Der St.Galler Gesundheitschef hat sich in die Nesseln gesetzt. Es hagelt Proteste, Stellungnahmen, Rücktrittsforderungen. Doch was hat Damann, ursprünglich Arzt, denn so Furchtbares gesagt? Er trägt den allgemeinen Alarmismus nicht mit - und das reicht bereits.
Die Juso, die Jungtruppe der SP, stellt gerne Rücktrittsforderungen. Es ist die Lieblingsdisziplin - neben der Kreation von Ideen, die oft sogar der Mutterpartei zu weit gehen, vom Stimmvolk ganz zu schweigen. Gegen Rücktrittsforderungen sind die Juso eigentlich nur, wenn es die eigenen Reihen betrifft. Zum Beispiel im Fall von Timo Räbsamen, dem neugewählten Wiler Stadtparlamentarier, der seine Verbrennungsfantasien und seinen Hass gegen Polizisten öffentlich machte.
Das alles hat der St.Galler Regierungspräsident und Gesundheitschef Bruno Damann nicht gemacht bei einem Auftritt bei TVO und einem Text im St.Galler Tagblatt. Er hat es sich nur erlaubt, das auszusprechen, was auch viele anerkannte Experten sagen. Zum Beispiel, dass die Hygiene- und Abstandsregeln bei konsequenter Anwendung ausreichend wären und dass es möglich ist - nicht gesichert, möglich -, dass das Coronavirus dereinst punkto Auswirkungen bei der Grippe angesiedelt wird. Und schliesslich sagte er noch, dass Sterben zum Leben gehört. Wer das ausspricht, wird derzeit als Zyniker verschrien, doch die Frage stellt sich, wo der allgemeine Aufschrei bei den Opfern der grossen Grippewellen war.
Aufgrund dieser Aussagen fordern die Juso Damann nun zum Rücktritt auf. Das hat natürlich faktisch keine Relevanz, es wäre, wie wenn der Trainer des FC Niederhasli Messi auffordern würde, seine Karriere zu beenden. Es dient der Profilierung der Jungpartei. Die «Gründe» für die Rücktrittsforderung sind denn auch nicht besonders originell. Die Juso beten einfach die Apokalypse nach, die uns seit Monaten prophezeit wird. Stichworte wie überlastetes Gesundheitssystem werden unkritisch als Fakten aufgeführt und benutzt, um dem Gesundheitschef eine «Verharmlosung» vorzuwerfen. Nebenbei heisst es auch noch, er stelle «den Profit vor die Gesundheit der Menschen.» Aus welcher Aussage diese Schlussfolgerung gezogen wird: Es ist ein Rätsel.
Und noch eine Jungpartei meldet sich zu Wort, die der Grünliberalen (GLP). Und das auf 2,5 eng beschriebenen Seiten. Da war jemand mitteilsam. Nur steht leider auch in der Stellungnahme der JGLP nichts neues. Sie beziehen sich mehrfach auf die Fallzahlen, die inzwischen nun wirklich jeder richtig einordnen können sollte. Nebenbei werden weitere einschneidende Massnahmen gefordert wie Fernunterricht in der Sekundarstufe II. Die Zeiten, als sich Parteien gegen die überbordende Reglementierungswut von Regierungen gewehrt haben, sind vorbei: Nun wollen die Parteien selbst lieber noch mehr Verbote, Verordnungen, Einschränkungen.
Immerhin stellt die JGLP nicht gleich auch noch eine Rücktrittsforderung, aber die kommt vielleicht noch, falls Bruno Damann die Fragen der Jungpartei nicht in deren Sinn beantwortet.
Bereits scharf reagiert haben bekanntlich auch die Grünen, die zwar noch nicht nach dem Rücktritt rufen, aber immerhin suggerieren, dass sie das demnächst noch tun könnten.
Die St.Galler Regierung mit Bruno Damann ist in der Tat ein Sonderfall - jedenfalls ein theoretischer. Denn aus dem tiefsten Osten kam Kritik am Bundesrat, der die Krise nützt, den Föderalismus auszuhebeln. Es ist bemerkenswert, dass eine Kantonsregierung selbstbewusst auf ihre Rechte pocht. In der Praxis hat St.Gallen inzwischen aber auch wieder eine Reihe eigener Massnahmen installiert, die nicht vom Bund verordnet wurden. Es ist also keineswegs so, dass der Kanton St.Gallen untätig bleibt. Aber immerhin im Unterschied zu anderen Kantonen verbunden mit Selbstbewusstsein gegenüber «Bern» und dem Versuch, so pragmatisch zu sein wie möglich. Der Panikmodus, der anderswo herrscht, wurde hier bisher vermieden. Und das ist eine gute Grundlage für die Umsetzung wirklich tauglicher, sinnvoller Massnahmen. Wer in Panik ist, handelt unüberlegt, zudem wird damit ein wachsender Widerstand der Bevölkerung herangezüchtet.
Bruno Damann ist von Haus aus Arzt. Es ist nicht so, dass hier ein Treuhänder oder ein Landwirt über ein Gesundheitsthema spricht. Gerade seine Äusserungen darüber, wie wir das Sterben verlernt haben, sind völlig korrekt. Damann wollte damit keineswegs Menschen herabwürdigen, die jemanden durch das Virus verloren haben. Die Aussage impliziert vielmehr, dass wir im blanken Entsetzen darüber, dass Menschen sterben, inzwischen jedes Augenmass verloren haben und bereit sind, das gemeinsame Leben vorzeitig aufzugeben. Oder wie wir es bereits einmal in diesem Artikel gesagt haben:
Es ist ein sensibles Thema, und wer direkt in seinem Umfeld betroffen ist, mag es anders sehen, aber ansprechen muss man es dennoch. Eine Krankheit, der in erster Linie Menschen erliegen, welche die durchschnittliche Lebenserwartung erreicht haben, ist keine Apokalypse. So tragisch jeder Einzelfall ist, so bleibt doch einfach die Erkenntnis, dass das Leben endlich ist. Das lernen wir alle bereits als Kinder. Aber offensichtlich dürfen wir uns alle zu Tode trinken, rauchen oder rasen, solange wir nur bitte nicht an Corona sterben.
Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.
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