6893 Meter ist der Ojos del Salado in Chile hoch – der höchste aktivste Vulkan der Welt. Für Patrik Koller, David Koller und David Pröschel bietet er den perfekte Ausgangspunkt, um mit ihrem elektrischen Offroad-Nutzfahrzeug mit Solar den Weltrekord zu brechen.
Das Telefon erreicht Patrik Koller gerade, als er und sein Bruder David sowie der Kollege David Pröschel in England sind. Sie verbringen dort jedoch nicht ihre Ferien, sondern besuchen das Goodwood Festival – seines Zeichens das grösste Motorsport Festival der Welt. Hier stellen die drei Ostschweizer ihr selbst gebautes elektrisches Offroad-Nutzfahrzeug mit Solar Lademöglichkeit dem Publikum vor. «Es ist unglaublich, dass wir ‘Buebe’ hier sein dürfen. Eigentlich erhalten Normalsterbliche keine Einladung, wir haben es nur über unser Netzwerk geschafft», sagt Patrik Koller.
Freizeit ist bei den drei Ostschweizern sowieso ein rares Gut. Seitdem sie 2018 die Idee hatten, mit einem elektrischen Nutzfahrzeug mit Solar den höchsten aktiven Vulkan in Chile zu bezwingen, steht die Tüftelei ganz klar im Vordergrund. Als Bergsteiger und Biker sind sie häufig in der Natur anzutreffen – je höher, desto besser, finden sie. Der Abenteuergedanke, gemixt mit dem «Nerv der Zeit», dem intelligenten einsetzen von Solarenergie und E-Mobilität, waren schliesslich der Auslöser dafür, sich an den Versuch heranzuwagen und alle bisherigen Rekorde mit Verbrennungsmotoren hinter sich zu lassen. Mit ihrer Idee kamen sie mit verschiedenen Entwicklungspartnern und Sponsoren zusammen, und es reifte schliesslich ein Plan heran.
So einfach, wie es sich in der Theorie auch anhören mag – mit der Realität hatte das herzlich wenig zu tun. Geld für ihr Projekt aufzutreiben, war und ist extrem schwierig. «Zusammengefasst kann man sagen, dass alles dreimal so viel gekostet hat, wie wir angenommen haben, und doppelt so lange ging, wie es geplant war», so Patrik Koller. Die letzten drei Jahre haben sie sich keinen Lohn ausbezahlt und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten. In Anbetracht dessen, dass zwei der drei Tüftler inzwischen Vater geworden sind, erstaunt diese Leidenschaft und Kompromissbereitschaft doch. Immerhin liegen die Kosten für den Prototypen bisher bei rund einer Million Franken. Über 8'000 Stunden Arbeit stecken darin – hier drängt sich die Frage auf: Weshalb? «Das haben wir uns auch schon einige Male gefragt», lacht Patrik Koller. Man habe damals angefangen, ohne richtig zu wissen, auf was man sich überhaupt eingelassen habe. Corona kam dazwischen, und irgendwann erreichten sie den Punkt, an welchem ein Zurück nicht mehr in Frage kam. «So ist der Mensch eben – irgendwie geht es immer weiter. Und man möchte ja nicht aufgeben, sondern sich an den guten Sachen festhalten.» Vielleicht sei es auch besser, dass man zu Anfang nicht wisse, wie sich das Projekt entwickle. Oder wie viele Herausforderungen auf einen warten. Ob man dann überhaupt angefangen hätte? Schwierig, so Koller.
Nicht nur das Geld ist eine Herausforderung. Sondern auch die Zusammenarbeit und die ständige Nähe der drei Ostschweizer. Man habe ursprünglich als klassisches Start-up fungiert, im gleichen Haus gelebt und gearbeitet – und zusammen Sport gemacht. «Irgendwann war das dann vielleicht doch ein bisschen viel», lacht Koller. Da inzwischen zwei der drei Väter geworden sind, habe sich diese Nähe jedoch relativiert. Die räumliche Distanz habe sicher gut getan.
Nun konzentrieren sich die Drei am ersten Meilenstein, der Expedition. Derzeit sind verschiedene Testfahrten geplant. Seit fast einem Jahr ist das Fahrzeug eigentlich fertig gebaut. Doch die Strassenzulassung und verschiedenen Prüfungsschritte erwiesen sich als sehr langatmig und mühsam. Das Fahrzeug wird Mitte September verschifft, im November fliegen die Ostschweizer hinterher. Geplant ist, dass im Dezember der Versuch starten wird. Bereits die Akklimatisation verschlingt einige Wochen – immerhin ist der Vulkan 6893 Meter hoch. Körperlich müssen sie also äusserst fit sein. «Trotzdem denke ich, dass das Technische die grösste Herausforderung sein wird», so Koller. Die Strasse hätte mit einer klassischen nicht viel zu tun, man müsste Steine auf die Seite legen, prüfen, ob der Untergrund dicht sei, das Wetter sollte mitspielen.
Insbesondere der Gedanke, wie man die E-Mobilität besser nutzen könnte, treibt die Drei an. Bei einer privaten Nutzung eines E-Autos, das täglich nur wenige Minuten gefahren werde, stelle sich schon die Frage nach der Wertschöpfungserhöhung. Bei einem gewerblichen Nutzfahrzeug stehe dies jedoch in einem anderen Verhältnis. Dennoch hält Koller fest, dass sie keine Umweltaktivisten seien. «Denn dann müssten wir nicht nach Chile gehen», so der Ostschweizer. Die technischen Anreize seien für sie spannender. Nach dem Versuch, den Weltrekord zu brechen, muss für sie nicht Schluss sein. Ihr Ziel ist es, eine Serie von Elektrofahrzeugen mit eigener Antriebsplattform herzustellen. «Jetzt fokussieren wir uns aber zuerst einmal für die Wochen in Chile. Unsere Erfahrung hat gezeigt: Man kann noch so viel planen – meistens kommt es ganz anders als gedacht.»
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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