logo

Interview mit Kurt Weigelt

Small is smart

Kleinere und mittleren Unternehmen stehen für Vielfalt, Autonomie, für flache Hierarchien, Selbstorganisation und Eigenverantwortung. Und damit für alles, was die digitale Gesellschaft ausmacht.

Marcel Baumgartner am 16. September 2022

Kurt Weigelt, die Leserinnen und Leser von «Die Ostschweiz» kennen Ihre Kommentare zur Politik. In Zukunft werden Sie unsere Redaktion im KMU-Insider Expertenteam unterstützen und zusätzlich Artikel zu KMU-spezifischen Fragen publizieren. Gehen Ihnen die politischen Themen aus?

Nein, überhaupt nicht. Die Politik erlebte ich noch nie so aufregend und aufreibend wie heute. Mein politisches Engagement und mein unternehmerisches Wirken gehörten für mich jedoch immer zusammen. Meine Doktorarbeit verfasste ich zu Fragen der politischen Willensbildung. Unmittelbar nach unserem Studium kauften meine Frau und ich ein Einzelhandelsunternehmen. Bei diesem Doppelspiel ist es bis heute geblieben.

Wie kommt man als promivierter Jurist dazu, sein Leben als Einzelhändler zu verdienen?

Wie vielfach im Leben waren es mehrere Zufälle, die zu diesem Unternehmenskauf führten. In erster Linie aber war es ein Entscheid für ein ganz bestimmtes Lebensmodell. Im eigenen Geschäft hat man die besten Voraussetzungen, Familie und Beruf zusammenzubringen. Meine Frau und ich teilten uns die Aufgaben zu Hause und im Unternehmen, wenn auch mit unterschiedlichen Prioritäten. Zudem wollte ich nie einen Chef haben. Beide Motive verbinden mich wohl mit vielen anderen KMU-Unternehmern.

Und trotz dieser klaren Ansage verliessen Sie im Jahre 2007 den eigenen Betrieb und wurden Direktor der Industrie- und Handelskammer St.Gallen-Appenzell. So quasi vom Unternehmer zum Funktionär. Sind Sie sich damit nicht selbst untreu geworden?

Auch dieser Schritt war nicht geplant. Aber plötzlich passte alles zusammen. Meine wissenschaftliche Ausbildung, meine unternehmerische Erfahrung sowie mein langjähriges Engagement als Geschäftsführer der Innenstadtorganisation von St.Gallen und als IHK-Vorstandsmitglied. Zudem waren unsere vier Kinder aus dem Gröbsten heraus. Meine Frau übernahm von einem Tag auf den anderen die Alleinverantwortung für unseren Betrieb. Dies alles spontan, ohne grossartige Strategiepapiere. Halt so richtig KMU-mässig.

Auf Ihrer Webseite www.kurtweigelt.ch findet sich die Aussage «Small is smart». Ist dies ein Seitenhieb auf Grossunternehmen? Sind diese weniger klug?

Darum geht es nicht. Weit mehr interessiert die Frage nach den Konsequenzen der digitalen Transformation für unsere sozialen Systeme. Die Digitalisierung eröffnet ungeahnte Chancen für die Bewirtschaftung von Verschiedenheit. Der Erfolg beruht nicht länger auf maximaler Grösse, sondern auf kluger Vernetzung. Netzwerkeffekte ersetzen Skalenerträge.

Was bedeuten diese etwas abstrakten Begriffe für den Alltag in unseren Unternehmen?

Erfolgreiche Unternehmen organisieren sich im digitalen Zeitalter in kleinen, agilen Einheiten, die rasch auf Umweltveränderungen reagieren können. Kommandieren, Kontrollieren, Korrigieren war gestern. Jetzt heisst es: Kommunizieren, Koordinieren, Kooperieren. Dies alles ist ein Steilpass für kleinere und mittlere Unternehmen. Sie stehen für Vielfalt, Autonomie, für flache Hierarchien, Selbstorganisation und Eigenverantwortung. Und damit für alles, was die digitale Gesellschaft ausmacht. Small is smart. Es ist exakt dieser Aspekt, der mich motiviert, für «Die Ostschweiz» zu schreiben.

Sehen Sie uns als David, der gegen Goliath antritt?

Ich denke nicht in Zweikämpfen, sondern in Systemalternativen. Über Jahrzehnte wurden einzelne Medienhäuser entsprechend der industriellen Logik immer grösser und mächtiger. Medienmonopole diktierten die veröffentlichte Meinung. Heute verändert die Digitalisierung alles. Ein unternehmerisch geführtes Kleinstunternehmen wie «Die Ostschweiz» hat als digitales Medium die Chance, das Konzert der Grossen mit einer eigenen Stimme aufzumischen. Im Interesse von Medienfreiheit und Medienvielfalt. Eine wunderbare Sache, die beispielsweise das Nein zum Medienpaket möglich machte.

Nun tönen Sie aber etwas gar optimistisch. Sieht die Realität nicht viel düsterer aus? Insbesondere die sozialen Medien werden zunehmend als Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie wahrgenommen.

Mit Kulturpessimismus kann ich nicht dienen. Fortschritt hatte schon immer viel mit Versuch und Irrtum zu tun. Wir stehen erst am Anfang des digitalen Zeitalters und müssen lernen, mit den neuen Möglichkeiten umzugehen. Dies gilt auch für «Die Ostschweiz». Entscheidend ist, dass wir uns auf den Weg machen und Neues wagen. Was zählt, ist das Handeln. Nicht die Gesinnung, nicht schöne Worte und erst recht nicht der perfekte Plan. Ganz im Sinne aller erfolgreichen kleineren und mittleren Unternehmens: just do it.

Highlights

Sängerin, Tänzerin und Unternehmerin

St.Galler Influencerin Arina Luisa möchte mehr Realität in den Sozialen Medien: «Ich poste auch einmal meine Dehnungsstreifen»

am 18. Aug 2024
Gastkommentar

Wikipedia-Amok will UBS-Banker ‹canceln›

am 02. Aug 2024
Steigender Konkurrenzdruck

«Ich wollte nie ein Vorgesetzter sein, der Wasser predigt, aber Wein trinkt»: Der Wiler Chefredaktor Andreas Böni über seine Arbeit bei «blue Sport»

am 19. Aug 2024
Asylpolitik

SVP attackiert Bundesrat Jans, Staatssekretariat für Migration kontert mit einem «Faktencheck in 18 Punkten». Wer hat recht?

am 09. Aug 2024
Andere Orte preschen vor

Zwischen Digital Detox und Realitätsflucht: Soll das Handy aus dem Schulhaus verbannt werden? So denkt die Ostschweizer Politik darüber

am 06. Aug 2024
Gastkommentar

Biodiversität oder Ernährungssicherheit? Ein kritischer Blick auf eine Volksinitiative, die gar nicht umsetzbar ist

am 03. Aug 2024
Peter Weigelt, Präsident RevierJagd St.Gallen

Wolfsregulierung – keine jagdliche, sondern eine behördliche Massnahme

am 22. Aug 2024
Interpellationen beantwortet

«Wenigstens einen Versuch wert» – St.Galler Regierung verteidigt die Russland-Reise

am 19. Aug 2024
Gastkommentar

Gendermedizin: Oft nicht viel mehr als eine Ansammlung abgenutzter Klischees

am 21. Aug 2024
Viele Katzen, wenig Platz

Wenn «Büsis» zu «Klimakillern» werden: Tierschutz-Präsidentin Esther Geisser über Lösungen gegen die Katzen-Überpopulation in der Ostschweiz

am 17. Aug 2024
Einwurf

KI soll vor dem Ertrinken schützen. Eltern, die mehr Zeit am Handy als mit ihren Sprösslingen verbringen wollen, freut diese Entwicklung

am 16. Aug 2024
Gastkommentar: Schweizer Sommer

Wenn sich die Schweizerische Regel in der Ostschweiz durchsetzt: Zu heiss gibt es nicht, um nicht nach Draussen zu gehen

am 20. Aug 2024
Sie unterstützen die Olma Messen

«Wenn der Wirt sein bester Gast ist, wird es gefährlich» – Kuno Schedler über sein Olma-Engagement

am 16. Aug 2024
SGKB Investment Views

Rezession oder doch nicht Rezession?

am 19. Aug 2024
Sitz von Swiss Olympic

Ein Haus mit Tradition und Potenzial: Ostschweizer sind neu im Besitz des Berner «Haus des Sportes»

am 16. Aug 2024
Entscheid ist noch nicht rechtskräftig

Keine Unterschutzstellung des Spitalhochhauses in St.Gallen

am 21. Aug 2024
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.