Kleinere und mittleren Unternehmen stehen für Vielfalt, Autonomie, für flache Hierarchien, Selbstorganisation und Eigenverantwortung. Und damit für alles, was die digitale Gesellschaft ausmacht.
Kurt Weigelt, die Leserinnen und Leser von «Die Ostschweiz» kennen Ihre Kommentare zur Politik. In Zukunft werden Sie unsere Redaktion im KMU-Insider Expertenteam unterstützen und zusätzlich Artikel zu KMU-spezifischen Fragen publizieren. Gehen Ihnen die politischen Themen aus?
Nein, überhaupt nicht. Die Politik erlebte ich noch nie so aufregend und aufreibend wie heute. Mein politisches Engagement und mein unternehmerisches Wirken gehörten für mich jedoch immer zusammen. Meine Doktorarbeit verfasste ich zu Fragen der politischen Willensbildung. Unmittelbar nach unserem Studium kauften meine Frau und ich ein Einzelhandelsunternehmen. Bei diesem Doppelspiel ist es bis heute geblieben.
Wie kommt man als promivierter Jurist dazu, sein Leben als Einzelhändler zu verdienen?
Wie vielfach im Leben waren es mehrere Zufälle, die zu diesem Unternehmenskauf führten. In erster Linie aber war es ein Entscheid für ein ganz bestimmtes Lebensmodell. Im eigenen Geschäft hat man die besten Voraussetzungen, Familie und Beruf zusammenzubringen. Meine Frau und ich teilten uns die Aufgaben zu Hause und im Unternehmen, wenn auch mit unterschiedlichen Prioritäten. Zudem wollte ich nie einen Chef haben. Beide Motive verbinden mich wohl mit vielen anderen KMU-Unternehmern.
Und trotz dieser klaren Ansage verliessen Sie im Jahre 2007 den eigenen Betrieb und wurden Direktor der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell. So quasi vom Unternehmer zum Funktionär. Sind Sie sich damit nicht selbst untreu geworden?
Auch dieser Schritt war nicht geplant. Aber plötzlich passte alles zusammen. Meine wissenschaftliche Ausbildung, meine unternehmerische Erfahrung sowie mein langjähriges Engagement als Geschäftsführer der Innenstadtorganisation von St.Gallen und als IHK-Vorstandsmitglied. Zudem waren unsere vier Kinder aus dem Gröbsten heraus. Meine Frau übernahm von einem Tag auf den anderen die Alleinverantwortung für unseren Betrieb. Dies alles spontan, ohne grossartige Strategiepapiere. Halt so richtig KMU-mässig.
Auf Ihrer Webseite www.kurtweigelt.ch findet sich die Aussage «Small is smart». Ist dies ein Seitenhieb auf Grossunternehmen? Sind diese weniger klug?
Darum geht es nicht. Weit mehr interessiert die Frage nach den Konsequenzen der digitalen Transformation für unsere sozialen Systeme. Die Digitalisierung eröffnet ungeahnte Chancen für die Bewirtschaftung von Verschiedenheit. Der Erfolg beruht nicht länger auf maximaler Grösse, sondern auf kluger Vernetzung. Netzwerkeffekte ersetzen Skalenerträge.
Was bedeuten diese etwas abstrakten Begriffe für den Alltag in unseren Unternehmen?
Erfolgreiche Unternehmen organisieren sich im digitalen Zeitalter in kleinen, agilen Einheiten, die rasch auf Umweltveränderungen reagieren können. Kommandieren, Kontrollieren, Korrigieren war gestern. Jetzt heisst es: Kommunizieren, Koordinieren, Kooperieren. Dies alles ist ein Steilpass für kleinere und mittlere Unternehmen. Sie stehen für Vielfalt, Autonomie, für flache Hierarchien, Selbstorganisation und Eigenverantwortung. Und damit für alles, was die digitale Gesellschaft ausmacht. Small is smart. Es ist exakt dieser Aspekt, der mich motiviert, für «Die Ostschweiz» zu schreiben.
Sehen Sie uns als David, der gegen Goliath antritt?
Ich denke nicht in Zweikämpfen, sondern in Systemalternativen. Über Jahrzehnte wurden einzelne Medienhäuser entsprechend der industriellen Logik immer grösser und mächtiger. Medienmonopole diktierten die veröffentlichte Meinung. Heute verändert die Digitalisierung alles. Ein unternehmerisch geführtes Kleinstunternehmen wie «Die Ostschweiz» hat als digitales Medium die Chance, das Konzert der Grossen mit einer eigenen Stimme aufzumischen. Im Interesse von Medienfreiheit und Medienvielfalt. Eine wunderbare Sache, die beispielsweise das Nein zum Medienpaket möglich machte.
Nun tönen Sie aber etwas gar optimistisch. Sieht die Realität nicht viel düsterer aus? Insbesondere die sozialen Medien werden zunehmend als Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie wahrgenommen.
Mit Kulturpessimismus kann ich nicht dienen. Fortschritt hatte schon immer viel mit Versuch und Irrtum zu tun. Wir stehen erst am Anfang des digitalen Zeitalters und müssen lernen, mit den neuen Möglichkeiten umzugehen. Dies gilt auch für «Die Ostschweiz». Entscheidend ist, dass wir uns auf den Weg machen und Neues wagen. Was zählt, ist das Handeln. Nicht die Gesinnung, nicht schöne Worte und erst recht nicht der perfekte Plan. Ganz im Sinne aller erfolgreichen kleineren und mittleren Unternehmens: just do it.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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