Torsten Berghändler
Man hört immer wieder, dass man einfach nur noch zur Arbeit geht, um Geld zu verdienen. Der Spassfaktor sinkt. Weshalb ist das so? Der Herisauer Facharzt Torsten Berghändler gibt Auskunft.
Dr. Torsten Berghändler, wann spricht man von einem Burnout?
Ein Burnout-Prozess äussert sich in Energieverlust in Bezug auf die Arbeit, verstärkter Erschöpfung durch die Arbeit, innere Entfremdung von einer Arbeit, die bis dahin Spass gemacht hat, ggf. einer bisher nicht vorhandenen zynischen Einstellung gegenüber der Arbeit, den Patienten, den Kunden, und in einer zuerst subjektiven, dann auch objektiven reduzierten Leistungsfähigkeit bei der Arbeit. Ausserhalb des Arbeitsbereiches, also am Wochenende, Urlaub, Krankschreibung, besteht möglicherweise Symptomfreiheit. Die Burnout-Kriterien sind ausschliesslich auf die Erwerbstätigkeit sowie der Arbeitswelt bezogen. Wenn ein Burnout nicht rechtzeitig erkannt und angemessen reagiert wird, dann kann die zunehmende Hilflosigkeit im Burnout zu einer zusätzlichen Depression führen, die sich dann auch am Wochenende und im Urlaub zeigt.
Wenn man solche Verhaltensmuster bei sich selbst erkennt, welche Massnahmen kann man einleiten?
Wenn die Symptome beispielsweise im Urlaub nicht vorhanden sind, wäre dies ein guter Hinweis auf das Vorliegen eines Burnout-Syndroms. Ein erster wesentlicher Schritt wäre der Besuch des Hausarztes, der die Lebensumstände am besten kennt. Er kann eine erste Einschätzung vornehmen, auch, ob eine Krankschreibung notwendig ist, und an einen Spezialisten überweisen.
Ist es Ihrer Meinung nach ratsam bei einem Burnout, die Arbeit sofort einzustellen oder sollte man das eher Stück für Stück machen?
Burnout ist nicht ein Endzustand, sondern ein Erschöpfungs-Prozess, der mehr oder weniger weit fortgeschritten sein kann. Bei einer vergleichsweise milden Symptomatik ist es eventuell hilfreich, das Gespräch mit dem Arbeitsgeber zu suchen, die arbeitsbedingte Erschöpfung und die Umstände, die dazu geführt haben, zu besprechen und gemeinsam Lösungen zu suchen. Bei einem mittelschweren Burnout wäre eine Krankschreibung ratsam. Auch da sollte, dann gemeinsam mit dem Therapeuten, das Gespräch mit dem Arbeitgeber gesucht werden, wenn eine Rückkehr an den Arbeitsplatz vorstellbar und gewünscht ist.
Gibt es Berufe, bei denen man eher dem Risiko ausgesetzt ist, ein Burnout zu bekommen?
Burnout-Fälle sind mittlerweile in fast allen Berufen bekannt, wo Prozesse der Produktivitätssteigerung mit einem Mangel an adäquaten Ressourcen wie Zeit oder Personal sowie reduzierter Selbstbestimmung verbunden sind. Die Symptomatik kann verstärkt werden durch einen negativen Führungsstil, reduzierte Möglichkeiten, die eigene Arbeitswirklichkeit selber mitzugestalten, oder soziale Isolation.
Man liest häufiger von berufstätigen Leuten, die ein Burnout hatten. Gibt es eine gewisse Altersgrenze, ab der man an Burnout erkranken kann?
Burnout ist eine Stressfolge-Erkrankung. So gesehen könnte auch ein übermässiger schulischer Stress zu einem Burnout bereits bei Schülern führen. Die gültige Definition bezieht sich allerdings auf die Erwerbs-Arbeitswelt.
Ob Mann oder Frau, beide könnten gleichermassen bei Überforderung einem Burnout zum Opfer fallen. Gibt es einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, wer eher an einem Burnout erkrankt?
Nein, da gibt es keinen grundsätzlichen Unterschied. Frauen können genau gleich bei hoher Stressbelastung ein Burnout erleiden wie Männer. Oftmals ist zudem die Doppel- bis Dreifachbelastung als Berufs- und Hausfrau sowie Mutter ein zusätzliches Risiko, sodass auch eine Teilzeit-Tätigkeit bei entsprechender Stressbelastung ausserhalb der Arbeitswelt ein Burnout verursachen kann. Da Arbeit auch als «AHV-pflichtige Erwerbs-Tätigkeit» angesehen werden kann, ist allerdings Haus- und Familienarbeit nur in Norwegen als Burnout-auslösender Faktor anerkannt. Frauen, auch Haus- und Familienmänner, müssen die Mehrfachbelastung als Risikofaktor besonders berücksichtigen.
Dr. Torsten Berghändler ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, FMH. Sein Angebot umfasst die Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und die Allgemeinpsychiatrie. Er leitet die Praxisgemeinschaften «Wetterhaus» in Gais und Herisau. Er ist Heim-Psychiater im Wohnheim Landscheide (Wald-Schönengrund) und der Hausgemeinschaft zur Oase (Gais), Partner des Zentrums für Achtsamkeit und Resilienz (St.Gallen) und Konsiliararzt in der Berit Klinik (Speicher).
Torsten Berghändler
Manuela Müller (*1994) aus Marbach war bis Ende März 2022 als Redaktorin für «Die Ostschweiz» tätig.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.