Die Entschädigungen für Mitglieder des National- und Ständerats sind zweifelsohne überdurchschnittlich hoch. Dies fördert realitätsferne Berufspolitiker. Mit einem Teilzeitmodus statt wochenlangen Sessionen könnte man sie problemlos senken.
Gemäss aktuellen Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) beträgt der Medianlohn eines Schweizer Angestellten CHF 6‘665 pro Monat bzw. CHF 79‘980 pro Jahr – für ein 100%-Pensum. Die Hälfte der Bevölkerung verdiente also mehr, die Hälfte weniger. Und die Bundesparlamentarier? Der durchschnittliche Nationalrat bezieht aktuell einen Betrag von CHF 132‘500 jährlich, der durchschnittliche Ständerat einen solchen von CHF 142‘500 – für ein Teilzeitpensum nota bene. Darin enthalten ist auch die pauschale Jahresentschädigung von CHF 33‘000 „als Beitrag zur Deckung der Personal- und Sachausgaben, die der Erfüllung ihres parlamentarischen Mandates dienen“ (Art. 3a PRG). In der Verwendung jenes – nota bene steuerfreien – Betrags sind die Ratsmitglieder frei. Dies, während private Unternehmen regelmässig ihre Spesenreglemente vom Steueramt genehmigen lassen, da die Zahlung „verdeckten Lohns“ mittels Spesen unzulässig ist.
Bereits von Weitem ist sonnenklar, dass die Parlamentarierentschädigungen weit über dem schweizerischen Medianlohn liegen. Berücksichtigt man zudem, dass das Amt eines National- oder Ständeratsmitglieds kein Vollzeitmandat ist, ist der Effekt nochmals frappanter. Denn: Die beiden Parlamentskammern haben vier Mal jährlich während je drei Wochen ihre Sessionen. Während diesen 12 Wochen sind sie vollzeitlich beansprucht. Auf 48 Jahresarbeitswochen – 52 Wochen minus 4 Wochen Ferien – ergibt dies für den Sessionsbetrieb ein Pensum von genau 25%. Weniger einfach ist es in Bezug auf Kommissionsarbeit und Sitzungsvorbereitungen. Erstens, weil nicht jedes Parlamentsmitglied neben dem Ratssaal gleich aktiv ist, gibt es doch bekanntlich engagierte Ratsmitglieder, aber auch Hinterbänkler, deren Tätigkeit sich – ein wenig provokativ gesagt – bisweilen im rechtzeitigen Drücken des Abstimmungsknopfs zu erschöpfen scheint. Und zweitens, da sich einige Ratsmitglieder innerlich eher an einer 40-Stunden-Woche orientieren, während für andere – unternehmerischer denkende – ausserhalb der Sommerflaute öfters auch eine 55-Stunden-Woche zum guten Ton gehört. Davon ausgehend, dass einige Parlamentsmitglieder neben dem Ratsbetrieb im Schnitt etwas weniger und einige etwas mehr als einen Tag pro Woche in ihr Amt (nicht: private Apéro-/Grillevents der Partei) investieren, dürfte das Pensum eines durchschnittlichen Ratsmitglieds zwischen 40 und 60% liegen, bei Ständeratsmitgliedern eher mehr als bei jenen des Nationalrats. Nimmt man nun einen realistischen Durchschnitt von 50%, wie er auch schon durch politikwissenschaftliche Studien plausibilisiert worden ist, gelangt man – auf ein Vollzeitpensum umgerechnet – auf ein Jahreseinkommen eines Nationalratsmitglieds von CHF 265‘000 bzw. rund CHF 22‘000 pro Monat. Wundert einen vor diesem Hintergrund noch, dass das Milizparlament zunehmend im Schwinden begriffen ist und sich – nicht nur, dort aber besonders – auf der Ratslinken Musterlebensläufe der Kategorie „Kreissaal, Hörsaal, Plenarsaal“ ausbreiten, die mit der Lebensrealität oft relativ wenig zu tun haben? Und auch auf der bürgerlichen Seite gibt es eine nicht unerhebliche Anzahl „Unternehmer“ oder „Investoren“, bei denen auch nach längerer Recherche unklar bleibt, worin deren privatwirtschaftliche Geschäftstätigkeit eigentlich bestehen soll.
Wer die Senkung von Parlamentarierentschädigungen – eine Notwendigkeit, wenn das Milizparlament trotz der immer und immer stärkeren Regulierungskadenz noch in den Grundzügen weiterbestehen soll – fordert, sieht sich rasch mit dem Gegenargument konfrontiert, die Mitglieder des Bundesparlaments seien mehrere Wochen im Jahr blockiert und könnten daher kaum noch einen privatwirtschaftlichen Job ausüben. Dies mag – jedenfalls für klassische Anstellungsverhältnisse – sogar zutreffen. Es ist aber ein eigentliches Nicht-Argument gegen die Senkung von Politikerentschädigungen, handelt es sich bei der zeitlichen Festlegung der Sessionen doch um ein hausgemachtes Problem. Die Kantonsparlamente tagen – je nach Grösse des Kantons – monatlich, alle zwei Wochen oder auch wöchentlich. Jeweils an fixen Tagen. Mitglieder eines Kantonsparlaments können also ohne Weiteres ihr Pensum auf beispielsweise 80% reduzieren und weiterhin einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Die Praxis bestätigt, dass dies möglich ist – und für die Budgetdebatte jeweils im Dezember findet man meist eine Lösung, zumal es um einen geringen Zeitraum von ca. 2-3 Tagen im Jahr geht. Nichts anderes gilt nun aber auch für die Bundesebene. Es ist einfach zu behaupten, man sei während 12 Wochen im Jahr zeitlich „blockiert“ und daher auf ein stolzes, klar überdurchschnittliches Parlamentariergehalt „angewiesen“. Jenes „Problem“, das bei Lichte betrachtet ein eigentliches Nicht-Problem darstellt, lässt sich nämlich ohne Weiteres beheben, indem man auch für das Bundesparlament einen wöchentlichen Tagungsmodus im Teilzeitpensum einführt. Zwei Tage Ratsbetrieb bzw. Sitzungen der Kommissionen – und daneben kann sich jedes Ratsmitglied (je nach sonstiger Auslastung und/oder Motivation) einen privatwirtschaftlichen Job von 40 bis 60 Prozent suchen (oder in diesem Umfang einer selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgehen, die nicht auf eine faktische Briefkastenfirma reduziert ist). Und wenn man dies nicht möchte, weil Teilzeitarbeit ohnehin en vogue ist, dann sei es so. Ein Argument gegen die Senkung von Parlamentariergehältern ist es nämlich nicht, denn jeder Normalbürger, der aus Gründen der Work-Life-Balance in einem Teilzeitpensum arbeitet, trägt hierfür die volle Verantwortung und nimmt freiwillig Lohneinbussen in Kauf. Ein Grundrecht auf gut bezahlte Teilzeitarbeit, die auf 100% umgerechnet ein Jahresgehalt von CHF 265‘000 ergibt, lässt sich moralisch nämlich kaum begründen. Viele Unternehmer in der Privatwirtschaft verdienen nämlich weniger – und im Gegensatz zu steuerzahlerfinanzierten Politikern tragen diese auch die Verantwortung für ihre geschäftlichen Entscheide, seien sie positiv oder negativ. Die Politikerhaftung wäre indes ein Thema für sich. Für das Milizsystem wäre schon viel getan, wenn die Entschädigungen der Bundesparlamentarier auf absehbare Zeit gesenkt würden – was freilich primär durch Druck von aussen geschehen muss, da quer durch die Parteien die Motivation wohl eher gering sein dürfte, die eigenen Privilegien abzuschaffen. Affaire à suivre.
MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.
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