logo

Zeyer zu Jolanda Spiess-Hegglin

Sieg der Unanständigkeit

Das Zuger Kantonsgericht fällt einen Entscheid mit Sperrfrist. JSH und ihre Anwältin pfeifen drauf und verschicken ihn vor Ablauf an «sehr ausgewählte Medienschaffende». Die plappern dann brav den mitgelieferten Kommentar nach.

«Die Ostschweiz» Archiv am 01. Juli 2022

JSH greift in die Vollen: «Meilenstein der Mediengeschichte.» Ihre Anwältin Rena Zulauf behauptet: das Urteil sei «sehr wichtig». Also plappert CH Media brav nach: «Ringier muss Klickzahlen herausrücken». Dabei ist sich der Qualitätskonzern nicht mal sicher, ob es sich um einen Entscheid des Zuger Obergerichts (so im Artikel) oder des Kantonsgerichts (so im Lead) handelt. Und SRF hämt: «Schlappe für Medienkonzern».

Das Kantonsgericht hatte zu befinden, ob es feststellt, dass das Ringier-Organ «Blick» die «Persönlichkeitsrechte der Klägerin widerrechtlich verletzt» habe. Entscheid: «Darauf wird nicht eingetreten.» Das ist eine Schlappe, allerdings für JSH und ihre Anwältin.

Insgesamt 40 Seiten brauchte das Gericht, um nochmals festzuhalten, dass die Persönlichkeitsrechte von JSH tatsächlich durch einige Artikel verletzt worden seien und dass daher im Prinzip ein Anspruch auf Gewinnherausgabe existiert.

Denn nach Schweizer Rechtsprechung darf das Opfer einer solchen Tat verlangen, dass es als Genugtuung den dadurch erzielten Gewinn bekommt. Soweit alles klar. Aber nun beginnt das Unklare: wie hoch ist dieser Gewinn? Wie berechnet man ihn? Die eingeklagten fünf Artikel erschienen im Print und online. Also entscheiden Klickzahlen, Werbeeinnahmen im Internet. Im Print waren die Artikel nur jeweils einer von vielen; wie separiert man hier den mit ihnen erzielten Gewinn?

Alles höchst komplizierte Fragen. Naturgemäss differieren die Vermutungen über die Höhe dieses Gewinns stark. Auf Seiten von JSH steht der Internet-Bruchpilot Hansi Voigt mit seiner Behauptung recht alleine da, dass Ringier insgesamt mit der Berichterstattung über die Zuger Sexaffäre mehr als eine Million Franken Gewinn kassiert habe. Wobei für ihn Umsatz und Gewinn schon mal das gleiche ist.

Voigt muss sich allerdings die Frage gefallen lassen: wenn es so einfach wäre, vor allem im Internet sagenhafte Profite mit Artikeln zu erwirtschaften, wieso kam er dann mit seinem «watson» nie auf einen grünen Zweig – und wieso braucht sein neustes Projekt «bajour.ch» nach den ersten drei Millionen weitere Millionen einer reichen Pharma-Erbin, um nicht die Bücher deponieren zu müssen?

Auf Seiten Ringiers geht man, unterstützt von Fachexperten, von einem niedrigen vier- oder fünfstelligen Betrag aus, also irgend etwas zwischen 5000 und maximal 15'000 Franken. Obwohl Ringier im Vorfeld dieses Entscheids bereits Gutachten vorgelegt hat, verlangt das Gericht, dass weitere und detaillierte Zahlen herausgegeben werden sollen.

Ringier denkt nun darüber nach, inwiefern das in die Sphäre seines Geschäftsgeheimnisses eindringt. Aber unabhängig davon: liegen alle gewünschten und verlangten Zahlen einmal vor, müssen dann die Klägerin JSH und die beklagte Ringier AG darlegen, zu welchem Betrag sie hier kommen. Was dann sicherlich zu weiteren langwierigen Auseinandersetzungen führen wird.

Also ist der aktuelle Entscheid weder eine Schlappe für Ringier, noch gar ein «Meilenstein der Mediengeschichte». Er beinhaltet, neben der Klatsche für RA Zulauf, einfach die Forderung, das bereits vorliegende Zahlenmaterial zu ergänzen. Auf dass dann die Rechnerei losgehen kann.

Bislang ist kein roter Rappen Richtung JSH geflossen, und es wird noch eine hübsche Weile dauern, bis das geschieht – wenn überhaupt. Klar ist bislang nur, dass durch das Nichteintreten auf den Hauptantrag der Klägerin JSH ihr Anteil an den Gerichtskosten hübsch angeschwollen ist.

Bedenklich ist, mit welch unständigen, aber einfachen Mitteln JSH und ihre Anwältin die Deutungshoheit über diesen Entscheid in den Medien erobern konnten. Sie pfeifen einfach auf eine gerichtliche Sperrfrist und verschicken das Urteil bereits vor deren Ablauf. Natürlich mit einem ellenlangen Kommentar versehen, um das Narrativ zu bestimmen. Das wird dann von Tamedia, CH Media und sogar der NZZ brav übernommen.

Offenbar hat sich dort niemand die Mühe gemacht, die 40 Seiten des Kantonsgerichts durchzulesen, da übernehmen fast alle die Tickermeldung der SDA. Also entgeht allen, dass auch in diesem Entscheid RA Zulauf – wie inzwischen fast üblich – kräftig abgewatscht wurde. Wobei man wissen muss, dass es eher unüblich ist, dass ein Gericht so klare Worte wählt. Ein kleiner Auszug:

«Die Klägerin behauptet erst an der Hauptverhandlung und somit verspätet, Behauptungen der Klägerin gehen an der Sache vorbei, sie wird mit einer pauschalen Behauptung nicht gehört, Klägerin offeriert wiederholt Beweismittel mit dem Vorbehalt, diese würden im Bestreitungsfall nachgereicht, was sie dann trotz Bestreitung nicht getan hat» – eine Kaskade von Anfängerfehlern Zulaufs.

Es sticht vor allem ins Auge, dass Zulauf offensichtlich während der Hauptverhandlung noch nachzubessern versuchte und neue Argumente ins Feld führen wollte. Was ihr vom Gericht den Rüffel einträgt, dass sie doch wissen müsste, dass das nach Abschluss des Schriftverkehrs nur ausnahmsweise und mit klarer Begründung möglich sei. Daher wurden alle ihre nachgereichten Behauptungen nicht angehört. Schon alleine das ist oberpeinlich.

Peinlich für die Medien ist allerdings, dass früher angeführt von Pascal Hollenstein – ehemals publizistischer Leiter bei CH Media – auch unter Bruch der Sperrfrist immer wieder Niederlagen in Siege umgeschrieben wurden. Dabei ist die bittere Tatsache für JSH, dass alle üppig bezahlten Aktivitäten ihrer Anwältin Zulauf bislang in einem einzigen Sieg und einer langen Reihe von Niederlagen endeten. Der Sieg besteht in der gerichtlichen Anerkennung, dass die Persönlichkeitsrechte von JSH durch einige «Blick»-Artikel verletzt wurden.

Alle anderen Klagen wurden teilweise dröhnend abgeklatscht; zuletzt der bis vors Bundesgericht und dort gegen das Bundesgericht prozessierte Versuch, die Publikation eines unliebsamen Buches über die Affäre zu verhindern. Immer wieder fanden dabei die Gerichte deutliche Worte, um das Wirken der Anwältin zu qualifizieren.

Da es wohl noch Jahre dauern wird, bis die Frage einer möglichen Gewinnherausgabe entschieden ist, JSH letzthin keine neuen Spendenaufrufe lancierte, das Lager ihrer unverbrüchlichen Fans deutlich geschrumpft ist, seitdem sie sich unter anderem für den dubiosen Carl Hirschmann ins Zeug legte, wird die Frage immer brennender, wie sie denn die üppigen Honorarnoten ihrer Anwältin und die ganzen Gerichtskosten bezahlen will.

Denn RA Zulauf stellt natürlich unabhängig von Sieg oder Niederlage Rechnung, unbeschadet davon, wie oft sie vom Gericht in der Urteilsbegründung abgewatscht wurde.

Das Trauerspiel um die Bewältigung eines Ereignisses, das nun bereits acht Jahre zurückliegt und eigentlich längst vergessen gegangen wäre, geht leider weiter. JSH, ihre Anwältin und die Medien spielen dabei allesamt eine traurige Rolle. Die Grenzen zwischen Täter und Opfer haben sich schon längst verwischt.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
«Die Ostschweiz» Archiv

«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.