Renato Kaiser. (Bild Aissa Tripodi)
Für Komiker Renato Kaiser ist es nicht ungewohnt, von zuhause aus zu arbeiten. Und weil er die Live-Auftritte und den direkten Kontakt zum Publikum doch etwas vermisst, kann man nun «E-Mails of Love» mit ihm austauschen: Ein metaphorisches Aufeinanderzugehen in kontaktfreien Zeiten.
In der Serie «Corona und ich» befragen wir Prominente aus der Ostschweiz über ihren Umgang mit dem Corona-Virus und wie stark sie von den Massnahmen dagegen tangiert sind.
Renato Kaiser, inwiefern sind Sie vom Corona-Virus betroffen? Wie viele Shows oder Anlässe mussten Sie absagen beziehungsweise verschieben?
Ehrlich gesagt, ist das recht schwierig zu sagen. Ich habe da ein bisschen den Überblick verloren. Aber sagen wir es mal so: Da ich mein aktuelles Programm Ende Mai abspiele, bin ich nicht ganz so fest betroffen wie andere. Ich habe ab April die Auftritte ein bisschen reduziert, um mehr Zeit für die Arbeit an meinem neuen Programm zu haben, das am 30. September Premiere im Casinotheater Winterthur hat (hoffentlich). Trotzdem sind mir natürlich die Gagen durch die Lappen gegangen, die mich über den Monat gebracht hätten.
Ist diese Situation für Sie existenzbedrohend? Erwägen Sie staatliche Hilfe in Anspruch zu nehmen (Kurzarbeit)?
Da meine «Schwäche» immer war, dass ich zu viel arbeite und zu wenig Ferien mache, habe ich jetzt glücklicherweise ein bisschen was auf der Seite. Ausserdem ist mein Lebensstil, soweit ich das beurteilen kann, verhältnismässig bescheiden. Ich hatte vor lauter Arbeit keine Zeit, um Geld auszugeben. Und jetzt habe ich viel Zeit und das Geld geht von ganz alleine. Spass bei Seite: Je länger die Situation so bleibt, desto mehr bedroht sie meine Existenz, klar. Deswegen beantrage ich auf jeden Fall die Erwerbsersatzentschädigung (für die ausgefallenen Auftritte) beim Kanton Bern. Dort ist jedoch seit Tagen der Server überlastet. So wie wir alle, Server sind schlussendlich auch nur Menschen. Oder Menschen sind Server. Oder eben Survivor.
Verfügen Sie nun über mehr Freizeit und wie gestalten Sie diese?
Das dachte ich auch kurz. Aber falsch gedacht! Ich laufe in dieser Situation sogar Gefahr, zu viel zu arbeiten. Das ist ja der grosse Unterschied von uns zu den meisten anderen in dieser Situation. Viele sitzen jetzt ja zu Hause und müssen sich überlegen, was sie mit der ganzen Zeit so anfangen. Dieses Problem haben wir Kulturschaffenden nicht. Einerseits müssen wir herumorganisieren und schauen, dass unser ganzes System (Veranstaltungsorte, Veranstalter*innen, Agenturen, etc.) nicht zusammenbricht und andererseits haben wir ja immer schon einfach so zu Hause gearbeitet. Das ist ja das Lustige daran: Viele Leute sitzen jetzt zu Hause rum, haben frei und führen das Leben, das sie - vom Klischee her - uns Kulturschaffenden zuschreiben.
Renato Kaiser. (Bild Aissa Tripodi)
Wie mussten Sie Ihren Tagesablauf umgestalten? Verschieben Sie nun Aktivitäten ins Netz, zum Beispiel in die sozialen Medien?
Mein Tagesablauf wurde nur insofern umgestaltet, als dass ich nicht mehr unterwegs bin. Ansonsten ist vieles noch gleich, da ich schon vorher sehr aktiv im Netz war. Natürlich bietet es sich jetzt an, per Livestream seine Kunst zu verbreiten (und vielleicht auch Geld dafür zu bekommen), aber ich finde, da muss man vorsichtig sein. Erstens funktioniert nicht alles, was live passiert, auch im Netz. Dementsprechend lohnt es sich, neue Formate zu probieren (die aus der jetzigen Situation einen Mehrwert generieren). Zweitens muss man aufpassen, dass man in der Zeit nicht plötzlich noch mehr arbeitet für noch weniger Geld. Schliesslich zeigt die Situation ja gerade sehr deutlich, wie wichtig öffentliche Gelder für eine breite und vielfältige Kultur sind. Darauf darf man gerne hinweisen, bevor man gratis Lesungen ins Netz ballert. Und drittens: Die Menschen rufen uns jetzt entgegen: "Ja! Macht Livestream-Lesungen! Wir geben Euch auch Geld dafür!" Und das ist sehr schön und freut uns. Aber lasst uns doch auch noch kurz ein bisschen durchschnaufen. Teilweise wird ein bisschen vergessen, dass auch die Kunstschaffenden ganz persönlich und privat mit dieser ungewöhnlichen, bedrückenden, teils bedrohlichen Situation umgehen müssen. Sobald das aber geschafft ist, bin ich schon der Meinung, dass wir aktiv sein sollten. Zurzeit bringen ja alle das ein, was sie am besten können: Die Mechanikerinnen sind für die Reparaturen zuständig, die Pöstlerinnen für die Post, das Pflegepersonal und die Ärzt*innen für die Gesundheit und wir Kulturschaffenden sind zuständig für die Unterhaltung. Und das machen wir gerne, wir machen es aus Liebe, für den Applaus, aber schon auch fürs Geld.
Was vermissen Sie zurzeit am meisten und was überhaupt nicht?
Ich vermisse die Live-Auftritte und damit auch den direkten Kontakt zum Publikum. Als Kompensation habe ich darum mein Projekt «E-Mail of Love» ins Leben gerufen, in dem die Leute mir mailen können und ich antworte. Je nach dem lese ich die Mails dann auch als Video vor (natürlich nur nach Absprache) - und das hilft tatsächlich ein bisschen. Gerade in dieser Zeit des Abstandnehmens muss man auch einen Schritt aufeinanderzugehen, zumindest metaphorisch. Mit der Isolation können nicht alle gleich gut umgehen. Manche sind zurzeit im wahrsten Sinne des Wortes single und nicht alle haben eine tolle und gewaltfreie Familie. Auch das gilt es zu beachten.
Und was vermissen Sie überhaupt nicht?
Die vollen Pendlerzüge. Die sind ja oft - auch ganz ohne Corona - schwer auszuhalten.
Ihr persönlicher Tipp gegen Stubenkoller?
Ja rausgehen. Was für ein Tipp! Aber es ist so. Gerade in diesen Zeiten der Enge und Einsamkeit ist es gesund für die Psyche, mindestens einmal im Tag den Kopf durchzulüften. Wir dürfen ja immer noch raus an die frische Luft, solange wir uns nicht zehnt im Park zusammenrotten und an der gleichen Prosecco-Flasche rumlutschen wie lebensmüde Covidioten. Abgesehen davon: Bücher lesen. Am besten lustige. Zum Beispiel "Was sollen die Leute denken" von Jess Jochimsen. Ich verspreche Ihnen, nach der Lektüre geht es Ihnen direkt ein Stück besser.
Renato Kaiser. (Bild Aissa Tripodi)
Renato Kaiser wurde am 20. November 1985 in Goldach SG geboren. Er ist Schweizer Slam-Poet, Kabarettist, Stand-up-Comedian und Moderator. 2019 war Kaiser Teil der Late-Night-Sendung Late Update mit Michael Elsener und 2020 wurde er mit dem Salzburger Stier (Schweiz) ausgezeichnet.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.