Zigaretten made in der Ostschweiz: Roger Koch hat das mit «Heimat» möglich gemacht. Und mit der Einführung einer Tabakzigarre hat das Unternehmen aus Steinach internationale Schlagzeilen gemacht. Ein Gespräch zwischen Rauchschwaden.
Bei diesem Text handelt es sich um einen Beitrag aus dem Print-Magazin von «Die Ostschweiz». Es kann via abo@dieostschweiz.ch bestellt werden.
Roger Koch, ich schlage vor, wir duzen uns. Man kann nicht gemeinsam rauchen und sich siezen.
Kein Problem.
Gut. Wir haben hier eine ganze Auslage an «Heimat»-Produkten. Zu was soll ich greifen?
Kommt drauf an, welcher Typ du bist. Rauchst du gerne oder ist Tabak nicht so deins?
Ich bin Nichtraucher. Höchstens mal eine Zigarre.
Ok. Versuch einfach mal was. Du kannst dich da auch durchrauchen, von jeder drei Züge und weg damit.
Nein, wenn schon, dann richtig. Ich nehme die mit 100 Prozent Hanf. Mit welcher Wirkung muss ich rechnen?
Das ist schwer vorherzusagen. Ziemlich sicher fährst du damit runter, also nicht mit deinem Leben, einfach psychisch.
Dann haben wir danach ein langweiliges Gespräch?
Nein. Ein entspanntes.
Gut, Feuer bitte, danke. - Bleiben wir bei den Hanfzigaretten. Die Idee war gut. Ihr seid international in die Schlagzeilen gekommen. Das wolltet ihr, richtig? Reines Marketing.
Der Hanf war gar nicht auf dem Plan am Anfang. Mir ging es ursprünglich darum, etwas mit Schweizer Tabak zu machen. Ich finde dieses Kraut einfach faszinierend, und das, seit ich zwölf war. Ich wollte schon damals Tabakhändler werden.
Mit zwölf? Ernsthaft? In dem Alter liegt die Faszination doch eher darin, hinterm Haus heimlich eine zu qualmen.
Das war es bei mir nicht. Keine Ahnung, was es genau war. Klar, Rebellion gehört dazu. Aber ich fand Tabak einfach … Verzeihung, geil. Weil es etwas Exotisches ist. Die romantischen Geschichten der Tabaktransporte über den Atlantik. Das hat bei mir etwas ausgelöst.
Damals hat dich die ganze unromantische Seite daran vermutlich nicht gestört: Suchtmittel, ungesund… Später wenigstens?
Natürlich habe ich diese Dinge später auch reflektiert. Aber ich habe den Tabak einfach in meiner DNA. Meine Mutter war eine starke Raucherin. Mein Vater war Politiker, und wir hatten viele Gäste zuhause. Ich habe beobachtet, wie diese Leute ernsthaft und äusserst gesellig miteinander diskutierten und dabei rauchten. Ich habe da als Kind eine Verbindung hergestellt.
Eine Verbindung zwischen Rauchen und Geselligkeit, Gemeinsamkeit und… Macht vielleicht?
Nein, Macht war es nicht. Ich habe einfach gespürt: Da geht es um etwas Wichtiges. Und das immer zusammen mit dem Rauchen. Auch Humor war dabei. Mir hat sich einfach dieses Bild eingeprägt von der Stube, dem Raclette-Ofen und um diesen herum alle diese Raucher. Wenn es um etwas ging, wurde geraucht.
Das stirbt ja jetzt gerade. Man darf ja kaum mehr irgendwo rauchen.
Ich denke, es stirbt in der Breite. Aber nicht in der Tiefe. Das gibt es immer noch. Man trifft sich mit Kollegen, sucht eine gute Raucherlounge und geht dorthin. Gute Gespräche, der Moment, in dem es wirklich spannend wird – das ist bei mir mit Rauchen verbunden. Kann auch eine Zigarre sein oder eine Pfeife. Und natürlich mit Alkohol.
Es ist ja nicht nur die Verbotspolitik, es gibt auch den freiwilligen Rückzug. Die heutige Jugend raucht und trinkt nicht, weil sie am nächsten Tag ins Fitness muss und die Haut schlecht werden könnte.
Ja. Und das macht mir Sorgen. Unabhängig vom Rauchen. Wenn sich die ganze Gesellschaft nur noch auf ihre Gesundheit konzentriert, heisst das auch, dass sie weniger Risiken eingeht. Und Risiken sind es letztlich, die das Unternehmertum ausmachen. Das Risiko ist das Biotop des Unternehmers. Du machst etwas, ohne genau zu wissen, was und wie. Wir generieren hier eine Mentalität, die das alles vermeidet, ich will nicht wissen, wo das hinführt. Heute sprechen wir dauernd von Balance. Das heisst nichts anderes als die Mitte. Durchschnitt. Aber wir sollten die ganze Bandbreite spielen, mal voll Risiko, mal zurückhaltend. Es gibt bei uns kaum mehr einen Ausschlag nach oben und unten.
Klingt langweilig, zugegeben. Aber eben auch gesund.
Weisst du, wenn wir nur noch unsere Blutwerte und unser Ich im Sinn haben, dann verlieren wir das Interesse an der Welt und auch an den anderen. Das ist die wenig diskutierte Kehrseite des Gesundheitstrends. Haben wir noch mehr vor als bloss die Selbstoptimierung? Ich hoffe es. Wir messen die Menschen heute daran, ob sie gesund leben, statt daran, ob sie etwas wagen, etwas tun. Denk an Churchill: Täglich eine Flasche Champager und eine Flasche Whisky. Der Mann war ein Genie. Der hat die Welt verändert. Heute würden wir zuerst an ihm herummäkeln, weil er ein selbstzerstörerischer Suchtmensch war. Aber er hatte die Welt im Sinn, nicht seinen Bodymassindex. Wir sollten die Gesundheit nicht zum Massstab nehmen. Gesundheit ist nicht das Wichtigste. Aber ohne sie ists natürlich mühsam, ich weiss, ich weiss. Es ist wie beim Autofahren: Was das Benzin für die Karre, ist die Gesundheit für den Menschen. Eine Notwendigkeit. Aber nicht der Sinn oder das Ziel.
Gut, also, Rauchen und Trinken als Patentlösung. Aber warum genau, was tut das eigentlich für uns?
Jeder Mensch braucht ein Ventil. Wenn man den Leuten alle Ventile wegnimmt, und das ist ja der Punkt der Prävention, ist das schlecht. Es gibt Statistiken, die zeigen: Mit dem Rückgang der Suchtmittel nimmt die Zahl der psychischen Erkrankungen im gleichen Masse zu. Der Mensch ist ein Suchtwesen. Sucht ist die Kehrseite der Sehnsucht. Und ich misstraue dem Sehnsuchtspotenzial der Gesundheitsfraktion. Die haben nicht mehr viel mehr im Sinn als sich selbst. Klar, man muss den richtigen Umgang mit der Sucht finden. Aber wenn man den Leuten die Suchtmittel wegnimmt, knallt es einfach an einem anderen Ort. Drück den Ball unters Wasser – er kommt woanders wieder rauf. Aber eigentlich geht es viel weiter. Es geht um das Staatsverständnis. Was will der Staat am Ende? Will er seine Bürger bevormunden oder soll möglichst viel Freiheit herrschen? Wir werden nicht durch Schonung mündig, sondern durch Konfrontation.
Dann ist die Tatsache, dass du Zigaretten herstellst, quasi ein Akt des Widerstands?
Auch, ja, das stimmt. Mir ist es zum einen um das klassische David-gegen-Goliath gegangen. Komm, wir zeigen es der ganzen Welt! Zweitens: Ich rauche einfach gerne. Und das Dritte ist ein politisches Statement. Wenn wir alle Risiken dauernd vermeiden, zerstören wir das Biotop des Unternehmers. Wir sind ja schon fast so weit. Mir fällt auf, dass man sich mittlerweile in jedem Gespräch für seine Risikofreudigkeit entschuldigen muss. In jedem Bereich. Höhere Krankenkassenprämien für Raucher? Gut. Aber wie weiter? Machen wir das auch mit Fallschirmspringern oder Extremsportlern? Wo hören wir auf? Die Krankenkasse ist ein solidarischer Topf. Mit dem Gesundheitsfuror zerstören wir die viel beschworene Solidarität.
Die Welt ist ja ziemlich zyklisch, was solche Entwicklungen angeht. Dieser Gesundheitswahn, die Angst vor Risiken: Dreht sich das irgendwann wieder?
Ich glaube nicht, nein. Der Gesundheitswahn ist unaufhaltbar. Irgendwann hängen wir von Anfang an an einer Maschine, damit wir möglichst lange leben. Und wer das nicht will, landet in Ghettos.
Aber noch vorher wird einiges einfach verboten. Beispielsweise das Rauchen.
Verboten vielleicht nicht. Aber einfach so sehr eingeengt und teuer gemacht, damit es schwieriger wird für jeden, der rauchen oder generell Suchtmittel konsumieren will. Der nächste beziehungsweise parallele Schritt ist dann der Schwarzmarkt. Und damit auch die Ghettoisierung, die ich erwähnt habe. Die Welt der Raucher wird nicht verschwinden, aber an den Rand gedrängt. Wer die Sucht verbannt, verbannt auch die Menschen, die ihr nachgehen. Und das sind Menschen, die eine Gesellschaft ebenfalls braucht. Weil sie riskanter, unbequemer sind.
Gut, dann stellen wir fest: Suchtmittel gehören zu uns. Das Rauchen auch. Bleibt die Frage: Warum brauchen wir ausgerechnet Zigaretten aus der Schweiz?
Ich habe damals beobachtet: Wir haben Tabak in der Schweiz, aber er wird nicht genutzt. Warum macht niemand etwas damit? Natürlich ist es mittlerweile auch ein ökologischer Ansatz, weil die Transportwege kürzer sind, wir mit unseren Zigaretten den kleinsten Fussabdruck haben und so weiter, aber lange davor war es für mich ein patriotischer Akt. Wenn wir hier Tabak haben, müssen wir doch nichts importieren. Denk an Wein: Vor nicht allzu langer Zeit hatte Schweizer Wein einen desolaten Ruf, und heute stehen wir ganz anders da. Wir müssen das Potenzial vor der Haustür wieder sehen. Sehen lernen.
Das aktuelle grosse Ding der Zigarettenindustrie sind die E-Zigaretten mit verschiedenen Technologien. Hat das noch was mit Rauchen zu tun?
Nein. Rauchen muss stinken. Rauchen hat etwas Archaisches. Das Feuer, die Geselligkeit. Die E-Zigarette ist der Versuch, das Rauchen an den Gesundheitstrend zu adaptieren, das hat mit den Ursprüngen nichts mehr zu tun. Es ist nicht mehr verrucht. Es ist so eine Art: Hey, ich will rauchen, aber bitte gesund. Vielleicht ist es weniger schädlich, keine Ahnung, wir haben keine Langzeitstudien. Übrigens hat es nichts mit natürlichem Genuss zu tun, es ist ja, je nach Methode, viel Chemie nötig, damit es funktioniert. Für mich stimmt das nicht. Das wäre übrigens mein Ziel: Ein Demeter-Tabak, völlig natürlich, nicht gespritzt, ganz unbehandelt.
Vielleicht hatte ich zu viel Hanf, aber du klingst gerade wie ein Grüner.
Nein, aber… Sagen wir es so: Es ist ein verdammter Unterschied, ob du eine Zigarettenfirma einfach als Manager führst oder als Raucher. Du setzt ganz andere Prioritäten. In unsere Zigaretten kommt nur das rein, was ich auch selber rauchen will. Mich stört es, dass die Schweizer Tabakbauern auch spritzen. Denn ich lasse mir dieses Zeug dann ja rein. Ich möchte unbehandelten Tabak – doch das ist ein schwieriges und langwieriges Unterfangen. Aber schwierig ist zum Glück nicht dasselbe wie unmöglich. Zurück zu unserem Produkt: Ich denke, wir gewinnen viele Kunden im Lager der Leute, die ein Bewusstsein dafür haben, was sie konsumieren.
Die Grossen der Branche, die Weltgiganten, nehmen die den Hersteller aus Steinach eigentlich ernst?
Wir sind für sie vernachlässigbar, wirtschaftlich gesehen. Aber wir nützen ihnen ein bisschen. Wir machen das Rauchen salonfähiger, sind rebellisch, tun Dinge, die sie selbst nicht tun dürfen. Deshalb finden sie es wahrscheinlich gar nicht so schlecht, dass es uns gibt. Wir sind wohl etwas exotisch: Wir geniessen Sympathien da draussen, obwohl wir Zigaretten machen. Zigarettenkonzerne sind selten besonders beliebt. Es hat vielleicht auch mit unserem Auftritt zu tun. Wir versuchen, da Charme und Humor reinzubringen, eine Leichtigkeit.
Wie geht es jetzt weiter? Hanf hat eingeschlagen. Muss jetzt der nächste grosse Schuss kommen?
Ja, das will ich, ist aber nicht ganz so einfach. Was wir mit der Tabak-Hanf-Zigarette geschafft haben, war eine Sensation – und die sind selten. Ich kann dir aber heute noch nicht sagen, wohin es geht. Eine Idee ist eine Kräuterzigarette. Da suchen wir noch nach dem richtigen Zugang. Im Zigarrenbereich liegt sicher Potenzial. Dazu muss man aber den richtigen Tabak finden. Denn auch hier würde ich gerne sagen: Wir brauchen weder Kuba noch die Dominikanische Republik, wir können das selber, hier in der Schweiz, mit Schweizer Tabak. Ich meine das nicht nationalistisch oder so. Es geht mehr darum, die eigenen Ressourcen zu nutzen. Wir haben hier viele gute Leute, wir haben Ideen. Wieso muss alles aus dem Silicon Valley kommen? Warum nicht aus dem Rhine Valley? Potenziale wiederentdecken. Das müssen wir kultivieren in der Schweiz. Das ist meine Mission.
Zum Unternehmen
Die Zigarettenmarke «Heimat» wurde 2016 vom Tabakunternehmen Koch & Gsell AG in Steinach lanciert. Die Produkte bestehen zu 100 Prozent aus Schweizer Tabak. 2017 kam eine mit Hanf versetzte Zigarette auf den Markt – die weltweit erste ihrer Art –, später folgte die reine Hanfzigarette, die derzeit andere Länder erobert. Nach zwischenzeitlichen wirtschaftlichen Problemen steht die Koch & Gsell AG derzeit in Gesprächen mit neuen Investoren.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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