Die Lage für die US-Notenbank Fed wird angesichts der Konjunkturdaten aus den USA nicht einfacher. Denn entgegen vielen Prognosen wuchs die amerikanische Wirtschaft gemäss ersten Schätzungen des Handelsministeriums im vierten Quartal 2022 um 2.9%.
Ökonomen hatten lediglich mit einem Plus von 2.6% gerechnet. Zwar schwächt sich das Wachstum seit vielen Quartalen kontinuierlich ab - so wuchs das US-BIP 2022 real nur noch um 2.1%, nach 5.9% im Jahr 2021. Allerdings war 2021 geprägt von der coronabedingten Sonderkonjunktur und ist daher als Vergleichswert mit Vorsicht zu geniessen.
Daten sprechen für ein „Soft-Landing“
Die oft beschworene markante Abkühlung der US-Wirtschaft ist gegenwärtig aber nicht erkennbar - auch der Arbeitsmarkt zeigt sich trotz zahlreicher Massenentlassungen robust. Noch scheint das Fed mit ihrer im Verlauf des Jahres 2022 massiv gestrafften Geldpolitik nicht den gewünschten Effekt zu erzielen. Auch der Auftragseingang der Industrie im Dezember fiel überraschend positiv aus. Die Bestellungen langlebiger Gebrauchsgüter stiegen im Dezember erwartet stark um 5.6% zum Vormonat. Ökonomen hatten lediglich mit einem Zuwachs von 2.5% gerechnet. Im November ging der Bestelleingang sogar noch um 1.7% zurück.
Zumal auch die amerikanischen Konsumenten den widrigen Umständen trotzen. Sie steigerten im Schlussquartal ihre Ausgaben um 2.1%, nach 2.3% im Sommerquartal - allerdings hatten Ökonomen mit 3.1% gerechnet.
Das ist zumindest ein Warnschuss vor den Bug der aktuell zu optimistischen Anleger an der Wall Street. Der Schlussspurt der amerikanischen Wirtschaft überrascht auch viele Marktteilnehmer auf dem Handelsparkett. Einschränkend heisst es jedoch, dass dies nur ein Zwischenspiel gewesen sei und die Leitzinsstraffungen der US-Notenbank noch nicht ihre volle Wirkung entfaltet hätten. So flott wie im Schlussquartal 2022 wird es nicht mehr weitergehen, lässt sich die Stimmung zusammenfassen.
Beginnt die Zinserhöhungsorgie von neuem?
Die amerikanische Notenbank dürfte diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen beobachten. Zwar zeichnet sich ab, dass der US-Wirtschaft ein sog. «Soft-Landing» gelingt - also eine tiefe, schmerzhafte Rezession vermieden werden kann. Aber dieses Szenario birgt ein Risiko, welches aktuell kaum thematisiert wird: Was, wenn sich die Inflation in den kommenden Monaten entgegen den Erwartungen nicht markant zurückbildet?
Vorausgesetzt der konjunkturelle Aufschwung würde sich im Lauf des zweiten Halbjahres 2023 manifestieren, bei einer nach wie vor vergleichsweise hohen Inflation von 4% und mehr, könnte dies den Druck auf das Fed massiv erhöhen. Denn per Definition dürfte ein Konjunkturaufschwung die Inflation erneut befeuern, womit das Fed erneut in den Kampf gegen eine anziehende Teuerung eintreten müsste - und dies bei einem Leitzinsniveau von 5%. Das Fed müsste, um ein erneutes Überschiessen der Teuerung zu verhindern, den Leitzins von dem bereits sehr hohen Niveau weiter anheben, womit Leitzinsen von 7%, 8% oder sogar noch höher nicht ausgeschlossen werden könnten.
Aktuell mag ein solches Szenario unwahrscheinlich erscheinen - vor allem die Inflation sinkt stärker als erwartet. Aber die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass Anleger auch solche Szenarien auf dem Schirm haben sollten!
Marcus Dankert ist seit 2013 Leitender Redaktor des «the investor – Der Schweizer Börsenratgeber» und beschäftigt sich beruflich und privat seit mehr als 20 Jahren mit dem internationalen Börsengeschehen. Für weitere Analysen zum aktuellen Börsengeschehen und für konkrete Handelsempfehlungen für einzelne Aktien besuchen Sie, liebe Leserinnen und Leser, gerne unsere Website www.boersenratgeber.ch.
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