Solange 10 Franken auf der Zehnernote steht, behält sie ihren Wert. Oder nicht? Leider nicht. Das ist eben das Teuflische an der Teuerung. Sie kommt auf leisen Sohlen und fletscht plötzlich die Zähne.
Im Juli lag die Inflationsrate bei 3,4 Prozent. In der Schweiz. Das ist eine sehr gute Nachricht. Warum? In der Eurozone liegt sie bei 8,9 Prozent. Im Schnitt. In den baltischen Staaten wird bereits an der 20-Prozent-Marke gekratzt.
Das ist dramatisch. Das bedeutet, dass auf einem Zehn-Euro-Schein immer noch eine Zehn draufsteht. Nur beträgt seine Kaufkraft im Vergleich zum Vorjahr noch 8 Euro. Geht das so weiter, sind’s dann mal 6. Dann 4, dann 2. Aber hallo.
Und das ist nur die sogenannte offizielle Inflation, die nach einem unvollständigen Warenkorb gemessen wird. Deshalb spricht man daneben auch von der gefühlten Inflation. Das ist die Teuerung, die der Lebenswirklichkeit des normalen Konsumenten entspricht.
Diese gefühlte Inflation liegt in Deutschland bei satten 18 Prozent. Mehr als das Doppelte der offiziellen Inflationsrate. Ist das schlimm? Das ist schlimm. Das hat dramatische Auswirkungen für Sparer, Gläubiger und Anwärter auf Sozialleistungen wie Renten. Die alle sind gekniffen, wenn es eine deutliche Inflation gibt.
Jubilieren können hingegen Schuldner. Die dürfen zuschauen, wie ihre Schuld wegschmilzt; vor einem Jahr in Deutschland aufgenommene 10'000 Euro entsprechen heutzutage nurmehr einem Kaufkraftwert von 8200.
Aber gut, das ist Deutschland. Uns in der Schweiz geht’s doch im Vergleich super. Falsch. Zunächst einmal schlägt diese ausländische Teuerung auch auf die Importpreise durch. Und es gibt Sonderfaktoren. Erdölprodukte kosten 43 Prozent mehr als im Vorjahr, Heizöl gar 76 Prozent, Benzin 31 Prozent. Ukrainekrieg.
Natürlich gibt es auch in der Schweiz eine gefühlte Inflation, die ungefähr beim Doppelten der offiziellen Zahl liegt. Ist das schlimm? Das ist erst der Anfang von schlimm ...
Inflation entsteht nach Lehrbuch, wenn ein gleichbleibendes Angebot von Produkten und Dienstleistungen mehr Geld gegenübersteht. Mehr Geld wird von den Notenbanken geschöpft, in der Schweiz von der SNB. Nun haben diese Nationalbanken seit der Finanzkrise eins, also seit 2008, Neugeld im Multimilliardenpack hergestellt. Aber es gab keine Inflation. Viele Jahre lang.
Wieso denn nun auf einmal? Die weiteren Multimilliarden, die hergestellt wurden, um die Auswirkungen der Corona-Bekämpfung abzufedern, haben offensichtlich das Fass zum Überlaufen gebracht.
Nun könnte man sagen: ist ja nicht das erste Mal, dass die Inflation die allgemein als zuträglich bezeichnete Schwelle von 2 Prozent überschreitet. Dann bekämpfen wir sie halt mit den üblichen Massnahmen, und gut ist wieder.
Da gibt es nur ein klitzekleines Problem: die üblichen Massnahmen funktionieren nicht. Massnahme eins ist eine Geldverknappung. Weniger Geld, weniger Nachfrage, sinkende oder zumindest nicht steigende Preise. Geldverknappung würde bedeuten, von den Notenbanken gewährte Kredite zurückzuverlangen und das Geld zu vernichten. Aber kein Staat der Welt wäre in der Lage, auch nur einen bedeutenden Prozentsatz seiner Schuldentürme abzutragen.
Die zweite Massnahme ist die Heraufsetzung des Leitzinses. Der wird von der Notenbank festgelegt und bestimmt das allgemeine Zinsniveau. Vor Kurzem lag der noch bei 0 oder sogar im Negativen. Der Gläubiger musste Geld dafür zahlen, es bei Schuldnern loszuwerden. Nun wird der Leitzins fast überall in kräftigen Schritten angehoben. Nach der Devise: wenn Kredite teurer werden, werden sie weniger nachgefragt, weniger Geld wird ausgegeben, ebenfalls sinkende oder zumindest stabile Preise.
Aber auch das geht nicht. Nur schon die Anhebung der Leitzinsen auf 2,5 Prozent hat allgemeines Heulen und Zähneklappern ausgelöst. Denn wie sollen bis über beide Ohren verschuldete Staaten bei einer Refinanzierung solche Zinsen bezahlen, nachdem sie sich doch daran gewöhnt haben, 0 oder 0,5 Prozent Zinsen zahlen zu müssen?
Eigentlich müsste zum Beispiel die EZB, die Europäische Zentralbank, den Leitzins auf 10 Prozent anheben. Damit wäre die Inflation innert kürzester Zeit gebändigt. Oder die SNB sollte den Leitzins auf 3, besser 4 Prozent anheben. Gleicher Effekt.
Allerdings hätte das den Nebeneffekt, dass die Euroländer vor dem Konkursamt Schlange stehen würden. In der Schweiz würde es einen bedeutenden Prozentsatz der Immobilienbesitzer lupfen. Das würde durch Zwangsverkäufe und damit einbrechendem Marktwert zu einer Kettenreaktion führen.
Geht also auch nicht. Was tun? Eine Inflationsrate, die zweistellig wird oder schon ist, ist brandgefährlich. Das sanfte Monster Inflation kann sich in ein zähnefletschendes Ungeheuer verwandeln und ins Galoppieren geraten. Dann ist eine völlige Geldentwerten nicht mehr weit, dann werden Geldscheine nicht mehr gezählt, sondern gewogen. Dann kommt eine Währungsreform.
Die gute Nachricht: dann sind die Schulden weg. Die schlechte: die Guthaben, die Spargroschen, die Rentenanwartschaften auch.
Das kann eine Gesellschaft, selbst eine so friedliche und stabile wie die Schweizer, ohne weiteres zerreissen. Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, bürgerkriegsähnliche Zustände.
Das wollen wir natürlich alle nicht. Also was tun? Zusätzlich beängstigend ist, dass die gleichen Politiker und «Experten», die diese Schuldenmacherei und Geldschwemme als harmlos, problemlos, beherrschbar, alternativlos beschwatzt haben, immer noch an der Macht sind. Dass sie verantwortungslos nicht wissen, was sie tun, ist erwiesen. Was werden sie also nun tun?
Haben sie den Mut für drastische Massnahmen? Für eine Medizin, die fürchterliche Auswirkungen hat, aber noch Fürchterlicheres verhindern kann? Nämlich die Anwendung der einzigen bekannten Mittel. Geldverknappung und massive Anhebung des Leitzinses.
Traut sich das jemand? Grund für allzu viel Optimismus ist nicht vorhanden.
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