logo

«Think different»

Querdenken ist eine vielschichtige Aufgabe

Fast ein viertel Jahrhundert ist es her, dass Apple mit seinem damaligen iCEO Steve Jobs in einer der legendärsten Werbekampagnen der Welt den Slogan «Think different» zu einem Leitsatz machte.

Jasmine Grabher am 20. Dezember 2020

Ein aktueller Blick in die Unternehmen zeigt jedoch: Noch immer ist mit Konformitätsdenken und Killerphrasen wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ das Gegenteil der Fall. Wo sind die in der gefeierten Kampagne angesprochenen „Rebellen, die Idealisten, die Visionäre, die Querdenker, die, die sich in kein Schema pressen lassen, die, die Dinge anders sehen“ und die die Transformation mit ihrer Genialität erfolgreich vorantreiben? Offensichtlich nicht in den meisten Unternehmen.

Francesca Gino, Professorin an der Harvard Business School, berichtet im Manager Magazin, dass sie in einer Umfrage herausgefunden hat, dass in mehr als der Hälfte der Unternehmen der Status quo nicht infrage gestellt wird. Fast jeder zweite Mitarbeiter sei regelmässig Anpassungsdruck ausgesetzt. In einer anderen ihrer Umfragen gab nicht einmal jeder zehnte Teilnehmer an, dass sein Unternehmen nonkonformes Verhalten unterstütze. Andere Untersuchungen förderten ähnliche Ergebnisse zutage. „Die Daten lassen vermuten, dass Unternehmen ihre Mitarbeiter bewusst oder unbewusst dazu drängen, einen Grossteil ihrer Persönlichkeit am Büroeingang abzugeben“, so Francesca Gino. Autorin und Wirtschaftspsychologin Svenja Hofert bestätigt dieses Bild. Sie konstatiert auf Xing: „Überall scheinen Denkräume kleiner geworden.“ Ein Grund dafür: „Mit Querdenkern zu leben und arbeiten ist anstrengend. Sie lassen einem keine Ruhe. Sie forschen unermüdlich weiter. Sie hören auf ihre Intuition. Und sie lassen sich nicht vereinnahmen.“

Konformität macht dumm

Querdenker stellen den Status quo infrage und verlassen damit die Sicherheitszone des Bekannten, wie Redner und Dozent Karem Albash im WEKA Verlag erläutert. Und das in einer Zeit, in der laut Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften der Begriff „Disruption“ wie „eine grosse Angstschweiss-Wolke“ über allen Vorträgen auf Business-Konferenzen hängt und als Gespenst in Europa umgeht. Deshalb werden Querdenker bekämpft. Illustrativ beschreibt Svenja Hofert, dass Querdenker in geschlossenen Systemen entweder gleichgeschaltet oder „wie Unkraut ausgerupft“ werden.

„Dafür zahlen Mitarbeiter und Unternehmen einen Preis in Form geringeren Engagements, schlechterer Produktivität und mangelnder Innovation“, argumentiert Francesca Gino. Ein Experiment an der ETH Zürich brachte den Beweis: „Konformität macht dumm und hebelt den Effekt der Schwarmintelligenz aus!“, ist auf der Plattform Arbeits-abc erläutert. Dabei sollten Studenten Schätzfragen beantworten. Das Ergebnis: „Diejenigen Probanden, welche erst ihre eigene Schätzung abgaben, schnitten dabei bedeutend besser ab als diejenige Gruppe von Probanden, welche zuerst den Mittelwert der anderen Teilnehmer erfuhr.“

Laterales Denken als Light-Version

Um solchen negativen Effekten entgegenzuwirken, setzt so manches Unternehmen auf Querdenken light. Nach Worten von Svenja Hofert werden Leute gesucht, die Probleme lösen – „aber bitte lokal und begrenzt. Der Querdenker soll sein geniales Gehirn doch bitte kurz verleihen, seinen Widerspruchsgeist aber zu Hause lassen.“

Wer nach Querdenken beziehungsweise lateralem Denken sucht, findet viele Ratschläge, wie sich diese Fähigkeit fördern lässt. Jochen Mai, Gründer und Chefredakteur der Karrierebibel, nennt sieben Tipps, wie Menschen zu Querdenkern werden können: sich mit anderen Menschen umgeben, den eigenen Horizont erweitern, Reibung zulassen, sich gegen Konventionen stellen, Frust als Ansporn nutzen, Blick fürs Detail entwickeln und sich Distanz bewahren. Spezielle Seminare, zum Beispiel der Haufe Akademie, sollen „den Disruptor in Ihnen“ stärken. Darüber hinaus formen manche Entscheider diverse Teams, um verschiedene Ansichten und Stärken zu vereinen. Einige haben auch Techniken wie die des Advocatus Diaboli etabliert, der den Auftrag hat, in Entscheidungsprozessen eine Gegenposition einzunehmen. All dies sind jedoch lediglich punktuelle Massnahmen.

Erst Zerstörung ermöglicht Neuordnung

Mit dem Thema gehen zahlreiche Fragen einher, wie Autorin, Rednerin und Management-Beraterin Anne M. Schüller in ihrem neuen Buch „Querdenker verzweifelt gesucht – Warum die Zukunft der Unternehmen in den Händen unkonventioneller Ideengeber liegt“ beschreibt: „In welcher Art Organisation kann das gelingen? Welche Tools werden dafür gebraucht? Wie kann man sich attraktiv für Querdenker machen? Wo und wie sind Querdenker einsetzbar, um vom Denken auch ins Handeln zu kommen? Was sollte man im Unternehmen tunlichst vermeiden, um die guten Querdenker, die man hat, nicht zu vertreiben? Wie kann ein Querdenker seine Ideen in Szene setzen, sodass sie annehmbar werden? Und von welchen Vorgehensweisen sollte selbst der leidenschaftlichste Querdenker besser die Finger lassen, weil sie nicht funktionieren?“

Daraus ergeben sich komplexe Aufgaben in sämtlichen Bereichen. Im Grunde gilt es, bisherige Muster komplett umzukrempeln – von der persönlichen Einstellung bis hin zum Recruiting. Anderenfalls werden, wie im Beitrag „Karrierewege von gestern sind passé und neue Denkmuster innovativ“ erörtert ist, Menschen mit Brüchen im Lebenslauf aussortiert, Quereinsteiger erhalten kaum eine Chance. Denn oft „bringen Personaler und Entscheider häufige Jobwechsel per se mit mangelnder Loyalität, geringer Teamfähigkeit sowie Inkompetenz oder Sprunghaftigkeit in Verbindung“. Erst das Aufbrechen solcher Denkmuster kann den erforderlichen Freiraum zur Entfaltung der positiven Potenziale schaffen. Es ist nach dem Konzept der schöpferischen Zerstörung gewissermassen notwendig, damit eine Neuordnung stattfinden kann.

In einigen Unternehmen findet diese auch statt – radikal. Ryanair, FlixBus, Uber, Airbnb sind prominente Beispiele für die gesuchten ungewöhnlichen, bisher nie dagewesenen Ideen und Strategien, die erfolgreiche und durchorganisierte Geschäftsmodelle von heute auf morgen revolutionieren. Querdenker sind nicht aufzuhalten. Oder wie es im Gedicht der Apple-Kampagne heisst: „Denn die, die verrückt genug sind zu denken, sie könnten die Welt verändern, sind die, die es tun.“

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Autor/in
Jasmine Grabher

Jasmine Graber ist Senior Management Consultant bei Nellen & Partner in Zürich.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.