Ein Leben lang gearbeitet, seine Steuern und AHV-Beiträge einbezahlt – damit im Alter fast nichts mehr bleibt. Viele sind in der Schweiz von der Altersarmut betroffen. Wie geht man mit den Herausforderungen, die nicht nur im finanziellen, sondern auch im mentalen Bereich liegen, um?
Angelika Büsser ist alles andere als arbeitsscheu. Im Gegenteil: Unzählige Jahre war sie in der Gastrobranche tätig, startete ihren Tag frühmorgens, arbeitete am Wochenende, an Feiertagen, kurz: Freizeit war rar gesät. Sie behält ihr Berufsleben aber dennoch als gut in Erinnerung. «Ich wollte immer arbeiten. Ohne Arbeit fehlt mir etwas», sagt sie im Gespräch. Auch, als sie mit ihrem Mann zwei Kinder bekam, arbeitete sie weiter. Statt zurückzuschrauben, wurde es immer mehr und mehr. Bis Angelika und ihr Mann schliesslich krank wurden. Mit gerade einmal 42 Jahren erlitt er seinen ersten Herzinfarkt. «Da wussten wir, dass wir etwas ändern mussten», sagt die Ostschweizerin.
Richtiger Zeitpunkt?
Ihr Mann kam mit 13 Jahren in die Schweiz, um Arbeit zu finden. Geboren und aufgewachsen ist er auf Sardinien. Für ihn war immer klar: Irgendwann wollte er in seine Heimat zurückkehren. Sein Herz hing dort, richtig glücklich und heimisch wurde er in der Schweiz nie. Während das Ehepaar hier ihre Kinder gross zog, baute es zeitgleich ein Haus auf Sardinien. Als Feriendomizil war es angedacht. Als schliesslich die Krankheit viele Pläne durchkreuzte, war es für ihren Mann klar, dass der richtige Zeitpunkt für die Rückkehr nach Sardinien gekommen war. «Ich musste mich entscheiden: hierbleiben oder mitgehen?»
Das war im Jahr 2005. Die Kinder waren zu diesem Zeitpunkt bereits selbstständig, führen ihr eigenes Leben. Gerade die Anfangszeiten in der für Angelika Büsser neuen Heimat erwiesen sich als Herausforderung. «Ferien zu machen, ist etwas ganz anderes, als dann plötzlich dort zu wohnen», sagt sie. Die Einheimischen seien zu Fremden eher misstrauisch, zu gross sei häufig die Angst, dass sie ihnen die nötige Arbeit wegnehmen würden. Mit der Zeit habe sich dieses Misstrauen jedoch gelegt, Freundschaften sind entstanden. Dennoch: Ohne ihre Arbeit wäre Angelika Büsser im neuen Land nicht glücklich geworden.
Wieder haufenweise Arbeit
Das Ehepaar wagte den Schritt in die Selbstständigkeit, eröffnete ein kleines Restaurant, ohne Angestellte, nur die Beiden. In der kargen Freizeit nahm Angelika Büsser Feriengäste auf, bewirtete sie in den eigenen vier Wänden. «Es war eine arbeitsintensive, aber auch sehr schöne Zeit», erinnert sich die Ostschweizerin zurück. Mittlerweile ist ihr Mann 68 Jahre, sie gerade 64 Jahre alt geworden. Und damit wurde der neue Lebensabschnitt eingeläutet: die Pension. Wie geht sie damit um, nun doch plötzlich ohne Arbeit auskommen zu müssen? «Es ist eine enorme Umgewöhnung, plötzlich hat man ganz viel Zeit», hält sie ehrlich fest. «Ich musste zuerst lernen, nicht mehr ständig etwas ‘zu müssen’ oder meinen Tag minutiös durchzutakten. Das ist nicht einfach. Überhaupt nicht.» Dennoch musste sie ihre ständige Hetzerei überdenken, sich die Vorteile ins Gedächtnis rufen, welche die Pension mit sich bringt.
Gelassenheit – Fluch und Segen
Angelika Büsser verbringt nun viel Zeit an ihren Lieblingsplätzen, trifft sich mit Freunden auf einen Kaffee. Ohne die imaginäre Uhr im Hinterkopf zu haben, gleich wieder weiter zu müssen. Die Gelassenheit der Menschen zählt sie deshalb auch zu den Vorteilen, die ihre neue Heimat mit sich bringt. «Hier läuft vieles langsamer.» Das könne ehrlicherweise auch manchmal nerven. Wie in etwa dann, wenn man für zwei Briefe eine halbe Stunde auf der Post verbringen müsse.
In der Gegend, in welcher das Ehepaar Büsser wohnt, sei das Leben angenehm: alles sei erschlossen, die Gesundheitsversorgung gut, die Einkaufsmöglichkeiten nah. Die Menschen hätten mehr Platz, als es in der Schweiz der Fall sei. Die Lebenserhaltungskosten seien tiefer, und dadurch, dass sie ein Haus besitzen würden, reiche es zum Leben. «Hat man in der Schweiz jedoch keine Immobilie, und hat nicht genügend gespart, dann wird es in der Pension finanziell schwierig – das wissen wir auch aus unserem Umfeld», so die Ostschweizerin.
Ihre Zeit möchte Angelika Büsser in ihrem Garten geniessen. Zurück in die alte Heimat zu gehen, das kommt für sie derzeit nicht in Frage. «Ich stand aber bereits einige Male vor dieser Entscheidung. Jetzt, mit 64 Jahren, will ich aber nicht mehr von vorne anfangen.» Gerade die Wintermonate seien eine Herausforderung. Das Klima ist rau, der Inselkoller hole sie dann häufig ein. «Zu wissen, dass man nicht kurz mit dem Auto oder Flugzeug weg kann, das ist schon belastend.» Es sei schön, am Meer zu wohnen. Ihr Herz gehöre aber ganz klar der Heimat. Und das bleibe die Stadt Rapperswil.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.