Von blauen St.Galler Kartoffeln bis hin zu Swiss Chia: Die Saatzuchtgenossenschaft musste sich in den letzten 100 Jahren einige Male beweisen, um das Fortbestehen zu gewährleisten. In wie weit sich der Trend zum regionalen Angebot gewandelt hat, verrät Geschäftsführer Christoph Gämperli.
Die St.Gallische Saatzuchtgenossenschaft vereint etwa 70 Bauernfamilien in der Region St.Gallen und Thurgau. Wie kommt diese Zusammenarbeit jeweils zustande?
Zu den 70 Bauernfamilien gesellen sich noch etwa 30 weitere Produzenten hinzu. Es sind alles sehr innovative und gut ausgebildete Produzenten und Familienmitglieder, die genau wissen, worum es geht; nämlich hochwertige, pflanzliche Spezialitäten in der Region herzustellen. Wenn wir also Produzenten für eine Anbau suchen, dann haben wir das Netzwerk dazu. Als Bauerngemeinschaft versuchen wir, uns gegenseitig zu unterstützen. Der fachliche Austausch und der persönliche Kontakt unter den Produzenten sind sehr wertvoll und enorm bereichernd. Letztendlich profitieren auch die Konsumenten von dieser engen Zusammenarbeit, denn kein System kontrolliert sich besser und versucht sich zu optimieren als eine eng miteinander verbundene Sozialgemeinschaft.
Sie können auf eine über 100-jährige Geschichte zurückblicken. Wie hat sich Ihre Arbeit seither verändert?
Die St. Gallische Saatzuchtgenossenschaft ist aus der letzten Hungerkrise nach dem Ersten Weltkrieg entstanden. Ursprünglich ging es also darum, für die Landesversorgung genügend und qualitativ gutes Getreidesaatgut und Kartoffelpflanzgut zu produzieren. Im Zweiten Weltkrieg war man dann auch gewappnet und die Bevölkerung musste nie hungern. Vor rund 25 Jahren ging dann nicht mehr viel. Die Genossenschaft stand kurz vor dem Aus. Wir haben dann begonnen, pflanzenbauliche Spezialitäten zu produzieren, wie zum Beispiel «Blaue St.Galler-Kartoffeln» und «Swiss Chia» - beides exklusive Sorten der Genossenschaft -, Grassamen, Saatmais, Braugerste und kaltgepresste Öle. Und der Erfolg in den einzelnen Sparten hat uns immer wieder zu neuen Taten angespornt.
Corona hat das Einkaufs- und Konsumverhalten vieler Leute verändert. Regionalität wurde plötzlich «in», auch die Hofläden konnten profitieren. Wie haben Sie diesen «Umschwung» erlebt?
Aufgrund der Corona-Begleitmassnahmen war auf einmal genügend Zeit zum Kochen da. Die Beschaffung der Lebensmittel und der direkte Umgang damit steigerten den Anspruch an die Wertigkeit und das Vertrauen in ein Lebensmittel. Hier punkten die Regionalität und insbesondere die Hofläden, wo die Bauernfamilie für die Qualität ihrer Produkte bürgt. Und die Produkte erzählen eine Geschichte: Viele Menschen waren während Corona häufiger spazieren und sind so vielleicht an einem unsere Ölfelder vorbeigekommen. Vielleicht haben sie dann auch Öl im angrenzenden Hofladen gekauft. Wenn diese Menschen nun zuhause am Mittagstisch das St. Galler Öl verwenden, dann stellen sie fest, das Produkt ist nicht nur gut und gesund, es erzählt ihnen auch eine Geschichte – in diesem Fall die Geschichte vom Spaziergang entlang des blühenden Ölsamenfeldes, der netten Bäuerin im Hofladen, die ihnen mit freudigem Gesicht die Flasche verkauft hat und stolz weitere Einzelheiten über den Anbau und Herstellung mit auf den Weg gegeben hat. Ein geschmackloses, industrielles Öl, das mit Ölsamen hergestellt wurde, um die ganze Welt geschifft, gekarrt und im Supermarkt gekauft wurde, hat keine Geschichte zu erzählen – in diesem Fall ist es wahrscheinlich auch besser so.
Im Gegenzug müssen auch viele auf ihr Budget achten, der Preis entscheidet oftmals. Wie schaffen Sie es, konkurrenzfähig zu bleiben?
Wir können nur über die Top-Qualität bestehen. Wer Qualität zu schätzen weiss, der gehört zu unseren Kunden. Ein gutes kaltgepresstes Öl kann preislich niemals mit einem industriell hergestellten Öl mithalten. Kommt noch hinzu, dass sich die Schweiz nur zu einem Viertel seines Ölbedarfs selbst versorgen kann. Der Rest wird importiert. Anderseits ist auch wichtig für den Konsumenten zu wissen; qualitativ lassen sich ein kaltgepresstes Öl nicht mit einem industriellen, raffinierten Öl vergleichen. Die meisten Konsumenten kennen den Unterschied leider nicht, weil sie mit raffinierten Ölen aufgewachsen sind und noch gar nie ein feines kaltgepresstes Öl gekostet haben!
Auch wenn es nicht danach aussieht, wird Corona irgendwann vorbei sein. Wie nachhaltig haben sich das Einkaufsverhalten und die Ansichten der Leute gewandelt? Oder anders gefragt: Kann man den Erfolg mitnehmen für die Zeit danach?
Wir sind überzeugt, dass von der Coronapandemie auch positive, nachhaltige Effekte bleiben werden. Ein Effekt ist bestimmt, dass die Menschen die Wertigkeit von Lebensmitteln wieder zu schätzen wissen. Die Haushaltausgaben in der Schweiz liegen bei den Lebensmitteln auf tiefen sechs Prozent. Die Italiener setzen da andere Prioritäten und gönnen sich über das Doppelte. Ich bin der Ansicht: Ein reiches Volk ist arm, wenn es zuerst bei den Lebensmitteln spart.
Gibt es weitere Pläne für die Zukunft, die Sie demnächst anstreben?
Wir wollen vorerst die Geschichte des kaltgepressten St. Galler Öls weiter bekannt machen. Das braucht seine Zeit. Wir sind aber überzeugt: Wer einmal auf den Geschmack gekommen ist, der will nichts mehr anderes.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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