Ausgleich nicht in anderen Sportarten – und genoss statt dessen das komplette Herunterfahren. Erst seit etwa einem Jahr joggt er regelmässig oder fährt mit seinem Bike. Auch auf dem Fussballplatz ist er wieder vermehrt hobbymässig anzutreffen. «Das geniesse ich sehr – ich darf jetzt, muss aber nicht.» Hin und wieder an seine körperlichen Grenzen zu stossen, das sei eine gute Erfahrung. Auch wenn eine ganz andere als damals in seiner aktiven Zeit. Der Druck ist es auch, den er überhaupt nicht vermisst. «Wenn du mal eine schlechte Phase hattest, hat dich das enorme Kraft gekostet. Ständig wirst du verglichen, musst abliefern. Da bin ich froh, kein Profi mehr zu sein.»

Seit etwa einem Jahr spüre er, angekommen zu sein. Angekommen in seinem neuen Leben: in der Privatwirtschaft, als Familienvater, als Hobbysportler. Vorher spielten zu viele Emotionen mit, als dass er das wirklich von sich behaupten konnte. Er stehe gern morgens auf, um arbeiten zu gehen. Aber es sei ein Prozess gewesen, bis er an diesen Punkt gekommen sei. Würde er rückblickend also etwas anders machen? «Vielleicht wäre die Umstellung einfacher, wenn man bereits während seiner aktiven Zeit einen Fuss im Arbeitsleben behält», so Montandon. Das fordere natürlich eine hohe Flexibilität seitens des Arbeitgebers oder auch des Spielers. Diesen Weitblick habe er jetzt, doch fehlt dieser bei fast allen aktiven Sportlern. Dennoch, so ist Montandon überzeugt, wäre dann die Umstellung nicht so krass. Gleichzeitig ist er aber um den endgültigen Schnitt mit der Fussballwelt froh. Viele ehemalige Fussballer bleiben dem Verein in verschiedenen Ämtern erhalten. Etwas, was er für sich nicht vorstellen konnte. «Ich habe zwei Versuche genommen, nach der aktiven Zeit in der Fussballwelt zu bleiben. Für mich hat es aber nicht gepasst. Es war Zeit für etwas Neues.» Was bleibt, sind die Erinnerungen, die Kontakte, die Bilder im Kopf. Und die Erzählungen, welchen seine Kinder lauschen. Und wenn sie irgendwann mit dem Wunsch kommen würden, Profispieler werden zu wollen? «Ich denke nicht, dass sie dafür Ambitionen haben», lacht Montandon. «Doch wenn es so wäre, hätten sie natürlich meine Unterstützung – egal, welchen Weg sie einschlagen wollen.»

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.