Waldmeyer war schon ein bisschen perplex: Da gibt es Zürcher Restaurants, welche elf Franken (ja, CHF 11.-!) pro Gramm Trüffel verlangen. Ein Kilo käme so hochgerechnet auf CHF 11‘000.- zu stehen. Etwas konnte nicht stimmen. Oder sollte er in Trüffel investieren?
Die edle Knolle wird natürlich nur in homöopathischen Dosen über die Pasta gehobelt. Dennoch: Waldmeyer ergoogelte, dass ein Kilo Trüffel auf dem Markt im Piemont oder in der Provence rund 1‘000.- Euro kostet. Im Internet im Schnitt 2‘000.-, im Grosshandel jedoch nur 250.-. Und im Tre Fratelli dann 11’000.-…?
Der „Spread“ ist also enorm, unglaubliche Multiplikator-Gewinne scheinen sich aufzutun. Also in Trüffel investieren? Mit Trüffel handeln? Trüffel als Anlage-Währung nutzen?
Die Sache ist anspruchsvoll. Gold zum Beispiel ist Gold, Trüffel aber ist nicht gleich Trüffel. Weisser Trüffel beispielsweise ist wesentlich teurer als schwarzer, da intensiver. Der Marktpreis von durchschnittlich 2‘000 Euro oszilliert zwischen 500.- und 3‘500.- Euro. Im Schnitt immerhin 25-mal günstiger als Gold. Aber in gewissen Zürcher Restaurants sublimiert sich dann das Preis-Verhältnis Trüffel/Gold offenbar auf den Faktor fünf. Also nur noch fünfmal günstiger als Gold.
Was Waldmeyer mit einiger Konsternation ebenso zur Kenntnis nehmen musste: Mit zunehmender Menge steigt der Preis! Tatsächlich, der Trüffel straft sämtliche makroökonomische Regeln Lügen, denn je schwerer und grösser ein einzelner Trüffel ist, desto höher liegt sein Preis - nicht tiefer. Eine inverse Preis-Mengenkurve also. Das hatten wir doch schon bei Louis Vuitton: Wäre der Preis für das Plastik-Täschchen tiefer, würde die Nachfrage zurückgehen. Das Trüffel-Phänomen scheint sich jedoch nicht aufgrund einer marketing-psychologischen Veräppelung zu ergeben, sondern aus dem Verhältnis Trüffelrinde zu Trüffelfleisch, welches sich mit zunehmender Trüffelgrösse verbessert. Die kleinen Trüffel bestehen offenbar vor allem aus Rinde.
Ein weiteres Handicap, so analysierte Waldmeyer weiter: die Haltbarkeit von nur 14 Tagen – weisser Trüffel gar nur zwei bis sieben Tage. Ausser man verbuddelt die Trüffel wieder mühsam in der Erde.
Das alles erschwert selbstredend den Entwurf eines attraktiven Businessplans, reflektierte Waldmeyer – folglich müssten Alternativen her.
Also doch lieber Gold? Oder besser die Vorstufe von Gold, Anteile an Goldminen? Oder noch raffinierter: Lizenzen für Goldminen? Diese könnten von sehr viel bis gar nichts wert sein, also müsste eine entsprechende Investition über einen unglaublichen Hebel verfügen – sofern man natürlich den richtigen Einstiegszeitpunkt erwischt.
Die Glühlampe, die Waldmeyers Garagist kürzlich an seinem Porsche Cayenne (schwarz, innen auch) auswechseln musste, verfügte über einen ebenso beachtlichen Hebel: 28 Franken auf der Rechnung, versus wohl ein paar bescheidene Cents für die Produktion. Ähnlich wie das Ladekabel für Waldmeyers i-Phone. In solche Dinge müsste man also investieren! Besonders heute, wo wir über unglaubliche Informationszugänge verfügen und der ganze Globus auf Vorgarten-Grösse geschrumpft ist.
Es geht also um den Hebel. Den erhält man in der Tat oft mit Investitionen in die Vorstufe. Man ist also nicht so blöd und kauft und verkauft Öl, sondern man handelt mit Öl-Kontrakten, oder mit Öl-Optionen. Man sollte also besser etwas verkaufen, bevor man es je erhalten hat. Banken machen es ja auch so: Sie versuchen Zinsen einzunehmen, bevor sie die eigenen Zinsen bezahlen müssen – allein schon mit diesem Time-Gap, nicht mit der Zinsdifferenz, lassen sich dann die Boni zwischendurch finanzieren. Clevere Onlinehändler machen das auch: den Umsatz einsacken, bevor die Ware bezahlt ist. Kein Wunder, konnte dieser Jeff Bezos so viel Vermögen anhäufen.
Waldmeyer hatte inzwischen den Faden zu den Trüffel verloren. Er überlegte noch einmal, wie man hier trotzdem Geld verdienen könnte, die Marge ist ja phänomenal. Allerdings: Die Lagerung bereitete ihm etwas Kopfzerbrechen. Charlotte hätte wohl keine Freude, wenn er den Keller in der schönen Villa in Meisterschwanden mit diesen olfaktorisch intensiven Knollen belegen würde. Ein paar Apfelhurden voller Trüffel könnten allerdings locker ein paar Hunderttausender wert sein. Intelligenterweise müsste man jedoch auch im Trüffelgeschäft besser in die Vorstufe investieren. In Trüffelschweine etwa? Oder angenehmer: in Trüffelhunde? Aber, wenn schon, dann gleich in eine Trüffelhundezucht? Oder noch besser: in Trüffelhundezucht-Lizenzen? Nein, gewitzter: in den Handel mit solchen Zucht-Lizenzen, falls denn tatsächlich eine solche Plattform bestünde!? Und dann den Trüffelhundzuchtlizenzhandel hedgen – das wäre quasi agronomische Fintech.
Nein - es war alles zu kompliziert. Vielleicht ist der profane Konsum doch besser als die Anlage? Das ist bei vielen Dingen so; Waldmeyer dachte dabei an seinen Weinkeller - die dort gelagerten Terre Brunes, nur zum Beispiel, waren nie als Anlage gedacht, sondern nur für den persönlichen Konsum, exklusiv für ihn. Und sie machen trotzdem Freude.
„Charlotte, gehen wir heute ins Tre Fratelli? Luigi soll inzwischen die neuen Trüffel aus dem Piemont erhalten haben!“
„Ja, das wäre eine gute Option“, erwiderte Charlotte.
Waldmeyer blickte Charlotte entgeistert an: „Option...? Handelst du etwa mit Trüffeloptionen?“
Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.
Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.
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