logo

Zeyer zur Zeit

Sanftes Monster Inflation

Solange 10 Franken auf der Zehnernote steht, behält sie ihren Wert. Oder nicht? Leider nicht. Das ist eben das Teuflische an der Teuerung. Sie kommt auf leisen Sohlen und fletscht plötzlich die Zähne.

«Die Ostschweiz» Archiv am 06. August 2022

Im Juli lag die Inflationsrate bei 3,4 Prozent. In der Schweiz. Das ist eine sehr gute Nachricht. Warum? In der Eurozone liegt sie bei 8,9 Prozent. Im Schnitt. In den baltischen Staaten wird bereits an der 20-Prozent-Marke gekratzt.

Das ist dramatisch. Das bedeutet, dass auf einem Zehn-Euro-Schein immer noch eine Zehn draufsteht. Nur beträgt seine Kaufkraft im Vergleich zum Vorjahr noch 8 Euro. Geht das so weiter, sind’s dann mal 6. Dann 4, dann 2. Aber hallo.

Und das ist nur die sogenannte offizielle Inflation, die nach einem unvollständigen Warenkorb gemessen wird. Deshalb spricht man daneben auch von der gefühlten Inflation. Das ist die Teuerung, die der Lebenswirklichkeit des normalen Konsumenten entspricht.

Diese gefühlte Inflation liegt in Deutschland bei satten 18 Prozent. Mehr als das Doppelte der offiziellen Inflationsrate. Ist das schlimm? Das ist schlimm. Das hat dramatische Auswirkungen für Sparer, Gläubiger und Anwärter auf Sozialleistungen wie Renten. Die alle sind gekniffen, wenn es eine deutliche Inflation gibt.

Jubilieren können hingegen Schuldner. Die dürfen zuschauen, wie ihre Schuld wegschmilzt; vor einem Jahr in Deutschland aufgenommene 10'000 Euro entsprechen heutzutage nurmehr einem Kaufkraftwert von 8200.

Aber gut, das ist Deutschland. Uns in der Schweiz geht’s doch im Vergleich super. Falsch. Zunächst einmal schlägt diese ausländische Teuerung auch auf die Importpreise durch. Und es gibt Sonderfaktoren. Erdölprodukte kosten 43 Prozent mehr als im Vorjahr, Heizöl gar 76 Prozent, Benzin 31 Prozent. Ukrainekrieg.

Natürlich gibt es auch in der Schweiz eine gefühlte Inflation, die ungefähr beim Doppelten der offiziellen Zahl liegt. Ist das schlimm? Das ist erst der Anfang von schlimm ...

Inflation entsteht nach Lehrbuch, wenn ein gleichbleibendes Angebot von Produkten und Dienstleistungen mehr Geld gegenübersteht. Mehr Geld wird von den Notenbanken geschöpft, in der Schweiz von der SNB. Nun haben diese Nationalbanken seit der Finanzkrise eins, also seit 2008, Neugeld im Multimilliardenpack hergestellt. Aber es gab keine Inflation. Viele Jahre lang.

Wieso denn nun auf einmal? Die weiteren Multimilliarden, die hergestellt wurden, um die Auswirkungen der Corona-Bekämpfung abzufedern, haben offensichtlich das Fass zum Überlaufen gebracht.

Nun könnte man sagen: ist ja nicht das erste Mal, dass die Inflation die allgemein als zuträglich bezeichnete Schwelle von 2 Prozent überschreitet. Dann bekämpfen wir sie halt mit den üblichen Massnahmen, und gut ist wieder.

Da gibt es nur ein klitzekleines Problem: die üblichen Massnahmen funktionieren nicht. Massnahme eins ist eine Geldverknappung. Weniger Geld, weniger Nachfrage, sinkende oder zumindest nicht steigende Preise. Geldverknappung würde bedeuten, von den Notenbanken gewährte Kredite zurückzuverlangen und das Geld zu vernichten. Aber kein Staat der Welt wäre in der Lage, auch nur einen bedeutenden Prozentsatz seiner Schuldentürme abzutragen.

Die zweite Massnahme ist die Heraufsetzung des Leitzinses. Der wird von der Notenbank festgelegt und bestimmt das allgemeine Zinsniveau. Vor Kurzem lag der noch bei 0 oder sogar im Negativen. Der Gläubiger musste Geld dafür zahlen, es bei Schuldnern loszuwerden. Nun wird der Leitzins fast überall in kräftigen Schritten angehoben. Nach der Devise: wenn Kredite teurer werden, werden sie weniger nachgefragt, weniger Geld wird ausgegeben, ebenfalls sinkende oder zumindest stabile Preise.

Aber auch das geht nicht. Nur schon die Anhebung der Leitzinsen auf 2,5 Prozent hat allgemeines Heulen und Zähneklappern ausgelöst. Denn wie sollen bis über beide Ohren verschuldete Staaten bei einer Refinanzierung solche Zinsen bezahlen, nachdem sie sich doch daran gewöhnt haben, 0 oder 0,5 Prozent Zinsen zahlen zu müssen?

Eigentlich müsste zum Beispiel die EZB, die Europäische Zentralbank, den Leitzins auf 10 Prozent anheben. Damit wäre die Inflation innert kürzester Zeit gebändigt. Oder die SNB sollte den Leitzins auf 3, besser 4 Prozent anheben. Gleicher Effekt.

Allerdings hätte das den Nebeneffekt, dass die Euroländer vor dem Konkursamt Schlange stehen würden. In der Schweiz würde es einen bedeutenden Prozentsatz der Immobilienbesitzer lupfen. Das würde durch Zwangsverkäufe und damit einbrechendem Marktwert zu einer Kettenreaktion führen.

Geht also auch nicht. Was tun? Eine Inflationsrate, die zweistellig wird oder schon ist, ist brandgefährlich. Das sanfte Monster Inflation kann sich in ein zähnefletschendes Ungeheuer verwandeln und ins Galoppieren geraten. Dann ist eine völlige Geldentwerten nicht mehr weit, dann werden Geldscheine nicht mehr gezählt, sondern gewogen. Dann kommt eine Währungsreform.

Die gute Nachricht: dann sind die Schulden weg. Die schlechte: die Guthaben, die Spargroschen, die Rentenanwartschaften auch.

Das kann eine Gesellschaft, selbst eine so friedliche und stabile wie die Schweizer, ohne weiteres zerreissen. Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung, bürgerkriegsähnliche Zustände.

Das wollen wir natürlich alle nicht. Also was tun? Zusätzlich beängstigend ist, dass die gleichen Politiker und «Experten», die diese Schuldenmacherei und Geldschwemme als harmlos, problemlos, beherrschbar, alternativlos beschwatzt haben, immer noch an der Macht sind. Dass sie verantwortungslos nicht wissen, was sie tun, ist erwiesen. Was werden sie also nun tun?

Haben sie den Mut für drastische Massnahmen? Für eine Medizin, die fürchterliche Auswirkungen hat, aber noch Fürchterlicheres verhindern kann? Nämlich die Anwendung der einzigen bekannten Mittel. Geldverknappung und massive Anhebung des Leitzinses.

Traut sich das jemand? Grund für allzu viel Optimismus ist nicht vorhanden.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
«Die Ostschweiz» Archiv

«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.