Marc Walder ist der Wurmfortsatz des Journalismus. Hauptamtlich CEO der Ringier AG. Sein E-Mail-Verkehr mit dem Departement Berset enthüllt unterwürfige Nähe statt kritische Distanz.
Auf seiner Haben-Seite kann er verbuchen, dass er massgeblich Anteil an der Digitalisierung des Konzerns hatte.
Auf der anderen Seite hatte er es mit seiner selten ungeschickten Performance geschafft, dem Referendum gegen die staatliche Subventions-Milliarde für reiche Medienclans an der Urne zur Mehrheit zu verhelfen. Geschickt platzierte der Journalist und Mitarbeiter des Referendumskomitees Philipp Gut im Abstimmungskampf gut dokumentierte Aussagen von Walder, wie der seine Redaktionen auf einen regierungsfreundlichen Kurs einschwor und verängstigt diverse Aktionen lostrat, weil er schlimme Weiterentwicklungen der Pandemie befürchtete.
Einer seiner berüchtigten Sätze damals: «Wir wollen die Regierung unterstützen durch unsere mediale Berichterstattung, dass wir alle gut durch die Krise kommen.»
Schon länger wurde gemunkelt, dass es nicht nur eine persönliche Nähe zum damaligen Gesundheitsminister Alain Berset gab, der sich nicht zu schade war, im gefloppten neuen Ringier-Magazin «Interview» als Dressman und Interviewer eines Sängers aufzutreten. Bei der Vernissage zeigten sich die beiden Herren dann wie ein Herz und eine Seele.
Darüber hinaus gab es Anlass zur Vermutung, dass Ringier-Organe vorab mit Informationen angefüttert wurden, womit sie einerseits Primeurs platzieren konnten und andererseits möglicherweise Entscheidungen des Bundesrats durch medialen Druck in eine Walder genehme Richtung lenken konnten.
Der «Schweiz am Wochenende» ist es offenbar gelungen, Einblick in Untersuchungsprotokolle zu nehmen. Aus ihnen geht eindeutig hervor, dass Bersets Kommunikationschef Peter Lauener den Ringier-CEO mit Vorab-Informationen versorgte. Mit neckischen Einleitungen wie «sehr unter uns», «vertraulich», «wenn es Ihnen dient», usw.
Dabei handelte es sich auch um Vorabinformationen zu bevorstehenden Entscheidungen des Bundesrats. Walder stritt in seiner Einvernahme häufigen Austausch mit Lauener ab, er habe «vielleicht wöchentlich» Kontakt mit Lauener gehabt. Gelegentlich mehrfach täglich würde es besser treffen.
Lauener selbst zog sich bei seinen Einvernahmen auf ein «Ich sage nichts» zurück; dieser Satz ist ganze 204-mal in seinen Einvernahmeprotokollen zu lesen, schreibt die «Schweiz am Wochenende». Auch Bundesrat Berset wurde offenbar sehr, sehr schmallippig bei entsprechenden Fragen: «Ich mache keine Aussage. Ich bin hier in einer ungemütlichen Situation, weil ich nicht weiss, was dieses Thema soll. Ich möchte mich ja auch nicht strafbar machen.»
Ob es sich hier um strafrechtlich relevante Vorgänge handelt oder nicht, sei dahingestellt. Der entscheidende Punkt ist: Sowohl Ringier wie Tamedia (wie übrigens auch CH Media, die die «Schweiz am Wochenende» herausgibt) betonten als Befürworter der Medienmilliarde, dass es keinesfalls enge Beziehungen zwischen staatlichen Ämtern und den Medien gebe, dass eine positive und oftmals jubelnde Berichterstattung über die Corona-Massnahmen keineswegs eine Vorleistung zum Erlangen von Multimillionen aus der Staatskasse sei.
Ganz entrüstet wurde abgestritten, dass Redaktionen dazu aufgefordert worden seien, regierungsfreundlich zu berichten und möglichst wenig Kritik an staatlichen Massnahmen zu üben. Natürlich gebe es auch keine gegenseitigen Abhängigkeiten nach der Devise Sauhäfeli, Saudeckeli. Also ein Departement beliefert einen Konzern mit heissen Vorabinformationen und versichert sich damit einer freundlichen und zustimmenden Berichterstattung.
Genau so war es aber wohl, wie schon vorher veröffentlichte Aussagen Walders belegten – und diese Einnahmeprotokolle nochmals unterfüttern. Von der behaupteten und dringend nötigen Distanz zwischen der Führung des Medienhauses und einem Bundesrat ist hier nichts zu spüren, auch wenn im Nachhinein natürlich alle Beteiligten verkniffen schweigen oder die Dokumente kleinzuquatschen versuchen.
Dass es ganz selten auch mal einen kritischen Artikel in der Ringer-Presse gab, einmal sogar aus der Feder Walders, wird ebenfalls als «Gegenbeweis» aufgeführt. Allerdings gab es nach dem pseudokritischen Beitrag Walders gleich darauf eine persönliche Aussprache zwischen dem Ringier-CEO und Berset. Denn natürlich wurde auch das – eine Hand wäscht die andere – dem BR vorab mitgeteilt: «Walder schreibt morgen einen kritischen Kommentar zur Digitalisierungsfrage.»
Sein Kommunikationschef hatte Berset noch geradezu liebedienerisch zum 49. Geburtstag gratuliert: «Cher Alain. Unglaublich, was du seit deinem letzten Geburtstag alles geleistet, gelernt, ausgehalten, erreicht hast. Und dabei hast du Professionalität, Konzentration, Humor und Empathie gewahrt.»
Allerdings verbrachte Lauener dann ein paar ungemütliche Tage in Untersuchungshaft. Offenbar kümmerte das den «Cher Alain» nicht gross; nur wenige Wochen danach kündigte sein grosser Bewunderer Lauener und verdingt sich nun bei einer Berner Lobby-Bude.
Der Schaden, den Walder durch sein Verhalten am Image und an der Reputation der Medien anrichtet, ist inzwischen ungeheuerlich. Bei der Publikation seiner ersten ungeschickten Äusserungen sah sich sein Boss Michael Ringier bemüssigt, ihm mit einem Nasenstüber, aber auch einer Solidaritätsadresse beizuspringen. Davon sah er dann bei den folgenden Peinlichkeiten ab.
Es wäre eine Illusion zu hoffen, dass diese neuerliche und gut dokumentierte Peinlichkeit das Fass zum Überlaufen bringen könnte. Dafür ist Walder viel zu sicher in der Machtsphäre von Ringier verwoben. Man meint weiterhin, nicht ohne ihn zu können. So wie der Körper einen Wurmfortsatz hält. Der allerdings mitsamt dem Blinddarm auch entfernt werden kann – meistens folgenlos.
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